von Alexander Sängerlaub, 28.11.16
1. Oma, wir müssen reden!
Beginnen wir mit meiner Oma. Bei einem Besuch vor ein paar Jahren saß meine bildungsbeflissene Oma vor dem Fernsehgerät und schaute angestrengt bis missgünstig hinein, was ihr der Flimmerkasten da präsentierte. Es lief die ARD, irgendeine Soap, vielleicht ein Tatort – ich weiß es nicht mehr, vielleicht war es damals auch noch der Sonntagstalk von Günther Jauch. Auf meine Frage hin, warum sie denn nicht umschalte, wenn ihr das Programm nicht gefalle, antwortete sie: „Wegen der Quote!“. Ich stutzte. Meine Oma war jedenfalls nicht Teil des GfK-Panels, das sind die etwa 10.500 Menschen (in 5.000 Haushalten) in Deutschland, die von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ausgesucht wurden, sich einen Apparat neben ihren Fernseher zu stellen, der die Sehgewohnheiten misst, um die Daten dann zur Fernsehquote zusammenzufassen. Nein, meine Oma dachte, dass der Quotenzähler standardmäßig in alle Fernsehgeräte eingebaut sei, sodass auch ihr Fernsehkonsum relevant sei für die deutsche Fernsehquote – ist er aber nicht. Nach der Auflösung lachten wir beide, doch ich weiß nicht, ob ich diese Entscheidung im Nachhinein nicht doch ein wenig bereue, denn Oma guckt jetzt erheblich mehr RTL.
Was dieser kleine Ausflug ins Wohnzimmer meiner Oma zeigt, ist auf den zweiten Blick betrachtet der älteste Konflikt der Welt: der zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Ein innerer Konflikt, dem jeder Mensch zuweilen obliegt und manchmal merkt er es sogar. So viel vorweg für den Hinterkopf. Aber Fernsehen – ganz ehrlich – wer guckt denn heute schon noch Fernsehen? Der Durchschnittszuschauer von ARD und ZDF ist 60 Jahre (!) alt. Blicken wir dorthin, wo der Rest unterwegs ist, in diesem „ominösen Internetz“, wie meine Oma sagt.
2. Internet, wir müssen reden!
„Die Computer haben die Welt verändert. Die Computer sind die Zivilisation. Wenn wir die Computer abschalten, fallen wir in eine Art von Zivilisation zurück, von der wir vergessen haben, wie sie geht.“
Dieser Satz stammt aus dem Buch A Logic Named Joe des amerikanischen Science-Fiction-Autors Murray Leinster. Was wie ein Satz aus unserer Zeit klingt, feiert nun seinen 70. Geburtstag, denn Leinsters Roman stammt aus dem Jahre 1946. In einer bemerkenswerten Zukunftsvision sah er nicht nur die gewaltigen Veränderungen voraus, die der Computer mit sich bringen würde, sondern er orakelte sogar das Internet herbei. Er nahm an, dass über den Computer alle Fernsehprogramme, Informationen über das Wetter oder Geschäftsverträge laufen würden. Gut vorhergeahnt.
Wer schon mal ein paar Wochen ohne sein Smartphone auskommen musste, ahnt auch, in welche Art von Zivilisation man zurückfällt. Heute ist ein Smartphone Stadtplan und Navigationssystem, Taschenrechner, Zeitung, Notizbuch, Spielekonsole, Taschenlampe, Walkman, Kalender, Wecker, Uhr, Fotoapparat, Briefkasten, Kompass, Chatzentrale, Dating-Plattform, Übersetzer – ach ja – und Telefon, in einem. Das Internet holt uns dabei alle Informationen, die wir brauchen, auf ein Gerät, egal wo wir sind – es sei denn, man sitzt im ICE der Deutschen Bahn.
