von Lorenz Lorenz-Meyer, 7.6.13
Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist Themenschwerpunkt bei Carta, dazu veröffentlichen wir eine Serie von Beiträgen. Es geht vor allem um seine Ausgestaltung angesichts der veränderten technologischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.
In diesem Kontext war Carta auch Kooperationspartner einer Podiumsdiskussion am 7. Juni 2013 beim Medienforum NRW, gemeinsam mit dem Deutschlandradio. Die Aufzeichnung werden wir online stellen, sobald sie verfügbar ist.
“Wir sollten 2013, das Jahr der Einführung des Rundfunkbeitrags, nutzen, uns als Öffentlichkeit den Diskurs um einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk des 21. Jahrhunderts anzueignen.”
Jens Best am 07. Januar 2013 auf carta.info
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stehen in der Kritik. Sie werden kritisiert für ihre byzantinischen, hochkomplexen, hierarchischen und schwerfälligen Macht-und Entscheidungsstrukturen. Sie werden kritisiert für die mangelnde Transparenz bei den Finanzen und in der Programmgestaltung. Es wird ihnen vorgeworfen, dass sie sich im Kampf um die Publikumsgunst mehr und mehr dem niedrigen Niveau der privaten Rundfunksender angleichen.
Sie haben in den letzten Jahren wie das Kaninchen auf die Schlange immer wieder dorthin gestarrt, wo ihre größten Gegner sitzen, nämlich die kommerziellen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger. Sie haben für ihre Internet-Auftritte vieles in Regeln gegossen, was von jenen gefordert worden ist, vielfach ohne Notwendigkeit (Stichwort: “Depublizieren”), und ohne darüber eine offene und ergebnisoffene geführte Debatte zugelassen zu haben.
Fraglich ist auch, ob das Verfahren, das die Öffentlich-Rechtlichen dann für ihre Angebote eingeführt haben, der sogenannte Drei-Stufen-Test, geeignet ist, um die notwendige Struktur und Transparenz in den Konkurrenzkampf zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Anbietern im Internet zu bringen. Und schließlich, natürlich geht es auch immer noch und immer wieder um die Gebühren. 2013 ist das Jahr der Einführung der Haushaltsabgabe, mit teilweise recht dramatischen sozialen Konsequenzen.
Sehr viel von dieser Kritik ist berechtigt. Aber: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört uns allen, es ist unser Rundfunk! Und es erscheint mir sinnvoll, einmal nicht an die beschriebenen Probleme heranzugehen, indem man den Apparat, diesen aufgeblähten Popanz, wie er gerne dargestellt wird, per se für schlecht erklärt und pauschal verdammt. Da ist sicher vieles im Argen, aber es liegt auch an uns, einzufordern, dass es besser wird, und das verlangt nach einem konstruktiven und konkreten Diskurs, der im Sinne des oben angeführten Zitats von Jens Best in die Gesellschaft hineingetragen und verstärkt werden muss.
Meine persönliche Perspektive in dieser Diskussion ist natürlich die des Journalismus-Lehrers, also im Wesentlichen die des Journalismus selbst. Es geht mir hier somit zunächst um jene Programmanteile der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die journalistischer Natur sind.
Wir alle wissen, dass der Journalismus in der Krise steckt, hervorgerufen unter anderem durch veränderte Nutzungsgewohnheiten und die damit einhergehende Auflösung der klassischen Formate und Produkte. Der kanalbasierte Rundfunk ebenso wie das ‘Package’ Zeitung/Zeitschrift sind einfach nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen neue Formen finden, und wir müssen auch neue Begrifflichkeiten finden, um über die Fortsetzung des journalistischen Geistes im sich wandelnden Mediensystem zu sprechen und zu streiten. Und es ist sehr fraglich, ob die klassische Begrifflichkeit mit Kategorien wie Fernsehen, Rundfunk, Presse, aber auch die mühsam neu eingeführten Begriffe wie ‘Telemedien’ oder ‘Presseähnlichkeit’ wirklich geeignet sind, um die Diskussionen voran zu bringen.
Journalismuskrise heißt für viele vor allem: einbrechende Erlösmodelle, und es stellt sich die Frage: Kann man Qualitätsjournalismus überhaupt noch im freien Markt produzieren?
