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Es liegt nicht in unserer Hand: Eine spieltheoretische Analyse des SPD-Mitgliedervotums zur Koalitionsfrage

von and , 13.12.13

Wie dieser Beitrag zeigt, handelt es sich dabei um eine klassische spieltheoretische Versuchsanlage, die unter dem Begriff “Brinkmanship” bekannt ist: Riskant spielen, hoch gewinnen – oder hoch verlieren.

Was wollte die SPD-Führung um Sigmar Gabriel mit der Ankündigung eines verbindlichen Mitgliedervotums bezwecken?

Die offizielle Verlautbarung, dass man die Mitbestimmung innerhalb der Partei verbessern möchte, könnte nur eine vorgeschobene Erklärung sein. Vielmehr ist es möglich, dass es sich um einen strategischen Schachzug handelt, der zwar vordergründig den eigenen Handlungsspielraum einschränkt, jedoch schlussendlich einen „sozialdemokratischeren“ Abschluss der Koalitionsverhandlungen erzwingt.

Diese Strategie der SPD-Führung, mittels eines Mitgliederentscheids die endgültige Entscheidung aus der eigenen Hand zu geben und somit das Scheitern der Koalitionsverhandlungen in Kauf zu nehmen, entspricht dem spieltheoretischen Konzept des Brinkmanships.

 

Mitgliederentscheid als strategische Option

Unter Brinkmanship versteht man eine Strategie, bei der mit einer riskanten Verpflichtung die Gegenseite vor die Wahl gestellt wird, entweder einzulenken oder aber ein für beide Seiten sehr negatives Ergebnis zu riskieren (vgl. Dixit & Skeath, 2004, Kapitel 14).

Übersetzt in die Welt der Koalitionsverhandlungen bedeutet dies, dass die SPD mit ihrer Entscheidung für einen Mitgliederentscheid die Union vor die Wahl zwischen einem Kompromiss mit stärkerer sozialdemokratischer Note oder aber dem Scheitern der Großen Koalition stellt (siehe Abbildung 1).

Die SPD konnte somit trotz des schwachen Wahlergebnisses durch dieses strategische Manöver mit Verweis auf ihren Mitgliederentscheid in den Koalitionsverhandlungen fordernder auftreten. Ob sich diese Strategie jedoch als gute Wahl für die SPD erweist, hängt insbesondere von der Reaktion der Unionsparteien ab.
 
Abbildung 1: Entscheidungsmöglichkeiten der Parteiführungen
 

Grafik: Kerk/Michel

 
Es ist entscheidend, wie die Union auf die Einführung dieser zusätzlichen Hürde reagiert und ob sie der SPD somit inhaltlich entgegenkommt oder nicht. CDU und CSU könnten auch auf ihrem starken Wahlergebnis bestehen und einen deutlich christdemokratisch geprägten Koalitionsvertrag durchsetzen.

Damit würde die Union mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Ablehnung des Koalitionsvertrags durch die SPD-Mitglieder riskieren. Ein solches Scheitern würde die Union wiederum vor die Wahl zwischen zwei Übeln stellen, nämlich entweder den Versuch einer Schwarz-Grünen Koalition mit weiteren Zugeständnissen oder aber Neuwahlen mit ungewissem Ausgang.

Da diese Ausweichoptionen als unattraktiver für die Union erscheinen, ist in dieser Situation ein inhaltliches Entgegenkommen die beste Möglichkeit. Der tatsächlich ausgehandelte Kompromiss, einschließlich Mindestlohn und Rente mit 63, deutet daher auch darauf hin, dass sich der Koalitionsvertrag durch ein Entgegenkommen der Union zu Gunsten der SPD entwickelt hat und die Strategie somit Erfolg hatte.

 

Brinkmanship führt zu sozialdemokratischerem Abschluss

Ein interessanter Vergleich zum Brinkmanship ist die Situation der Koalitionsverhandlungen ohne die Drohung eines Mitgliederentscheids. Hierfür kann man die Verhandlungstheorie von John Nash (1950) anwenden. Gemäß dieser Theorie hängt das Ergebnis der Verhandlungen entscheidend von den Alternativen ab, welche die verhandelnden Parteien im Falle eines Scheiterns haben. In Anbetracht des Wahlergebnisses hat die Union deutlich bessere Alternativen als die SPD hat. Daher wäre ohne strategisches Verhalten der SPD-Führung ein stark christdemokratisch geprägter Koalitionsvertrag zu erwarten gewesen. Diese Verhandlungslösung wird durch Punkt A in Abbildung 2 repräsentiert.
 
Abbildung 2: Mögliche Abschlüsse der Koalitionsverhandlung
 

Grafik: Kerk/Michel

 
Durch das Mitgliedervotum gibt die SPD-Führung jedoch die Entscheidung aus der Hand und ist somit bei den Verhandlungen nur noch Vermittler zwischen SPD-Basis und Unionsspitze. Da die SPD-Basis im Gegensatz zur SPD-Führung nicht persönlich von einer Regierungsbeteiligung profitiert, verkleinert sich der Bereich, in dem beide Seiten von einem Kompromiss profitieren.

Die Zustimmungsgrenze der SPD-Basis wird von Punkt B in Abbildung 2 repräsentiert. Dadurch verschiebt sich das zu erwartende Ergebnis in die Richtung der Sozialdemokraten, allerdings auf Kosten des Risikos des Scheiterns im Falle eines fehlenden Entgegenkommens der Union.

 

Ein Modell mit Zukunft?

Schlussendlich hat die SPD-Führung durch die riskante Entscheidung, ein verbindliches Mitgliedervotum durchzuführen, einen deutlich “sozialdemokratischeren” Koalitionsvertrag erreicht. Die Gefahr dieser Strategie war eine Abkehr der Union von der großen Koalition, wie auch in den Sondierungsgesprächen zwischen Union und Grünen bereits angedeutet wurde. Da die Alternativen der Union allerdings nicht ausreichend attraktiv waren, kann die Entscheidung für ein Mitgliedervotum als Erfolg verbucht werden.

Abschließend stellt sich die Frage, ob sich ein derartiges Vorgehen als Vorbild für andere Parteien eignet und in Zukunft zum Standard wird.

Ein eigenes Mitgliedervotum der Union wäre zwar eine adäquate Gegenmaßnahme, allerdings würden dadurch auf Dauer die Koalitionsverhandlungen erschwert werden, da so die Schnittmenge zwischen den Parteien im Vergleich zu Verhandlungen zwischen den Führungsspitzen sinken würde. In letzter Konsequenz könnte dieses Vorgehen also zu Koalitionsverträgen mit populistischeren Maßnahmen führen, welche unbequeme Entscheidungen aussparen.

Diese Problematik verdeutlicht die Gefahr, dass zukünftige Koalitionsgespräche, in denen die Parteispitzen Mitgliederentscheide als strategisches Mittel einsetzen, in einem Verteilen von politischen Geschenken an die Basen enden.

Daher bleibt es interessant zu beobachten, wie sich die kühne Strategie der SPD-Führung auf zukünftige Koalitionsverhandlungen auswirken wird.

 

Literatur

  • Dixit, Avinash K. und Skeath, Susan (2004). Games of Strategy. W.W. Norton & Company, 2. Auflage, New York
  • Nash, John (1950). “The Bargaining Problem”. Econometrica 18 (2): 155–162

Crosspost von Ökonomenstimme, mit freundlicher Genehmigung der ©KOF ETH Zürich

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