1993 machte das Internet gerade mal ein Prozent der Kommunikationsflüsse der weltweiten Telekommunikation aus. Sieben Jahre später übersprang die Marke die 50 Prozent und 2007 waren es schon 97 Prozent – viel Luft nach oben ist da nicht mehr. Würden Außerirdische auf die Welt gucken und schauen, wer sich da eigentlich so unterhält, hätten die Computer längst übernommen: Der Großteil der weltweit ausgetauschten Daten ist heute „M2M“ (Maschine zu Maschine). Der Mensch wäre eine unbedeutende Randerscheinung im unverständlichen Gebrabbel der Bits und Bytes, welches bei weitem nicht so philosophisch ist wie zwischen R2-D2 und C-3PO.
Auf der anderen Seite hat aber auch die menschliche „Zivilisation“ das Internet gekapert – so herum könnte man es auch sehen, wenn man sich Dialoge im digitalen Raum, zum Beispiel auf Facebook-Walls und Kommentarspalten von Onlinemedien anschaut. Das, was früher der kauzige Stammtisch in der Eckkneipe war, vollzieht sich heute online und kann öffentlich von Tausenden von Menschen gefollowed, geliked und geshared werden. Der Begriff „Zivilisation“ entwickelte sich im 18. Jahrhundert in Frankreich und stand für die positiven Erwartungen im Zeitalter der Aufklärung an den Fortschritt der Gesellschaft. Der Gegenbegriff dazu war die „Barbarei“, die Wilden und Kulturlosen. Man ahnt zuweilen, dass es diese Wilden und Kulturlosen noch immer da draußen gibt, nur dass sie heutzutage ihren Hass vom heimischen Sofa aus in die Netzwelt verbreiten. Die Zivilisierung des Netzes ist wohl bei weitem noch nicht abgeschlossen.
„Die Stimme der Vernunft ist leise“, erkannte bereits Sigmund Freud. „Wer am lautesten schreit, hat Recht!“, ist dagegen Ironie. Besonders laut schreien kann im politischen Digital-Raum bei uns die AfD und fällt so mit ihren Online-Skandälchen mehr auf, als durch ein politisches Programm. Der dankbare Abnehmer sind die anderen Medien, die mit der „mausgerutschten“ Beatrix von Storch bis hin zu Alexander Gauland, der Jérôme Boateng nicht als Nachbar haben möchte, zuweilen ganze Politiktalks und Kommentarspalten füllen. Die AfD kommt bei Facebook übrigens auf 293.000 Likes und liegt damit weit vor allen anderen Parteien: Die Linke hat 146.000, CDU und Grüne haben jeweils 119.000 und die SPD hat 113.000 Likes. Gut, dass die Bundestagswahlen noch nicht via Facebook durchgeführt werden.
Die Gründe für den Erfolg der AfD mögen vielfältig sein, wie etwa die Tatsache, dass deren Wähler die klassischen Medien ohnehin misstrauisch beäugen und sich stattdessen direkt über die Kanäle der Partei informieren. Petry und Co. erreichen jedenfalls die Onliner. Das schlägt sich auch in den Wahlergebnissen nieder: Selbst im liberalen Berlin erreichte die selbsternannte „Alternative“ für Deutschland 14,2 Prozent der Wählerstimmen. Und so richtig hat man zuweilen nicht den Eindruck, dass das die anderen Parteien irgendwie stutzig macht.
Dabei ist das kein singulär deutsches Phänomen: Donald Trump hat zehn Millionen Facebook-Follower, Hillary Clinton kommt auf gerade mal etwas über sechs Millionen (Barack Obama dafür fast auf 50 Millionen), Marine Le Pen vom Front National kommt ebenfalls auf über eine Million Likes und der französische Amtsinhaber Präsident François Hollande liegt um 200.000 Likes deutlich darunter. Das Netz ist schon lange kein singulärer Raum mehr für das Progressive. Die Parteien am rechten Rand verstehen es wesentlich besser, das Potenzial der digitalen Kommunikation in der Direktansprache der Wähler für sich zu nutzen. Ketzerisch kann man hier die Logik des Netzes mitschuldig machen. Kurze, schnelle, emotionale Ansprache, Bilder, Videos, wenig Fakten, viel Gefühl, das ist das, was bei Twitter, Instagram, Snapchat etc. funktioniert und natürlich Katzenvideos. Oder hat mal jemand versucht, einen Essay, gar auch noch unbebildert, via Facebook zu teilen?