Dazu gibt es eine Reihe von Lösungsansätzen. In einem jüngst erschienenen Reader mit dem Titel “Journalismus in der digitalen Moderne” beispielsweise ist in mehreren Aufsätzen von Dingen wie “philanthropischen Finanzierungsmodellen” oder “stiftungsfinanzierten Medien” die Rede. Dieser sogenannte “dritte Weg” im Geschäft des Journalismus (neben Vertriebs- und Werbeerlösen) wird in letzter Zeit sehr viel diskutiert.
Ich muss gestehen: ich bin, was den “dritten Weg” angeht, ein bisschen skeptisch. Wenn man sich der Frage einmal historisch nähert und beispielsweise in die USA schaut, die immer als Beispiel für eine zivilgesellschaftliche Förderung des Journalismus genannt werden, dann zeigt sich, dass das Stiftungswesen dort zum großen Teil auf eine Zeit der “Räuberbarone” zurückgeht, mit großen Industriellen wie Andrew Carnegie, die sehr schnell zu immens viel Geld gekommen sind und es sich dann leisten konnten, wohltätig zu sein und Universitäten zu gründen. Die zivilgesellschaftliche Finanzierung wurzelt somit in einer Zeit großer sozialer Ungleichheit und Ausbeutung, das ganze Freiwilligkeitskonzept hängt in vielen Fällen von sehr besonderen sozialen Umständen ab.
Und ich lade Sie herzlich dazu ein, sich mit dem Appell, etwas für den Qualitätsjournalismus zu spenden, an die Frankfurter Investmentbanker zu wenden. Aber ich denke, Sie werden es mir nachsehen, wenn ich nicht so sicher bin, dass wir von dort nachhaltige Unterstützung für eine kritische Öffentlichkeit bekommen.
Bleiben natürlich breit aufgestellte, dezentrale Spendenmodelle wie beispielsweise bei der Wikipedia, die eine bessere Legitimationsgrundlage haben und nicht im selben Maße abhängig sind von der Existenz und dem guten Willen reicher Menschen. Aber reicht das wirklich aus für einen hochwertigen und vielfältigen Journalismus? Warum bleiben wir nicht besser bei dem, was nach dem Krieg entstanden ist? Das öffentlich-rechtliche System ist eine Infrastruktur, die – zumindest dem Gedanken nach – einer gewissen demokratischen Kontrolle unterliegt, und die über Unwägbarkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung hinaus strukturell und institutionell garantiert ist. Ich halte das für eine große zivilisatorische Errungenschaft.
Natürlich müssen wir uns die Frage gefallen lassen, ob das öffentlich-rechtliche System, so wie es im Moment betrieben wird, wirklich noch zeitgemäß ist. Aber im Grundsatz halte ich es für das weit überlegene Modell, gerade im Bereich des Journalismus. Und damit habe ich auch einen geschätzten Kollegen auf meiner Seite, den Medienjournalisten Stefan Niggemeier, der 2009 in einem Aufsatz der Zeitschrift “Aus Politik und Zeitgeschichte” schrieb:
„In den Vereinigten Staaten gibt es schon Modelle, wie investigativer Journalismus durch Stiftungen finanziert werden kann. In der Debatte darüber fehlt auffallend der Gedanke, dass ARD und ZDF die natürlichen Institutionen wären, die solche Formen, die sich privatwirtschaftlich nur schwer oder gar nicht refinanzieren lassen, aber für eine Demokratie elementar sind, ermöglichen können.“
Wenn man jetzt diese Ideen an das bestehende System heranträgt, betritt man einen heiß umstrittenen Diskussionsraum, dessen Bandbreite ich hier mit zwei Extrempositionen markieren möchte.
Die maximalistische Position besagt: die Öffentlich-Rechtlichen dürfen per Gesetz und Auftrag eigentlich alles. Sie dürfen nicht nur informieren und bilden, sondern auch unterhalten, und sie dürfen das auch auf Plattformen, die technologisch über den klassischen Rundfunk hinausgehen. Diese Position ist durch das Verfassungsgericht bestätigt und immer wieder neu ausgedeutet und ausgeweitet worden.
Ich bin ein Freund und mit gewissen Einschränkungen auch ein Anhänger dieser maximalistischen Position. Ich glaube aber, dass es taktisch und mittelfristig auch strategisch klüger ist, mit einer minimalistischen Position zu beginnen, die sich eher an dem orientiert, was die BBC in Großbritannien sehr erfolgreich gemacht hat: Ausgehend von einem Prinzip der Subsidiarität gesteht man den Öffentlich-Rechtlichen Spielräume nur dort zu, wo es die kommerziellen Anbieter nicht so recht hinkriegen.
