#AfD

Politikverdrossenheit. (1) Das nervöse Lagebild

von , 4.1.17

„Ich hasse Politik. Ich hasse Politiker.“ Mit dieser inbrünstig vorgetragenen Botschaft bei der Verleihung des Ehrenpreises Ministerpräsidenten des Hessischen Film- und Kinopreises verstörte ein Künstler von Weltrang Ende Oktober die versammelte politische und mediale Klasse.

Ausgerechnet vom hochdekorierten, international gefeierten  Film- und Bühnenstar Klaus Maria Brandauer hätte das Publikum diesen Frontalangriff wohl nicht erwartet. Zwar hielt der Schauspieler sich gleich nach dem Wutausbruch verschämt die Hände vor den Mund. Eine irritierende Geste, die signalisieren sollte das Gesagte sei ihm nur rausgerutscht. Aber – das war wohl eher  ein dramaturgischer Kunstgriff  mit dem er seine Botschaft noch verstärkte.

Mit diesem Wut-Ausschnitt versuchte die Landtags-Talkshow „Schlossplatz 1“ Anfang Dezember im Hessischen Rundfunk das frustrierte Publikum in die sonst eher bedächtige Sendung zu ziehen. Unter dem Titel „Politiker – die Prügelknaben der Nation?“ versammelten sich die Fraktionsspitzen im Landtagsstudio. Eine Lehrstunde, weil man an den Gesichtern und Aussagen der Gäste ablesen konnte, dass die Spitzenpolitiker die zunehmenden Hassfluten, Empörungswellen und Bedrohungs-Kaskaden gegen Politiker und die tragenden Institutionen weder verstehen noch entziffern können. Den möglichen, tieferen Ursachen für den Bruch mit eingeführten Normen und Respekt-Standards ging niemand ernsthaft auf den Grund. Dafür war immer wieder  die Rede von „gesunkenen Hemmschwellen“, „roten Linien“, „Grenzen, die nicht überschritten“ werden dürften und der Klage über die  zunehmende „Verrohung der Sprache“ – garniert mit Verständnis für Unzufriedenheit, Kritik und auch Wut der Bürger. Aber nicht für den zunehmenden Hass und die vermehrten Gewaltandrohungen gegen das leitende politische Personal der Republik.

Für einen Moment drängte sich der Gedanke auf, dass in diesem Fall einer der Akteure aus dem Kreis der ruchlosen  Regelverletzer und kommunikativen Foulspieler – etwa ein Typ mit dem Broder-Gen – die Runde aus der Ruhe hätte bringen können. Weg von betreuten Statements – hin zur nötigen Klärungsenergie

Diese ins Landtagsstudio verlagerte Landtagsdebatte illustrierte den gegenwärtigen Stand der Diskurs-Allergie und Analyse-Abstinenz der politischen Klasse, wenn es um die beklagte „Verächtlichmachung“ (Volker Bouffier) und Diffamierung von Politikern und des politischen Betriebs insgesamt  geht.

Erst die Diagnose – dann die Therapie: Neues Erwartungsmanagement verbunden mit einer vitalen Erklärkultur

Lediglich Mathias Wagner, der Fraktionschef der Grünen, brachte einen wesentlichen Gedanken ein, der jedoch schon in dem Moment vergessen war, als dieser ausgesprochen wurde. Die Bürger hätten „sehr gesteigerte Erwartungen an die Politik“ – und die Hoffnung, dass Politiker die überfordernde Komplexität der Politik für sie „auflösen“.  Und – „Wir tun so, als könnten wir das.“ Eigentlich eine Steilvorlage für die laufende, richtungslose, zerfaserte Nabelschau – wenn es um Politik(er)-Verachtung geht.

Denn offensichtlich können oder wollen Politiker einen echten Diskurs weder aufgreifen noch die weiter eskalierende Debatte sortieren. Hier liegt ein wesentlicher Grund für die tiefe Kluft zwischen Wählern und Gewählten.

Die meisten Politiker betreiben ein überzogenes Erwartungsmanagement bezogen auf die Lösung der multiplen Krisen und glauben, dass sie mit gezielt inszenierter Eindruckserweckung ihre Argumentations-Phobie überdecken könnten. Dies gilt sowohl für die „Flüchtlings-Situation“ – wie es im neuen wording des Regierungssprechers heißt, als auch für den organisierten Stillstand bei der Lösung der eskalierenden Europa-Krise. Selbst Finanzminister Wolfgang Schäuble warnte jüngst davor, dass „uns die Eurozone auseinander“ fliegt, „wenn wir die Regeln nicht einhalten.“ Alarmsignale, Ankündigungen, aber kaum überprüfbare und nachvollziehbare Lösungsansätze, geschweige denn „größere Entwürfe“, die sich der Historiker Wolf Lepenies wünscht. „Was ich im Moment vermisse, ist so etwas wie die große Politik.“ Gemeint sind Konzepte auf dem Niveau eines „Marschalplans“ oder eines „New Deal“ – bezogen auf die derzeitigen Herausforderungen.