Das wird jetzt kein Werbeblock, aber (!) die Medienausgabe von Kater Demos gibt Anlass, auch transparent zu machen, woher das Magazin kommt und was uns antreibt. Kater Demos ist ausdrücklich als gedrucktes Heft entstanden, denn die absurde Vorliebe für bedrucktes, buntes Papier ist kein Festklammern am Ewiggestrigen – im Gegenteil! Wir verstehen uns als bewussten Gegensatz zum Hysterischen, Lauten, Schrillen und Verkürzten. Allein, dass es dieses politische Magazin mit seinem utopischen Diskurs gibt, ist als Medienkritik und politische Kritik gleichermaßen zu verstehen. Und der Vollständigkeit halber: Der Kater ist dabei unser ironischer Blick auf die Fluten von Cat Content, welche das Netz bevölkern, und gleichermaßen der benannte „Politikkater“ zur Art und Weise, wie und was Politiker mit ihren Wählern kommunizieren. Dabei versuchen wir mühevoll, ein konstruktives Bild des Ganzen zu schaffen, wobei der Spaß nicht auf der Strecke bleiben soll. Utopien braucht das Land! Yes we can! Make journalism great again! Okay, Werbung Ende.
3. Journalismus, wir müssen reden!
Bei weitem noch nicht abgeschlossen ist auch die Transformation des Journalismus ins digitale Zeitalter. Nach dem Verständnis der Branche werden wahrscheinlich langfristig nicht alle Akteure überleben. Die Financial Times Deutschland hat sich bereits vom Markt verabschiedet, die Frankfurter Rundschau geht am Stock, so gut wie alle Tageszeitungen verzeichnen massive Verluste ihrer gedruckten Auflagen, während der Online-Journalismus nur einen Bruchteil der Erlöse wieder einfährt. Allein die verkaufte Auflage der BILD sank von 1998 bis heute um 58,1 Prozent und der Trend geht weiter abwärts. Wer sich hier heimlich freut, dem sei gesagt, dass es den im Deutschen gern „Qualitätszeitungen“ genannten Titeln nicht sonderlich besser geht: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) beispielsweise hat im gleichen Zeitraum ebenfalls 36 Prozent ihrer Printleser verloren. Erschwerend hinzu kommt, dass sich auch durch Anzeigen immer weniger verdienen lässt – und die machen bei Tageszeitungen etwa die Hälfte der Einnahmen aus. 2014 kündigte die FAZ an, 200 von 900 Stellen zu streichen und auch der Nachrichtenkoloss Der Spiegel verkündete zum Ende des letzten Jahres, 149 der 727 Mitarbeiter entlassen zu müssen.
Wer dieser Tage Verlage und Medienunternehmen danach fragt, was das Geheimnis einer erfolgreichen Transformation ins digitale Zeitalter ist und wie man damit Geld verdient, erntet überwiegend schallendes Gelächter oder blickt direkt in hysterische, weiße Gesichter. Und wer heutzutage Journalismus studiert, dem wird direkt geraten, den Taxiführerschein doch bitte gleich mitzumachen.
Langfristig werden wohl zwei Arten von Medien überleben: Solche, die uns tagesaktuell mit Informationen beliefern wie Online-Nachrichtenportale à la Spiegel Online oder Fernsehsendungen wie die Tagesthemen – ob nun in der Mediathek oder im Fernsehen sei mal dahingestellt – und solche, die das Geschehene einordnen und bewerten wie die Wochenzeitung Die Zeit. Noch ist der Qualitätsjournalismus durch die Digitalisierung zwar nicht untergegangen, aber mindestens angeschlagen, oder wie es der Journalist Georg Diez formuliert: Das Internet, die „Riesensaftpresse für die alten Medien” zwingt alle Redaktionen zwar mehr Content zu produzieren, beim Personal aber Federn zu lassen.