Gemäß der maximalistischen Position hat die Freiheit der Öffentlich-Rechtlichen absoluten Vorrang, und die privaten Anbieter dürfen auch gerne mitspielen, wenn sie können. Gemäß der minimalistischen Position schaut man erst mal, was denn die Privaten können, und gibt dann den Öffentlich-Rechtlichen Lizenz für das, was privat nicht wirklich zu leisten ist.
Letzteres ist nach Ansicht vieler Verfechter des öffentlich-rechtlichen Systems und auch meines Erachtens eine zu schwache Argumentationsposition, die ich mir hier auch nicht zu eigen machen möchte. Ich möchte hier nur einmal fragen: Was wäre eigentlich, ausgehend von einer solchen minimalistischen Position, möglich?
Für die Aufgabe der öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten gibt es den Begriff des ‘Public Value’. In einer Definition, die ich bei meinem Kollegen Volker Lilienthal gefunden habe, bedeutet dieser Begriff “gesellschaftlicher Mehrwert für die öffentliche Diskussion”.
Wenden wir diese Definition nun auf eine Medienwelt an, in der wir es nicht mehr alleine mit zentralen Akteuren zu tun haben, in der wir es nicht mehr nur mit Profis zu tun haben, in der wir es nicht mehr nur mit den klassischen Übertragungswegen zu tun haben, eine Medienwelt, bereichert durch das Internet mit seinen vielfältigen Möglichkeiten, die wir mittlerweile alle kennen und mögen. Was könnte ‘Public Value’ hier heißen?
‘Gesellschaftlicher Mehrwert für die öffentliche Diskussion’, erbracht von den Öffentlich-Rechtlichen mit ihrem professionellen Personal, mit ihren professionellen Strukturen – das könnte meines Erachtens zweierlei bedeuten.
Zum einen eine professionelle Hilfestellung im sozialen und partizipativen Medienraum Internet: All denen, die sich dort artikulieren wollen, die Initiativen starten, Geschäfte gründen wollen, die Informationsflüsse in Gang bringen wollen, könnten hier Profis aus bestehenden Infrastrukturen hilfreich zur Seite stehen. Das kann durch orientierende Angebote ebenso geschehen wie durch medienpädagogische Dienstleistungen.
Zum anderen greife ich eine Forderung auf, die immer wieder an die Öffentlich-Rechtlichen gestellt wird, nämlich, einfach gute Sachen zu machen und diese dann vorzuzeigen. Sie sollen einen “qualitativen Beitrag zum publizistischen Wettbewerb” leisten, so heißt es im Drei-Stufen-Test für Telemedien. Das kann einfach eingelöst werden durch Setzung und Umsetzung hoher qualitativer Standards im Journalismus.
Ich habe nun aus diesen zwei allgemeinen Überlegungen eine Reihe von konkreten Vorschlägen abgeleitet, die ich Ihnen jetzt vorstellen möchte. Der Vortrag steht unter dem Titel “Jagen, Sammeln, Pflegen“, und diese drei Tätigkeiten sollen jetzt auch meine Vorschlagsliste strukturieren.
Jagen
Unter “Jagen” verstehe ich die journalistische Tugend der gründlichen und in manchen Fällen auch investigativen, Widerstände überwindenden Recherche. Hier stelle ich mir zunächst vor, dass man den Anteil des recherchierenden Journalismus in den öffentlich-rechtlichen Anstalten und Programmen wieder steigert und diese Arbeit aufwertet, und dass man diese Prozesse und ihre Resultate gleichzeitig in Form von Leuchtturmprojekten mit Werkstattberichten im Internet aufbereitet.
Auf diese Weise kann man dem Publikum klarmachen, wie kritische Öffentlichkeit eigentlich zustande kommt, und was die Aufgabe der Journalisten in einer Gesellschaft ist, in der doch sehr viel relevante Information versteckt und geheim gehalten wird.
Man könnte auch, von Seiten der Öffentlich-Rechtlichen, Recherchestipendien ausschreiben für Journalisten, sowohl im Amateur- als auch im professionellen Bereich, also zum Beispiel auch für Blogger. Und schließlich – aber das ist eher ein Seitenaspekt – könnte man eine Art “Themenklappe”, eine “Leaks”-Schnittstelle für die eigene investigative Arbeit einrichten.
