#AfD

Die Globale Klasse – Eine andere Welt ist möglich. Aber als Drohung.

von , 25.10.16

Die westliche Welt ist in heller Aufregung. Von überall her sprießen neue rechte Bewegungen aus dem Boden oder gewinnen an Fahrt. Von Trump, über AfD, FPÖ, Le Pen bis zu Brexit scheinen sie Leuten eine Stimme zu geben, die vorher glaubten nicht zu Wort gekommen zu sein. Seitdem wird abseits der „besorgten Bürger“ gerätselt, was die Ursachen für diesen Unmut sein könnte.

Es ist vielleicht kein Zufall, dass gerade die Linke hier einen gespenstischen Wiedergänger ihrer Selbst gefunden haben zu glaubt. Und so sind auch die interpretatorischen Vereinnahmungsversuche nicht weit. Das seien alles Globalisierungsverlierer, vom kapitalistischen System abgehängte, die hier ihre politische Stimme finden. Die rüsten für den Klassenkampf, aber haben aufgrund „falschen Bewusstseins“ nur noch nicht realisiert, dass ihr eigentlicher Feind der Kapitalist ist.

Die Zahlen geben das allerdings nicht her. Zwar ist es richtig, dass sich das Heer der Frustrierten zu einem Gutteil aus geringverdienenden und wenig gebildeten Dienstleistungsarbeiter/innen speist. Aber da ist ist noch eine zweite, fast genau so große Gruppe. Das mittlere Bürgertum ist ebenfalls gut vertreten auf den Barrikaden. Heinz Bude spricht schon von einer strategischen Allianz aus Arbeiterschaft und frustriertem Bürgertum. Doch während sich die Motivlagen der prekär Beschäftigten marxistisch deuten lassen, passen die Wutbürger nicht so recht ins Bild.

Ist das nicht ein merkwürdiger Klassenkampf, in der Arbeiter und Bürger Seit an Seit gemeinsam kämpfen?

Der blinde Fleck, der uns befällt, wenn wir darauf schauen wollen, was diese Leute aufregt, ist deswegen wirksam, weil wir selbst Stein des Anstoßes sind. Verlegen schauen wir uns um, aber da ist niemand. Uns? Sie meinen tatsächlich uns?

Ja, das tun sie. Arbeiter und Bürger haben sich zusammengeschlossen, um gegen eine dritte Klasse zu kämpfen. Um diese Klasse überhaupt wahrzunehmen muss man etwas sehr unangenehmes tun. Man muss, statt den Frust der Wutbürger als verkappten Verteilungskampf wegzuinterpretieren, einmal hinhören, was diese Leute von sich geben. Man muss sich in sie hineinversetzen, muss den Slogans lauschen und ihre Narrative nachvollziehen. Man muss zwar nicht ihre Ängste, aber ihre Parolen ernst nehmen.

Da ist zunächst die Erzählung einer Verschwörung, über alle Parteigrenzen hinweg. Es gäbe gar keine echte Demokratie mehr, sondern nur noch die Einheits-Blockpartei CDUSPDFDPGRÜNELINKE. Auch die Medien („Lügenpresse“) steckten mit unter der Decke. Gut wird empfunden, dass die endlich Gegenwind bekämen (Trump, Le Pen, AfD, FPÖ, Brexit) und sich eine „echte Alternative“ (Alternative für Deutschland, Alt-Right-Movement) bildete.

Es ist leicht, diese Vorstellungen als Spinnerei abzutun, aber wenn man sich die drei wesentlichen Eckpfeiler der neurechten Programmatik besieht – Migration, Globalisierung und Political Correctness – dann ist nicht zu leugnen, dass es in diesen Bereichen tatsächlich einen gewissen Grundkonsens in den Medien und Parteien (die CSU mal ausgeschlossen) gibt. Ein Konsens, von dem allerdings gerne angenommen wird, dass es ein gesamtgesellschaftlicher Konsens ist. Weil es vernünftig ist. Weil es menschlich ist. Weil es das einzig richtige ist. Da müssten doch alle dafür sein. Nicht?

Hand aufs Herz! Ist es nicht erschreckend, dass man sich als Linker in so vielen politischen Fragen auf einmal an der Seite von Angela Merkel wähnt. Dass man anfängt, Projekte wie die Europäische Union zu verteidigen oder dass Yanis Varoufakis in pathetischen Ton verkündet, er wolle den Kapitalismus retten. Als genuin linkes Projekt! Gibt es nicht tatsächlich längst bei vielen Fragen einen Konsens, der über alle klassischen politischen Grenzen hinweg als „alternativlos“ empfunden wird? Refugees Welcome und kein Fußbreit. Aber auch: die Globalisierung ist eine im grunde positive Sache, das N-Wort sagt man nicht und Minderheitenrechte müssen geschützt werden. Doch wie weit geht dieser Konsens? Nicht so weit wie wir dachten.