Hier heißt es: Durchhalten! Jeder Transformationsprozess ist schwierig und ja, natürlich wird weiterhin guter Journalismus gebraucht – die Frage ist nur noch, wie man ihn am besten finanziert. Die ersten Online-Angebote der klassischen Medien sind in den schwarzen Zahlen angelangt, bei weitem jedoch nicht alle. Hier, wie Stern.de auf „Mimimimi“ zu setzen und seine Leser zu zwingen, den Ad-Blocker doch bitte auszuschalten, damit die auf Werbeeinnahmen setzende Plattform die Werbung auch an den geneigten Leser bringen kann, zeigt dabei, wo das Problem liegt: Medienhäuser sind Unternehmen des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie denken und funktionieren nicht digital, sondern versuchen, die alten Konzepte und Praktiken ins 21. Jahrhundert hinüberzuretten. Währenddessen ziehen Google, Facebook und Twitter als Nachrichtenmedien an den alten Hasen vorbei. In Amerika musste erst ein Onlinepionier des 21. Jahrhunderts wie der Amazon-Gründer Jeff Bezos kommen, um der Grande Dame des amerikanischen Journalismus, der Washington Post, ins digitale Zeitalter zu verhelfen.
Um dem eichhörnchengleichen und aufmerksamkeitsdefizitär veranlagten Internetnutzer auf die Seiten zu locken, ist heute jedes Mittel Recht: „Wenn du auch wissen willst, warum dieser kleine Pinguin die Welt gerettet hat, klicke hier!“, ist das Mittel der Stunde von Focus Online über BILD bis VICE. „Clickbaiting“ nennt das der Fachmann, zu Deutsch: Klickköder. Wie ein Cliffhanger bei der Lieblingsserie auf Netflix lässt einen die Überschrift neugierig werden, wie es weitergeht, damit man als Geköderter die Seiten besucht, um so die Preise für die Anzeigenkunden in die Höhe schießen zu lassen. Mit Journalismus hat das nur bedingt noch etwas zu tun, wenn die Frage nach dem Clickbaiting-Potenzial die Nachrichtenseiten formt und nicht mehr die eigentliche Bedeutung einer Nachricht. Oder frei nach Fassbinder: Unterhaltung essen Information auf. Übrigens: Tiere und Kinder funktionieren dabei besonders gut – der Klickköderking sind natürlich Katzenbabys! Der US-amerikanische Medientheoretiker Neil Postman wusste schon 1985, wohin das alles führt: „Wir amüsieren uns zu Tode“, schrieb er damals.
Einige Unternehmen beginnen derweil anders kreativ zu werden: „Native advertising“ und ähnlich krude Ideen der Werbeschaltung blinken bei ihnen als vermeintliche Retter auf. Die Idee: Man lässt sich einfach kaufen. Werbetreibende kriegen ihre Botschaft nämlich am besten als redaktionell aussehende Inhalte an den Mann und an die Frau. Kleine Rahmen und Hinweise zu „sponsored content“ tauchen hier, gewiss zufällig nur charmant-zärtlich und hauchdünn, wenn überhaupt, am Rand auf, so dass sie der Leser im Bestfall gar nicht bemerkt.
Die Vermengung von Werbung und Inhalten ist dabei auch Gegenstand der Forschung. 2014 veröffentlichte die TU Dresden eine Studie, in der die Autoren Lutz Hagen, Anne Flämig und Anne-Marie In der Au zu dem Ergebnis kommen, „dass über Unternehmen sowohl im Spiegel als auch im Focus erstens häufiger, zweitens freundlicher, drittens mit mehr Produktnennungen berichtet wird, je mehr Anzeigen diese Unternehmen schalten.“ Wenn ökonomisch gesehen die Luft dünn wird und die Decke näher kommt, weiß man halt zu schätzen, was man noch hat.
Wir befinden uns im Jahre 2016 n. Chr. Ganz Gallien fragt sich, wie man den Journalismus finanziert… Ganz Gallien? Nein! Ein von öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten besetztes Dorf leistet Widerstand, denn es hat alle möglichen Arten von Problemen, nur keins der Finanzierung.