Dafür gibt es natürlich Vorbilder, zum Beispiel – aus dem stiftungsfinanzierten Bereich – das Projekt Pro Publica in den USA, bei dem für das Gemeinwohl investigativ journalistisch gearbeitet wird, und das sich gleichzeitig als Katalysator versteht für einen toughen, hochwertigen, investigativen Journalismus, vor allem im Bereich Politik und Wirtschaft. Und natürlich knüpfe ich mit meinen Vorschlägen auch an Dinge an, die das Netzwerk Recherche schon macht – übrigens auch in Partnerschaft mit öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten: die Jahrestagung des nr findet jedes Jahr in den Räumen des NDR in Hamburg statt.
Sammeln
Kommen wir zum “Sammeln”. Es gibt im Internet ja schon unglaublich viel an guten und interessanten Inhalten. Das Problem ist nur, diese Sachen zu finden.
Ich habe 2010 auf der re:publica darüber gesprochen, dass ich mir eine große, integrative Aggregationsplattform für politischen Journalismus wünsche. Ich habe damals von zwei Polen gesprochen: auf der einen Seite der “Perlentaucher”, ein redaktionell gepflegtes Aggregationsangebot zu Kulturthemen, wo jede Nacht ein paar Leute sitzen, Zeitung lesen und das aufschreiben. Und auf der anderen Seite Dienste wie Rivva, die algorithmisch funktionieren, und die mithilfe eines Crawling-Systems Themen einsammeln, ordnen und gewichten, die in der Netzöffentlichkeit gerade diskutiert werden.
Und ich habe mir vorgestellt, dass man das eigentlich verbinden können sollte. Das ist übrigens auch im Sinn von Frank Westphal, der Rivva eigentlich als ein Werkzeug für die Arbeit in journalistischen Redaktionen programmiert hat, als ein Tool, das man einsetzen kann, um sich einen Überblick über die gerade aktuellen Hot Topics zu verschaffen. Und wenn man die beiden Pole verbindet, kommt man zu einem Begriff, der auch von Frank Westphal stammt: Als ich ihm von meiner Idee einer politischen Aggregationsplattform erzählt habe, hat er das den “Rivvapolittaucher” genannt.
Der Rivvapolittaucher wäre eine Art überdimensionale Presseschau, ein fortgeschriebenes Angebot, in dem immer wieder gezeigt wird: Was sind gerade die heißen Issues, wer hat dazu publiziert? – nicht nur Zeitungen, Zeitschriften, nicht nur Blogger, sondern auch die Think Tanks, die Universitäten, die Parteien, die Parlamentarierbüros. Und es würde nach journalistischen Kriterien eingeordnet und gewichtet und gäbe somit Orientierung in diesem Diskursraum. Das ist die Idee.
Das lässt sich im Bereich Politik machen, und das lässt sich natürlich – sehr sinnvoll – auch im Bereich Wirtschaft und Finanzwelt machen. Das lässt sich eigentlich in allen großen Themenfeldern machen, aber es gibt so etwas erstaunlicherweise nicht. Abgesehen von den Perlentauchern, die das in ihrem kleinen Rahmen für die Kulturpresse seit vielen Jahren wirklich sehr gut umsetzen, gibt es solche zumindest weithin sichtbaren und national relevanten Aggregationsportale für aktuelle Inhalte in Deutschland nicht.
Auch in diesem Bereich gibt es natürlich dennoch Vorbilder, zwei habe ich schon genannt: die Perlentaucher und Rivva, aber Sie können natürlich auch die Huffington Post dazu zählen, oder als einen frühen Vorläufer Matt Drudge mit seiner Sammlung verlinkter Schlagzeilen, oder Community Newssites wie Reddit.
Pflegen
Ich komme nun zu meinem dritten Begriff, “Pflegen”, für den ich zwei verschiedene Aspekte unterscheiden möchte. Pflegen, das kann zum einen Unterstützung für diejenigen bedeuten, die keine professionelle Ausbildung genossen haben. Zum Beispiel durch Schulungsangebote für die sogenannten “Produser”, also für Leute, die vom passiven Nutzer zum aktiven Teilhaber im Medienraum geworden sind. Diese Leute müssen sich dafür vielfach autodidaktisch Kenntnisse in Gebieten aneignen, für die es eigentlich auch ein arriviertes handwerkliches und theoretisches Wissen gibt – ein Wissen, das man weitergeben kann. Und es gibt Gebiete, wo ich das für besonders wichtig halte, wie zum Beispiel das Medienrecht oder die Medienethik.
