#GEZ

Das bestellte Datenschutz-Gutachten

von , 28.9.10

Dr. Hans Peter Bull war von 1978 bis 1983 der erste Datenschutzbeauftragte Deutschlands. Nun fällt er seinen Kollegen in den Rücken. Diese hatten gravierende Datenschutzmängel beim Entwurf zum neuen Rundfunkbeitragsstaatsvertrag festgestellt. Hans Peter Bull sollte mit seinem Gutachten die Bedenken der Datenschutzbeauftragten, die diese mit einem Schreiben vom 23. April 2010 sowie in einer Anhörung der Landes- und Rundfunkdatenschutzbeauftragten durch die Rundfunkreferenten der Länder am 7. September 2010 vorgebracht hatten, entkräften. Als Grundlage diente ihm der Entwurf des Rundfunkbeitragsstaatsvertrages vom 17.8.20101.

Wenn man die Reaktionen von ARD und ZDF liest, scheint ihm dies gelungen zu sein. Schließlich begrüßten ARD und ZDF das „ausführlich begründete“ Ergebnis. ZDF-Justitiar Carl-Eugen Eberle erklärte bei der Vorstellung des Gutachtens am Montag vor einer Woche:

Für den Einzug des Rundfunkbeitrags ist ein Modell entwickelt worden, das den bürokratischen Aufwand gering hält und Nachforschungen beim Beitragspflichtigen, so gut es geht, vermeidet. Das Gutachten von Prof. Bull bestätigt diese Verfahrensregelungen, die den Beitragspflichtigen entlasten, für einen effektiven Gesetzesvollzug sorgen und Beitragsgerechtigkeit gewährleisten.

Und SWR-Justitiar Hermann Eicher stellt fest:

Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist es von großer Bedeutung, dass die Neuordnung der Rundfunkfinanzierung höchsten datenschutzrechtlichen Anforderungen genügt. Es ist daher erfreulich, dass ein ausgewiesener Fachmann auf diesem Gebiet die Regelungen im Staatsvertragsentwurf unter datenschutzrechtlichen Aspekten für geeignet, erforderlich und angemessen hält.

Doch gibt das Gutachten dies so her? Wenn man das Gutachten von vorn bis hinten liest, kann man zu anderen Schlussfolgerungen gelangen. Sicher: im Ziel des neuen Staatsvertrages sowie in der datenschutzrechtlichen Bewertung ist man sich mit dem Gutachter einig.

Systemwechsel schafft keine Gerechtigkeit

Für Hans Peter Bull ist der Systemwechsel gerecht,

weil er dazu beitragen wird, die Erhebungsdefizite zu verringern und dadurch eine Erhöhung der Beiträge zu vermeiden. In fast jeder Wohnung ist heute mindestens ein Hörfunkempfänger vorhanden und in weit über 90 Prozent aller Wohnungen außerdem ein Fernsehempfänger; hinzu kommen die ebenfalls flächendeckend verbreiteten PCs (und Mobiltelefone), die über das Internet auch Rundfunkprogramme empfangen.

Doch der Systemwechsel wird nicht nur die Erhebungsdefizite verringern, er wird sie überkompensieren, weil in Zukunft auch diejenigen, die keinen Rundfunk genutzt haben, dafür bezahlen müssen. Sicher können auch PCs und Mobiltelefone Hörfunk empfangen. Doch die Möglichkeit, etwas nutzen zu können, heißt noch lange nicht, dass dies auch genutzt wird.

Der Gerechtigkeit halber hätte er auch darstellen müssen, dass das neue Modell in Fragen der Gerechtigkeit auch zu Lasten großer Gruppen geht. Zum einen sind dies diejenigen, die sich bewusst gegen Radio- und Fernsehempfang entschieden haben. Auch wenn es manche nicht glauben: solche Bürgerinnen und Bürger gibt es. Selbst, man annimmt, dass dies nur 1 Prozent der erwachsenen Bevölkerung ist, dann sind dies über 600.000 Menschen.