Zuviel `Klein-Klein` und Kommentierung des Kommentierten illustriert die Mutlosigkeit und Selbstbezogenheit im Politik-Käfig. Die semantische Entsorgung der manifesten Konflikte scheint bequemer zu sein, als die sorgfältige Konflikt-Analyse samt realisierbaren Lösungs-Sequenzen. Man könnte noch weitere zentrale Politikfelder abschreiten, die dieses Verdrängungs-Muster, die erkennbare Ausklammerung und Nicht-Beschäftigung mit wichtigen „Bürger-Themen“ belegen. Die erkannte internationale  Finanzmarkt- und Bankenkrise sowie die heiklen Währungsrisiken um den Euro  sind weit entfernt von einer Stabilisierung. Die sogenannte „Rentenreform“ schließt keine der zuvor lautstark adressierten Versorgungslücken, die längst die `Mitte der Gesellschaft´ erreicht. Jeden zweiten Beschäftigten erwartet im Alter eine Rente auf Grundsicherungs-Niveau (795 Euro), weil ihr Brutto-Gehalt um 2.330 Euro liegt, rechnen selbst die amtlichen Statistiker vor. Wenn aber – wie es neudeutsch heißt – solche evidenzbasierte Krisen-Analysen von Politikern mit dem  Soundtrack einer sedierender Aufzug-Musik begleiten, schlägt die beabsichtigte Beruhigung immer häufiger in offene Aggression um. Wenn zudem in der Rentenfrage mit windigen Vermutungs-Prognosen hantiert wird und verantwortliche Politiker beschwören, das hoch-relevante Thema aus dem Wahlkampf 2017 herauszuhalten, kapitulieren sie vor ihren Kernaufgaben.

Zusammengefasst: Erklärungsarme Politik in stürmischen Zeiten provoziert offenbar bei einer lautstarken Minderheit endgrenzte Reaktionen und verbale Entgleisungen. Sie wirken  auch als Ventil für diffuse Ohnmachtsgefühle, Verlustängste und unbeantwortete Zukunftsfragen.

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Profilschärfung statt technologische Wahlkampfführung

Der zweite Grund für aggressive Distanz und hartnäckige Zweifel bei „Normalbürgern“ (jenseits der AfD-Claqueure) nährt, liegt in der seit Jahren wachsenden faktischen Symbiose der Parteien. Selbst für den überschaubaren Kreis der politisch Interessierten ist in vielen Kernthemen ein signifikanter inhaltlicher Unterschied nur noch schwer auszumachen. Warum? Programmarbeit ist in den Parteien verpönt, gilt als überflüssiger Luxus in einer hyper-mediatisierten Welt. Zu eindeutige – und damit nachvollziehbare – Festlegungen etwa in der Steuerpolitik für Erben oder Vermögende gelten intern als Fehler, weil man damit den großkoalitionären Handlungsspielraum einenge und  alle Steuerzahler verschrecke; auch wenn das Gros von einer gerechteren Steuerpolitik profitieren würde. Selbst Landtagswahlprogramme von Regierungsparteien werden ausgelagert und von einem pensionierten Journalisten „lesbar gemacht“. „Die Arbeit der Zuspitzung“, mit der sich noch der legendäre SPD-Generalsekretär Peter Glotz vor 20 Jahren mit einer Armada von Fachkommissionen herumplagte, hat für die Spitzenkräfte der Parteien heute keinen Mehrwert mehr. Sie glauben ernsthaft, dass mangelnde Trennschärfe zum politischen Gegner, verbunden mit einem „mittigen Lebensgefühl“ und einer prinzipiellen  Konfliktvermeidung beim „(unpolitischen, überforderten) Publikmum“ besser ankomme. Wenn überhaupt verschwenden sie ihre Ressourcen für perfektioniertes, agenturabhängiges Marketing und Behavioral Microtargetting. Der Zauberlehrlinge des Big Data business und der Politischen Psychologie haben Hochkonjunktur in den Parteizentralen. Grundsatz- und Programmkommissionen verkümmern gleichzeitig als Relikte einer vergangenen Zeit. Diese Umkehrung der Wichtigkeiten hat seinen Preis, der dann in den geheim gehaltenen Studien der Politik-Beratungsinstitute dokumentiert wird. Ein Beispiel:

In einer unveröffentlichten Studie zum Thema „Mehrheitsoptionen für linke Politik“ präsentierte etwa  die Forschungsgruppe Wahlen Ende der SPD im Oktober 2015 heikle Ergebnisse. Mehr als drei Viertel der Befragten (77 Prozent) sehen zwischen CDU und SPD „geringe oder keine“ inhaltlichen Unterschiede.“ Nur 16 Prozent der Befragten sehen „sehr starke“ oder „starke“ Unterschiede.