Ich habe in einem anderen Zusammenhang einmal darauf hingewiesen, dass die Vorstellung von einer Million potentieller Papparazzi im Land eine sehr unangenehme Vorstellung ist. Das heißt, es müssen Diskussionen geführt werden über medienethische und medienrechtliche Fragen.
Denken Sie an die Drohne, die hier auf der re:publica durch die Halle und über den Hof fliegt und Videoaufnahmen macht. Was kann man mit solchen Gadgets alles anstellen, und was darf man mit ihnen machen? Das sind Fragen, über die man einfach reden muss, und ich kann mir vorstellen, dass die Öffentlich-Rechtlichen eine Art Plattform und Drehscheibe für einen solchen Bildungsdiskurs werden könnten.
Ein Vorbild in diesem Bereich ist zum Beispiel die BBC, die das College of Journalism betreibt, eine virtuelle Journalistenschule, die für alle offen ist. Dort kann man sich bei Lehrern aus dem Profi-Stall der BBC über Recherche informieren, oder man kann dort lernen, wie man eine gute Reportage schreibt.
In Deutschland gibt es die Deutsche Welle Akademie, die das interessanter Weise – und natürlich auch sinnvoller Weise, so wie die Deutsche Welle aufgestellt ist – im Ausland macht. Das heißt, die betreiben klassische Journalistenförderung in Lateinamerika, in Afrika, in Asien, haben aber inzwischen auch ein ziemlich interessantes Curriculum zum Einsatz von Social Media, und man fragt sich, warum kommt so etwas nicht auch bei uns an? Warum ist das nach außen gerichtet, und warum bieten die Öffentlich-Rechtlichen nicht genau diese Art von Schulung, Vermittlung von Stoffen auch im eigenen Land an?
Die iTunes University schließlich kann uns vor allem in einer Hinsicht als Vorbild dienen: als eine Art Aggregationsplattform für pädagogische und Bildungsinhalte. Denn auch hier bin ich wieder der Ansicht, dass es uns nicht um ein zentrales Angebot gehen muss, das dann von einer Hand kontrolliert wird, sondern um das Einsammeln von vorhandenen Strukturen und um einen zusätzlichen Beitrag dazu.
Der zweite Aspekt des Begriffs “Pflegen”, von dem ich sprechen möchte, knüpft an datenjournalistische Fragestellungen an. Es gibt inzwischen eine Schwemme von Daten, auch wenn es in vieler Hinsicht immer noch viel zu wenige sind. Und leider sind viele von diesen Daten relativ wertlos. Hier würde ich mir wünschen, dass man gemeinsam mit den Öffentlich-Rechtlichen an einer ‘mid-level’ Aufbereitung dieser Daten arbeitet.
Das heißt, dass man die Daten sichtet, dass man die relevanten heraussortiert und sie in eine Form bringt, dass man sinnvolle Fragen an diese Daten stellen kann – indem man sie zum Beispiel zunächst einmal strukturiert, interaktiv macht, möglicherweise auch schon mit dynamischen Visualisierungen arbeitet. Es würde so eine Art Daten-Repository für Open Data entstehen, in das hinein man als interessierter Mensch, als Bürger, als Bürgerjournalist, seine Anfragen stellen und gegebenenfalls daraus interessante Dinge machen kann. Das wäre also auf dem halben Weg der Wertschöpfungskette von Datenjournalismus eine Art Service-Angebot.
Vorbild für diese Idee ist wieder Pro Publica, die auf ihrer Seite “Tools and Data” ähnliches tun. Auch dort findet man Datenbestände, die schon ‘halb aufbereitet’ sind.
Soweit die Liste von konkreten Vorschlägen, die ich Ihnen mitgebracht habe, und ich erinnere Sie wieder daran, dass meine Forderungen hier sehr zurückhaltend und bescheiden sind. Ich denke, wir können von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf lange Sicht, aber auch jetzt schon, sehr viel mehr verlangen. Ich glaube nur, es ist sinnvoll, mit Schritten anzufangen, bei denen deutlich sein sollte, dass sie auch in der kurzen und mittleren Frist umsetzbar sind.