In anderen Fällen kann man die Zahl der von neuer Ungerechtigkeit Betroffenen genauer bestimmen. So sollen in Zukunft die 135.000 privaten „PC-Nutzer“ die volle Rundfunkgebühr bezahlen. So sollen in Zukunft erstmalig über 580.000 Behinderte mit 5,99 Euro im Monat zur Kasse gebeten werden. So werden die über 2,4 Mio. reinen Radionutzer in Zukunft mehr als das Dreifache bezahlen. Und schließlich erfolgt bei den Unternehmen eine Umverteilung, die große Unternehmen mit vielen Mitarbeitern entlastet, während kleine Unternehmen sowie Unternehmen mit vielen Betriebsstätten bzw. Filialen zusätzlich belastet. Auch das neue Modell ist also in einigen Punkten ungerecht.

Hans Peter Bull meint: „Nur wenn der größte Teil der Beitragsschuldner erfasst wird und damit zur Zahlung veranlasst werden kann, ist Beitragsgerechtigkeit erreichbar.“

Dabei zahlen seit Jahren mehr als 90% der Haushalte die Rundfunkgebühr. Der Anteil der privaten Gebührenzahler an den Gesamthaushalten lag im Jahre 2009 für fast alle Anstalten über dem Anteil im Jahre 2000. Aus den Zahlen der GEZ lässt sich ein „aggressives“ Abmeldeverhalten nicht erkennen. Sind die einfachen Erklärungen für die zunehmende Differenz zwischen Ab- und Anmeldungen nicht der „Sterbeüberschuss“ sowie die geburtenschwachen jungen Jahrgänge, die jetzt die Volljährigkeit erreichen?

Es werden nicht weniger, sondern mehr Daten erhoben

Dr. Hans Peter Bull stellt fest, dass im

Vergleich mit den bisherigen Dateien der GEZ wird die künftige Sammlung eine geringere Zahl von Datensätzen umfassen; denn es werden nicht mehr alle Gerätebesitzer, sondern nur noch die „Haushaltsvorstände“ – genau: die jeweils in einer Wohnung für den Rundfunkbeitrag Verantwortlichen – notiert.

Laut §8 (Anzeigepflicht) entfällt in Zukunft sogar ein Datum. Der „Grund der Anmeldung“ (früher §3) wird nicht mehr abgefragt.

Doch auch wenn die Zahl der Datensätze sinkt, kann die Zahl der Daten steigen: wenn nicht zusätzliche Daten erfasst werden. Dass dies der Fall sein wird, stellt Bull immer wieder dar. Ja, er fordert sogar, weitere Daten zu erfassen. Und auch die Übermittlung nimmt zu: Bis zum 1. Januar 2013 soll einmalig ein zentraler Meldedatenabgleich erfolgen.

Er fordert zudem in vier weiteren Fällen, Daten zu erheben:

  1. Da bei Betriebsstätten der Inhaber nicht im Melderegister gespeichert ist, sollen Gewerberegister, die Handwerksrolle oder das Mitgliederverzeichnis einer IHK genutzt werden
  2. Wenn man die Abmeldung einer Betriebsstätte erreichen will, muss man nachweisen, dass der Inhaber krank gewesen ist und dort nicht tätig sein konnte. Dazu soll ein ärztliches Attest vorgelegt werden. Abgesehen davon, dass hier weitere Daten erfasst werden, ist sicher, dass der Aufwand, ein solches Attest erstellen zu lassen und einzuholen, den Gegenwert mehrerer Monatsraten hat.
  3. In Zukunft soll man auch Eigentümer von Wohnungen oder Grundstücken zur Auskunft über die Mieter zwingen können.
  4. Zudem soll „zumindest ein volljähriger Mitbewohner je Wohnung“ angegeben werden, „der bei Auszug des Beitragsschuldners als neuer Schuldner in Frage kommt, bei dem also in diesem Fall nachgefragt werden kann.“

Was es weiter geben soll und wird:

  1. In Zukunft muss man auch für die Zweitwohnung weiter bezahlen. Dies kann nur aus dem Grund gewollt sein, höhere Einnahmen zu erzielen. Schließlich bezahlt man ja für die Möglichkeit, Rundfunk zu empfangen, nicht für den Empfang. Man bezahlt unabhängig von der Nutzung. Doch warum soll man für die Möglichkeit mehrmals bezahlen? Nur, weil man mehrere Wohnungen hat? Die Möglichkeit zu empfangen, kann man doch nur einmal in Anspruch nehmen.
  2. Auch in Zukunft sollen mit Gebührengeldern Adressen von Adresshändlern gekauft werden. Doch wieso eigentlich? Es gibt den einmaligen zentralen Melderegisterabgleich, die Einwohnermeldeämter leiten, gesetzlich erlaubt, bei Zuzug, Wegzug oder Tod die Daten weiter. Wozu muss man dann noch Adressen kaufen?
  3. Die Gebührenbeauftragten wird es weiter geben. Deren Aufgabe wird dann darin bestehen „Wohnungen und Betriebsstätten ausfindig zu machen, die der GEZ bzw. den Landesrundfunkanstalten noch nicht bekannt sind oder in denen Personen wohnen oder arbeiten, ohne dass einer von ihnen als Rundfunkteilnehmer angemeldet wäre.“

FAZIT

Hans Peter Bull offenbart hier ein Menschenbild, dass er anscheinend mit vielen Ministerpräsidenten und Intendanten teilt. Ansonsten würde er deren Lösung nicht rechtfertigen: Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger seien nicht ehrlich, sie wollten die Rundfunkgebühr umgehen, obwohl sie Rundfunk nutzen. Sie wollten den Rundfunk nicht bezahlen. Sie müssten dazu gezwungen werden.

Wenn ARD und ZDF sich als Vertreter der Gebührenzahler sehen würden, dann hätte der Gutachtensauftrag anders lauten müssen. Dann wäre zu fragen gewesen, mit welchen Regelungen man möglichst datensparsam das neue Gebührenmodell umsetzen kann, welche Regelungen man möglichst vermeiden sollte, um sich nicht in Verruf zu bringen, welche Regelungen es auf keinen Fall geben sollte – selbst wenn sie verfassungsrechtlich erlaubt sind – weil diese dann die Legitimation der Rundfunkgebühr und somit von ARD und ZDF untergraben.

Doch so finanzieren sie mit Gebührengeldern ein Gutachten, das vor allem den Länderregierungen hilft und dient. In dieser Phase hätten die Länder selbst ein Gutachten zu ihrem Gesetzentwurf in Auftrag geben müssen.

Wenn es mit der Umsetzung dieses Rundfunkbeitrags Probleme geben wird, wenn der bürokratische Aufwand steigt, wenn mehr Daten ermittelt werden, wenn mehr Menschen von der GEZ bzw. den Gebührenbeauftragten befragt werden, dann werden ARD und ZDF und nicht die Medienpolitik damit verbunden. Dann wird ihre Legitimation in Frage gestellt. Die Grundlage dafür haben sie mit ihrer Parteinahme selbst gelegt.

Dabei hatten es ARD und ZDF nach dem Kirchhof-Gutachten so einfach. Da jeder nur an einer Stelle sehen, also die Programme nutzen kann, muss er nur einmal bezahlen. All die Doppel- und Mehrfachzahlungen hätte man zu den Akten legen können. Man hätte keine Gebührenbeauftragten mehr gebraucht. Doch um auf die Summe von 7,6 Mrd. Euro zu kommen, müssen nun wieder Sondertatbestände eingeführt werden, für deren Überprüfung man die Gebührenbeauftragten braucht.

Das Gutachten macht deutlich: Es wird der GEZ einfacher gemacht, Gebührenzahler zu erfassen und zur Zahlung zu bringen. Es werden mehr Menschen zur Auskunft verpflichtet. Es werden mehr Daten erhoben werden. Damit erschüttern ARD und ZDF ein weiteres Mal ihre Legitimation.

Man kann sich ja auch nicht mehr abmelden.

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