Das Besondere: Der Befund der wahrgenommenen Verschmelzung der beiden Volksparteien erstreckt sich auffallend gleichmäßig über alle Altersgruppen, weitgehend unabhängig von Bildungsstand und Parteipräferenz. Bereits vor sieben Jahren bahnte sich diese kontrastarme Programm-Melange an. 72 Prozent erkannten im Juli 2009 „geringe oder keine“ Unterschiede zwischen Sozial- und Christdemokraten.

Was eigentlich für jeden Parteiführer als Alarmzeichen wahrgenommen werden müsste, wandert in die Verdrängungs-Schublade.  Diese mangelnde Trennschärfe und der angewandte Zynismus der „asymmetrischen Demobilisierung“ der CDU entkernt die Politik, die mit ihrem wahrgenommenen Gleichklang austauschbar und prinzipienlos wirkt.

Zusammengefasst: In der Öffentlichkeit werden über das Instrument der „Interview-Politik“ Gegensätze hochgerüstet, die aber  in gemeinsamen Verhandlungsrunden später rasch entsorgt und wegmoderiert werden. Diese Kluft zwischen Reden und Handeln fördert Irritationen.  Da diese Konflikte in den Parteien nicht aufgegriffen werden und überwiegend das heimliche Gesetz der „diskussionslosen Geschlossenheit“ gilt, mehren sich verachtende Über-Reaktionen.

Zu viel Sonnendeck, zu wenig Maschinenraum

Abgerundet wird dieses Lagebild durch ein drittes Konfliktfeld: die Parteien haben ein sehr ernsthaftes Repräsentations-Defizit und damit auch ein schwerwiegendes Legitimationsproblem, das ihren verfassungsrechtlichen Auftrag angreift.

Einfach gesagt: diejenigen auf dem Sonnendeck der Gesellschaft haben noch ihre Ansprechpartner, ihre Transferfiguren, Lobby-Schattenmanager und Lautsprecher. Vornehmer könnte man bilanzieren: hier stimmt die den Parteien zugeschriebene Artikulations- und Repräsentationsfunktion noch. Aber im Maschinenraum der Gesellschaft – unten im Niedriglohnsektor, der gut 20 % ausmacht, bei den Leiharbeitern, Minijobbern und Langzeitarbeitslosen sieht es düsterer aus. Die meterhohen Armuts- und Reichtumsberichte in Bund und Ländern haben daran in den vergangenen Jahren nichts geändert. Aufmerksamkeit bekommen diese Berichte nur, wenn – wie kürzlich – die Schwärzung unbequemer Wahrheiten zu den informellen Machtprämien der Reichen in die Öffentlichkeit getragen werden.

Aber – auch in diesem Feld gibt es offenbar eine pathologische Lernunfähigkeit. Der frühere CDU Hoffnungsträger Norbert Röttgen hat schon vor Jahren auf die Gefahr mangelnder Legitimation der Parteien hingewiesen; ein prominenter Kreis um den früheren Bundespräsidenten Roman Herzog hatte bereits Mitte April u.a. in der FAZ einen vehementen Weckruf („Demokratie braucht vitale Parteien“) an die Parteiführungen gerichtet. Keine Resonanz. Keine Reaktion. Keine Folgen. Ähnlich ging es Prof. Dr. Armin Schäfer mit seiner international anerkannten Forschung zu den Motiven von Nichtwählern in Bezug zu ihrem  sozialen Status. Auch sie wurden fast durchgehend ignoriert. Stattdessen predigen Spitzenpolitiker immer noch die Legende von den überaus zufriedenen Nichtwählern. Diese Umdeutung der Realität ist nun – nach den starken Wählerströmen von Nichtwählern zur AfD – nicht mehr haltbar. Nichtwähler – ein zentrales Thema, dem sich alle parteinahen Stiftungen widmen wollten; aber sie konnten sich nicht auf eine Linie einigen. Eine dünne gemeinsame Erklärung im November, unbeachtet von der Öffentlichkeit, beendete eine zweijährige, wohl nie ernst gemeinte Auseinandersetzung mit den Nichtwählern.

Pointiert: Alle drei skizzierten ernsthaften Krisen-Tendenzen wirken wie Viagra für Verachtung, wie ein Katalysator für Verächtlichmachung und als unfreiwillige Einladung die begonnene Verrohung in der Auseinandersetzung noch zu verschärfen.

Dieser Beitrag erschien in gekürzter Form Ende 2016 bei Zeit Online.

 


 

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