4. Öffentlich-Rechtliche, wir müssen reden!
„Die neun Landesrundfunkanstalten der ARD haben insgesamt rund 23.000 festangestellte Mitarbeiter, sie veranstalten elf Fernsehprogramme, 55 Hörfunkprogramme und verfügen über 16 Orchester und acht Chöre. Das Gesamtbudget der neun Anstalten beträgt pro Jahr rund 6,3 Milliarden Euro“, schreibt Wikipedia im Einleitungsabsatz über die ARD. Legt man das Budget des ZDF noch obendrauf, ist man bei 9,1 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die etwa 350 in Deutschland erscheinenden Tageszeitungen mit ihren 1.528 Lokalausgaben bringen es dagegen nur knapp auf acht Milliarden Euro Umsatz. Der Intendant des WDR Tom Buhrow verdient im Jahr 367.232 Euro, das geht aus dem Geschäftsbericht des Senders aus dem Jahr 2013 hervor. Zum Vergleich: Die Bundeskanzlerin kommt auf etwa 220.000 Euro Jahresgehalt. Ob das Land im Zweifel ohne die Bundeskanzlerin oder ohne den WDR-Intendanten besser auskommen würde, sei dahingestellt. Aber warum eine öffentlich finanzierte Sendeanstalt ihrem Intendanten aus Gebührengeldern solche Summen zahlt, kann mit dem Begriff „Verhältnismäßigkeit“ jedenfalls nicht beantwortet werden. Die Diskussion um Gehälter sparen wir uns jetzt aber en détail und lassen diesen Vergleich mal als Sinnbild für die Gebührenpraxis stehen.
Wir geben es ehrlich zu: Wir sind Fans der Idee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks und glauben auch, dass dieser notwendig ist, da wir nicht den gesamten Journalismus sowie Bildung und Kultur in die Hände des freien Marktes geben können. Mit RTL und Springer-Presse allein sähe dieses Land heute wahrscheinlich deutlich anders aus. Dennoch würde man sich wünschen, dass ARD und ZDF ihrem Auftrag, so heißt das im Rundfunkstaatsvertrag, mehr gerecht werden. Die Legitimierung dieser Institutionen bemisst sich denn weniger an der Quote als am Programm – würde der Medienkritiker sich zumindest wünschen. Wenn ich mich innerhalb der Generation Y allerdings umhöre, kann ich die öffentlich-rechtlichen Sendungen, die Menschen in meinem Umfeld mögen, an einer Hand abzählen, auch wenn – und das sei erwähnt – die Nachrichtenformate dabei noch gut wegkommen.
Ein Blick nach Großbritannien zur britischen Schwester BBC, die übrigens mit nur 4,2 Milliarden Euro im Jahr auskommt und etwa 75 Prozent ihrer Kosten mit Rundfunkgebühren deckt, zeigt ein weiteres Dilemma: „Sherlock“ oder „Downton Abbey“ sind als britische Serien-Produktionen weltweit beliebt, BBC-Dokumentationen genießen einen hervorragenden Ruf und zu allem Unglück obendrauf hat die BBC dennoch etwa 15 Prozent mehr Mitarbeiter als unsere Sendeanstalten. Mehr Mut zur Innovation und weniger Verkrustung in den Strukturen sind dort zwei der Erfolgsgeheimnisse. Ach ja – die BBC kommt den Briten mit umgerechnet etwa 179 Euro im Jahr übrigens auch deutlich günstiger zu stehen als ARD und ZDF die Deutschen mit 210 Euro. Nur Skandinavien und die Schweiz haben höhere Beiträge als wir, werden aber für ihr Programm hochgelobt, wie beispielsweise das dänische Staatsfernsehen für seine Politikserie „Borgen“, der dänischen Version von „House of Cards“.