Wir vergessen, dass politische Verortung eine Frage der Perspektive ist. So wie Köln und Düsseldorf sich als grundverschiedene Städte begreifen und der Berliner nur “Ruhrpott” sieht, sehen die besorgten Bürger in uns eine homogene Gruppe. Wir sind das nicht gewohnt, weil es unserer binnenwahrnehmung widerspricht. Aber das spielt keine Rolle, denn wir werden von rechtsaußen so wahrgenommen. Und wir werden längst so referenziert. Donald Trump und das Alt-Right-Movement haben einen Namen für uns. Sie nennen uns „the globalists“.

Würde Trump lesen, könnte er sich dabei auf Ralf Dahrendorf beziehen. Er hat diese Klasse bereits recht treffend um die Jahrtausendwende beschrieben. Der sich aufspannende globale Raum habe den Aufstieg dieser neuen Klasse ermöglicht. Die „globale Klasse“ ist es, die für sich die Chancen der Globalisierung entdeckt und sie zu ihrer Produktivkraft gemacht hat: den Unterschied. Damit meinte er schon damals nicht nur den kapitalistischen Großunternehmer, der seine Produktion nach Asien verlagert, sondern auch den Jogalehrer oder das chinesische Familienrestaurant in Bottrop.

Es wird Zeit über Dahrendorfs These hinauszugehen, denn seitdem ist diese globale Klasse rasant angewachsen und hat sich kulturell stabilisiert. Der Unterschied ist immer noch die von ihr kontrollierte Produktivkraft, jedoch verallgemeinert: als Information.

Es gibt heute eine globalisierte Klasse der Informationsarbeiter, der die meisten von uns angehören und die viel homogener und mächtiger ist, als sie denkt. Es sind gut gebildete, tendenziell eher junge Menschen, die sich kulturell zunehmend global orientieren, die die New York Times lesen statt die Tagesschau zu sehen, die viele ausländische Freunde und viele Freunde im Ausland haben, die viel reisen, aber nicht unbedingt, um in den Urlaub zu fahren. Es ist eine Klasse, die fast ausschließlich in Großstädten lebt, die so flüssig Englisch spricht, wie ihre Muttersprache, für die Europa kein abstraktes Etwas ist, sondern eine gelebte Realität, wenn sie zum Jobwechsel von Madrid nach Stockholm zieht.

Europa und Nordamerika mögen Schwerpunkte sein, doch die Klasse ist tatsächlich global. Eine wachsende Gruppe global orientierter Menschen gibt es in jedem Land dieser Erde und sie ist gut vernetzt. Diese neue globalisierte Klasse sitzt in den Medien, in den StartUps und NGOs, in den Parteien und weil sie die Informationen kontrolliert („liberal media“, „Lügenpresse“), gibt sie überall kulturell und politisch den Takt vor. Das heißt nicht, dass sie politisch homogen im eigentlichen Sinne ist – zumindest empfindet sie sich nicht so – sie ist zum Beispiel in Deutschland fast im gesamten Parteienspektrum zu finden, in der CDU, SPD, LINKE, GRÜNE, FDP. Diese Klasse entspringt dem Bürgertum, aber hat sich von ihm emanzipiert.

Die Machtverschiebung ging im Stillen vor sich. Irgendwann begann sich der progressivere Teil des Bürgertums sozial enger mit seinesgleichen über Ländergrenzen hinweg zu vernetzen und kulturell zu orientieren. Die globale Klasse entstand und hat den kulturellen Wandel der Globalisierung beschleunigt. Globale Standards nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in Politik, Kultur und Moral. Die progressiven, zunehmend global orientierten haben die anderen einfach abgehängt. Aber weil sie anders herrscht und weil sie sich dabei mit der Gesellschaft selbst verwechselt, merkt sie es nicht mal. Sie hat keine Gewalt auf ihrer Seite und die meisten haben noch nicht einmal wahnsinnig viel Geld. Im Gegenteil. Die globale Klasse hat zwar sehr reiche Individuen hervorgebracht, vor allem im Silicon Valley, aber interessanter Weise nutzen sie diesen Reichtum vor allem wieder, um es in diskursives Kapital zurückzuverwandeln; in andere StartUps oder in ambitionierte Weltrettungsprogramme. Denn insgeheim weiß sie längst, was die eigentliche Quelle ihrer Macht ist: Sie kontrolliert den Diskurs, sie kontrolliert die Moral.