Mir ist bewusst, dass ich trotzdem hier schon kritische Reviere betrete. Bei den Aggregationsplattformen zum Beispiel ist unklar, ob wir da nicht schon in den Bereich des Leistungsschutzrechts hinein wildern. Aber ich halte es für sinnvoll, dass man genau diesen Streit auf der Strukturebene der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten führen lässt – weil es um so etwas wie das Gemeinwohl versus wirtschaftliche Partikularinteressen geht. Und ich kann mir vorstellen, dass die Anwälte der Öffentlich-Rechtlichen besser munitioniert werden könnten als die Anwälte einzelner kleiner Blogger, einen solchen Streit gegen das Leistungsschutzrecht oder um die Auslegungsspielräume des gerade verabschiedeten Gesetzes zu führen.
Die Prinzipien, die meinen Vorschlägen zugrunde liegen, und die man natürlich auch in vielen weiteren und weitergehenden Projekten für die öffentlich-rechtlichen Anstalten ausdeuten könnte, sind die folgenden:
Erstens, es bedarf größtmöglicher Transparenz in der eigenen journalistischen Arbeit – zum Beispiel bei den investigativen Leuchtturmprojekten und den Schulungen. Das verlangt ein nach außen Kehren der eigenen journalistischen Tugenden, was natürlich auch dazu führt, dass man sich noch mehr Gedanken darüber macht: Was ist eigentlich guter Journalismus? Wenn ich etwas unterrichte, wenn ich versuche, es in die Bevölkerung zu bringen, bin ich auf andere Weise in der Verantwortung, als wenn ich es nur hinter verschlossenen Türen im Mauschelkämmerlein tue.
Das zweite Prinzip, und das macht einen großen Unterschied zu möglichen privaten Anbietern aus, ist die nahtlose Integration von Dritten: von Bloggern, von anderen Medienanbietern, von Institutionen. Dieses über den eigenen Tellerrand Hinausschauen ist etwas, das wir von privaten Anbietern, sei es Zeitungsverlegern, sei es privaten Rundfunkanstalten, tatsächlich nicht erwarten können. Denn die haben ein ganz natürliches, strukturelles Interesse, die Menschen in ihren eigenen Revieren zu halten – ein Interesse, das es strukturell zumindest bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht gibt oder nicht geben müsste.
Drittens geht es um eine Qualitätsförderung journalistischer Arbeit von Profis und Amateuren, oder, anders herum: von Amateuren und Profis. Es geht nicht nur darum, Bürgerjournalisten oder Bloggern solche Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, sondern man sollte durchaus zum Beispiel auch den Lokalzeitungsredakteur, der eine Weiterbildung braucht, mit einbeziehen in dieses System journalistischer Qualitätsförderung, so dass Amateure und Profis, Profis und Amateure in den Genuss dessen kommen.
Und das Ganze sollte viertens unter dem Qualitätssiegel klassischer journalistischer Tugenden stehen. Das ist mir besonders wichtig. Ich halte im Journalismus Professionalität immer noch für etwas Gutes. Es gibt im Journalismus viele Dinge, die kann man nur als Profi machen kann, zum Beispiel große arbeitsteilige Rechercheprojekte. Natürlich kann man in manchen Fällen Crowdsourcing betreiben, aber es gibt viele Fälle, bei denen eine professionelle Infrastruktur sinnvoll ist, und man tut gut daran, Professionalisierung auch in das Feld der dezentralen Öffentlichkeit hineinzutragen.
Damit bin ich am Ende meiner Überlegungen. In guter Internet-Tradition gibt es zum Schluss noch eine sehr kurze Zusammenfassung meiner Thesen:
tl;dr
+ Öffentlich-Rechtliche gehören UNS und stellen eine höhere zivilisatorische Leistung dar als stiftungsfinanzierte Medien
+ Sie können einen wesentlichen Beitrag zur Förderung einer internetbasierten Öffentlichkeit leisten, vor allem im Bereich der journalistischen Aggregation, Ausbildung, Investigation und Datenpflege
+ Große Teile dieses möglichen Beitrags stehen nicht in Konkurrenz zu privaten Medien
Anmerkung: Dies ist die nur geringfügig polierte Version eines Vortrags, den der Autor am 8. Mai 2013 auf der re:publica in Berlin gehalten hat.
In der Carta-Serie zum öffentlich-rechtlichen Rundkunk bereits erschienen:
- Jürgen Kalwa, Das Volk will mehr Volksempfänger
- Christian Potschka, Alle Macht den Rundfunkräten