Was die journalistische Unabhängigkeit, also die Staatsferne, betrifft, sieht es auch nicht gut aus. 2014 sprach das Bundesverfassungsgericht ein deutliches Urteil: Der Rundfunkstaatsvertrag des ZDF ist in Teilen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, der Einfluss der Politik viel zu stark. Konkret geht es um die Institution des ZDF-Fernsehrats, das 77-köpfige, für die Programmqualität zuständige, oberste Kontrollgremium. Derzeit sind fast 44 Prozent der Mitglieder zu staatsnah, befand das Bundesverfassungsgericht, maximal ein Drittel wären verkraftbar. Auch im Verwaltungsrat, der dem ZDF-Intendanten auf die Finger schaut, sei die Politik mit sechs aus 14 Vertretern deutlich überrepräsentiert. Bestes Beispiel hierfür ist der 2009 abgesägte Chefredakteur Nikolaus Brender, den der damalige Intendant zwar gerne behalten hätte, doch Roland Koch (CDU), der damalige Verwaltungsratsvorsitzende und gleichzeitig damalige Ministerpräsident von Hessen, befand Brender als zu kritisch und verhinderte seine Vertragsverlängerung.
Brender begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Deutschlandfunk (2015) und erinnert sich noch gut an die Zeit, als er im Jahr 2000 Chefredakteur wurde: “Als ich kam, war es immer noch üblich, das Parteivertreter, Generalsekretäre, Minister oder deren Sprecher unmittelbar im Programm herumfuhrwerkten. Dass dort in laufende Sendungen hinein angerufen wurde und Ähnliches. Und ich habe dann so reagiert, dass ich gesagt habe: Wenn das noch mal vorkommt, veröffentliche ich das. Das muss veröffentlicht werden, weil diese Einflussnahme kein Privatvergnügen ist. Es belastet die Journalisten, es tangiert die Freiheit des Unternehmens. Und deswegen habe ich in den Verwaltungsräten beziehungsweise im Fernsehrat eindeutig gesagt: Wehe, das geschieht noch mal, derjenige wird veröffentlicht.” Die Journalisten hätten nun heute, mit dem Bundesverfassungsgericht im Rücken, einen deutlich besseren Stand.
Dass solche Beispiele dem Ruf der Öffentlich-Rechtlichen nicht gerade in die Hände spielen, belegen Zahlen, die der WDR im letzten Jahr zur Glaubwürdigkeit der Medien erhoben hat. 42 Prozent der Deutschen glauben demnach, dass Staat und Regierung den Medien vorgeben, worüber sie zu berichten haben. Die Studie zeigt aber auch, dass ARD und Co. das größte Vertrauen innerhalb der Bevölkerung, zusammen mit den Qualitätszeitungen, genießen.
Absolut unsinnig ist dagegen die fast ungarisch anmutende Forderung unseres bayerischen Lieblingshorstes Seehofer, ARD und ZDF zusammenzulegen. Dort jedoch mal die eine oder andere Reform durchzujagen und zu verschlanken, kann gewiss nicht schaden. Braucht es denn wirklich 55 Hörfunksender und neun separate Landesrundfunkanstalten? Und wer Politiktalkshows für die politische Wirklichkeit hält, dem ist auch nicht mehr zu helfen.
Und noch einen Satz zum bösen L-Wort: Der quarkige AfD-Vorwurf der „Lügenpresse“ ist garantiert genauso unsinnig wie die Forderungen der CSU. Im internationalen Vergleich haben wir es in Deutschland ganz gut. In der Rangliste der Pressefreiheit, die Reporter ohne Grenzen jedes Jahr herausgibt, ist Deutschland auf Platz 16 von 180. Die Verschlechterung um vier Plätze zum Vorjahr liegt vor allem an der zunehmenden Gewalt gegen Journalisten und die kommt nicht vom Staat, sondern von rechts. Ganz oben in der Liste stehen mal wieder die Skandinavier: Finnland auf dem ersten, Norwegen und Dänemark auf dem dritten und vierten, die Niederlande auf dem zweiten Platz. Aber Reporter ohne Grenzen mahnt auch: Die Spielräume des Journalismus werden weltweit geringer, das hat viel mit dem zu tun, was um uns herum, auch in Europa, der Türkei, Polen oder Ungarn passiert.