Wer die Jungle World* liest, gehört unweigerlich zur globalen Klasse. Egal, wie linksradikal oder gar kommunistisch sich die Leser hier wähnen mögen, mit ihrem Weltbild sind sie uneingestandener Maßen viel näher an Obama und Justin Trudeau, als an den meisten Deutschen. Wir halten trotz der „neoliberalen Scheiße“ die EU für eine gute Idee und gucken zu Hause Netflix-Serien im Original. Wir haben uns losgesagt von den regionalen und nationalen kulturellen Standards, Idiomen, Weltanschauungen und sind auch noch stolz darauf. Wir rümpfen die Nase über die, die für ihre Identität und ihr Wertegefüge auf den Bezugsrahmen Nation nicht verzichten können oder wollen.

Und das merken die anderen, die kulturell Abgehängten. Sie merken, dass uns ihre Welt zu klein geworden ist, dass wir uns moralisch überlegen fühlen und dass wir nach größerem streben. Vor allem merken sie, dass wir dabei erfolgreich sind, dass wir auf diesem Weg die Standards definieren, die nach und nach auch an sie selbst angelegt werden. Ökologische, antirassistische, antisexistische Standards. Politisch korrekte Standards eben. Und die Standards, die dabei entwertet und verdrängt werden, kamen mal aus dem Bürgertum, aus einer Zeit, als sie noch das Sagen hatten. Es ist eine kulturelle Gentrifizierung.

Auf magische Weise hat das Bürgertum trotz Grundbesitz, privater Krankenvorsorge und leitenden Angestelltenfunktion die Deutungshoheit verloren. „Take Back Control“, der Slogan der Brexiter ist der eigentliche Schlachtruf all der neurechten Bewegungen. Es gibt gerade im Bürgertum das Gefühl des Kontrollverlusts. Gemeint damit ist der Verlust der kulturellen Hegemonie, der als nationale „Souveränität“ erinnert wird. Englische Standards wurden in England bestimmt, Deutsche in Deutschland, amerikanische in den USA. Die globale Klasse bringt alles durcheinander!

Und das ängstigt die Arbeiter genau so wie die Bürger selbst. Es ist nicht so, dass die Arbeiter Eliten ablehnen, im Gegenteil. Aber viele wollen ihre alten Eliten zurück, die noch in derselben Welt gelebt haben wie sie. Deswegen schafft Trump, was Mitt Romney nicht schaffen konnte: Identifikationsfigur zu sein und positiver Entwurf einer Elite zu sein, zu dem sich die Arbeiter verbinden können. Trumps Erfolg kommt ohne Bildung und ohne Political Correctness aus, deswegen wirkt er erreichbar. Er repräsentiert eine entmachtete Elite der guten alten Zeit, die sich die Leute zurückwünschen. Eine Elite, die zwar egoistisch und brutal kapitalistisch war, die aber kulturell anschlussfähig und national bezogen blieb.

Und weil man gegen die globale Klasse nicht moralisch und argumentativ gewinnen kann, bleibt der alternativen Rechten nur noch, jede Moral und jedes Argument zu verweigern. Trump und Brexit und die Reahabilitation von „Völkisch“ sind argumentative und moralische Pflastersteine in unsere Vitrinen. Sie sind der internationale Aufstand gegen die kulturelle Hegemonie der globalen Klasse. Der Brexit macht die Richtung klar: eine andere Welt ist möglich. Aber als Drohung.

PS: wie es der Zufall so will, spülte mir meine Filterbubble genau zum Zeitpunkt der Veröffentlichung folgenden Text rein: Zwischen Hyperkultur in Kulturessentialismus. Er beschreibt meines Erachtens genau den selben Konflikt, den ich hier beschreibe, allerdings wesentlich detaillierter und soziologisch fundierter.

 

* Der vorliegende Text wurde urspr. für die Jungle World verfasst, dort aber nicht abgedruckt. Dazu schreibt der Autor auf seinem Blog, wo er den Text dann veröffentlichte:

„Ich schrieb also einen Text, der – wie das so meine Art ist – die Jungle World-Leser herausfordern sollte. Ich schrieb einen Text, der Widerspruch erzeugen wollte, indem er eine kritische Perspektive der Leser auf sich selbst erzwingt. Leider ging ich damit wohl zu weit, denn der Chef vom Dienst lehnte den Abdruck ab. (Ich wurde erst sehr spät über die Ablehnung informiert und die Begründung erfolgte auch erst auf Nachfrage). Ich finde das schon recht lustig, denn die Jungle World gilt gemeinhin als linkes Krawallblatt, das gerne kontroverse, die Linke herausfordernde Thesen in die Welt bläst, was ich durchaus zu schätzen weiß. Um so erstaunter bin ich, wie wenig Mut man hat, auch mal Texte zuzulassen, die wiederum den eigenen Narrativen zuwiderlaufen. Aber so ist das ja oft: gerne austeilen, aber nicht einstecken können.“

 


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