5. Du, wir müssen reden!
Und so schließt sich der Kreis zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Was wir niemals vergessen dürfen: Unser Bild von der Realität speist sich zu ganz großen Teilen aus den Medien. Fast zehn Stunden täglich beschallen wir uns mit Radio, Fernsehen, Internet, Smartphone und Co. Wem wir dabei unser Vertrauen schenken, sei wohlüberlegt. Doch von Vertrauen allein kann kein Medium leben. Statt die Schuld auf die Verlage zu schieben, die zu doof waren, die Transformation ins Digitale auch finanziell mitzudenken, oder allein auf die Leser, Seher und Hörer, die wegen des Karnevals der Kostenlosigkeiten, den das Netz bereithält, nichts mehr bezahlen wollen, sollten sich Medienhäuser und Leser lieber zusammentun und überlegen, wie viel sie für gute Information bezahlen würden. Netflix und Spotify sind zwei erfolgreiche Angebote des 21. Jahrhunderts, die beides verbinden: ein gutes Programmangebot und zahlende Nutzer. Warum sollte so etwas im Journalismus nicht ebenfalls funktionieren? Wer denkt, Glaubwürdigkeitskrise und Unterfinanzierung haben nicht irgendetwas miteinander zu tun, der irrt.
Die Menschen haben eine Sehnsucht nach gut aufbereiteten Informationen. Wir wollen wissen, wie die Welt da draußen tickt und dafür braucht es einen fantastischen, qualitativ anspruchsvollen Journalismus, der nicht wegen chronischer Unterfinanzierung am Dauerjammern ist. Dabei gilt es auch Inhalte neu zu definieren. So wünschen sich 76 Prozent der Deutschen, laut einer Umfrage des Bayerischen Rundfunks aus diesem Jahr, dass Journalisten mehr lösungsorientiert berichten, statt sich nur auf die Probleme zu fokussieren: „Konstruktiver Journalismus“ statt Negativismus.
Wem Demokratie am Herzen liegt, weiß um den Schatz einer gut funktionierenden sogenannten „vierten Gewalt“, die neben Judikative, Exekutive und Legislative unerlässlich im Staate ist. Die Menschen, mit denen wir aus der Türkei, Polen oder Ungarn für die aktuelle Kater Demos Ausgabe gesprochen haben, wissen um diesen verlorenen Schatz sehr wohl. Die Freiheit der Presse bedeutet eine Verantwortung für alle Medienschaffenden und einen Gewinn aller in freien Gesellschaften lebenden Menschen. Denn wir brauchen starke Medien, die Politik, Wirtschaft, Justiz und auch sich selbst kritisch begleiten. Und die uns anregen, statt aufregen.
Lesehinweise
- Nils Minkmar: „Der Zirkus. Ein Jahr im Innersten der Politik“ (2013) – Der Irrsinn aus Medien und Politik anschaulich festgehalten an der Begleitung von Peer Steinbrück im Wahlkampf
- Neil Postman: „Wir amüsieren uns zu Tode!“ (1985) – Das Unterhaltungsmedium Fernsehen bringt den Untergang unserer rationalen Urteilskraft: die Emotionen obsiegen und es verabschiedet sich die Demokratie, so Postman. In Zeiten von Trump eigentlich eine Pflichtlektüre!
- Julia Cagé: „Rettet die Medien! Wie wir die vierte Gewalt gegen den Kapitalismus verteidigen“ (2016) – Ein flammendes Plädoyer der französischen Politikwissenschaftlerin mit einer guten Analyse und einer ökonomischen Idee
- Stephan Ruß-Mohl: „Bullshit verdrängt Journalismus. Am Ende des Aufklärungszeitalters“ (aus: NZZ vom 01.10.2016) – Analyse zum Bullshit auf den Punkt gebracht.
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Dieser Text stammt aus der aktuellen Ausgabe Kater Demos – das utopische Politikmagazin und ist der Eingangsessay in das Schwerpunktthema “Medien”. Mehr Infos bei www.katerdemos.de
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