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Wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft die Energiewende attackiert

von , 15.10.12

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft propagiert zurzeit die Abkehr vom Erneuerbare-Energien-Gesetz: Zu teuer, zu unflexibel, nicht zielführend – so die Argumentationslinie. Als Alternativvorschlag zum EEG führt die INSM das sogenannte WEE zu Felde. Was bedeutet dieses “Wettbewerbsmodell Erneuerbare Energien”, und weshalb sollte man sich von dieser neoliberalen Mogelpackung nicht irreleiten lassen, obwohl sie inhaltlich auf den ersten Blick als sinnvoll erscheint?

Zunächst sei ein Blick auf den Werbefilm zum WEE verwiesen, in dem beschrieben wird, was die INSM als Problem ansieht, und wie die Lösung aussehen könnte.

Angeblich, so die Ansage der INSM, würde der Strom aufgrund des EEG immer teurer. Die explosionsartige Bereitstellung von Photovoltaikkraftwerken treibe die EEG-Umlage, die jeder Verbraucher mit 5,3 Cent pro Kilowattstunde zusätzlich bezahlen muss, weiter nach oben. Außerdem sei es völlig falsch, ausgerechnet bei der Photovoltaik die höchsten Einspeisevergütungen zu vergeben – andere Formen erneuerbarer Stromerzeugung seien da viel wirtschaftlicher und effizienter.

Doch das ist bloß die halbe Wahrheit. Was die INSM geflissentlich unterschlägt, ist die Tatsache, daß der Anstieg der EEG-Umlage keinesfalls bloß darauf zurückzuführen ist, daß erneuerbare Stromerzeugung angeblich nicht wettbewerbsfähig ist. Tatsächlich tragen CDU/CSU und FDP die Verantwortung dafür, daß Deutschlands Bürger nun eine höhere EEG-Umlage zahlen müssen.

Wie kann das sein? Energieintensiven Unternehmen war die Energiewende und der damit verbundene Rückzug aus der atomaren Stromerzeugung ein Dorn im Auge, seit klar war, daß für den Aufbau einer Erneuerbare-Energien-Landschaft eine Umlage eingeführt würde. Also wurden Politiker von Union und FDP gebeten, eine Ausnahmeregelung zu schaffen, die energieintensive Unternehmen von der EEG-Umlage befreit. So geschah es dann auch.

Wie beim Deutschlandfunk nachzulesen ist, drückten Union und FDP unter Verwendung höchst fragwürdiger Mittel die Forderung der Industrie in Form eines Gesetzes durch. Passender Weise spricht der Redakteur von einem „Mitternachtsparagraphen“:

„Im Juni diesen Jahres hat der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP ein Gesetz beschlossen, wonach Unternehmen mit hohem Energieverbrauch wesentlich weniger für die Nutzung des Stromnetzes zahlen müssen als private Haushalte oder kleine Betriebe. Energieintensive Unternehmen, die mindestens 7.000 Stunden im Jahr Strom beziehen und mehr als 10 Gigawatt verbrauchen, zahlen für die Nutzung des Stromnetzes sogar gar nichts mehr. Von der Befreiung begünstigt sind große Aluminium- und Stahlhütten, Papier-, Glas- oder Zementhersteller und auch große Rechenzentren.“

Wurde eine offene Debatte geführt? Wurden die Fakten auf den Tisch gelegt, sodaß man das Für und Wider erläutern und anschließend klug hätte abwägen können, wie es sich in einer Demokratie gehört? Daran ist leider nicht zu denken:

„An eine offene Diskussion im Wirtschaftsausschuss kann sich kein Parlamentarier erinnern. […] Erst am Abend bevor das Gesetz im Wirtschaftsausschuss beschlossen wurde, tauchte die Idee einer Ausnahmeregelung für Großverbraucher in einem Änderungsantrag der Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP auf. Zwei Tage später wurde die Netzentgeltbefreiung dann mit der Stimmenmehrheit der schwarz-gelben Koalition im Bundestag verabschiedet – gültig mit Beginn des kommenden Jahres.“

Das war 2011. Mit den Konsequenzen müssen seitdem Deutschlands Bürger und Kleinunternehmer leben. Will heißen: Weil die Einnahmen, die eigentlich durch die Zahlungen der Industrie verbucht würden, dank Union und FDP nun von Deutschlands Bürgern mitgetragen werden müssen, zahlen diese nun mehr, als sie eigentlich müssten.

Zweitens wird vonseiten der INSM schlicht verheimlicht, daß Strom aus erneuerbaren Energiequellen den Großhandelspreis für Strom senkt. Wer als Energielieferant Strom einkauft, um ihn anschließend an seine Kunden zu verkaufen, müsste, den Regeln des Marktes folgend, diese Kostensenkung auch an seine Kunden weitergeben. Das Ergebnis wären günstigere Strompreise – doch genau die bleiben aus. Während Energielieferanten höhere Kosten automatisch immer an ihre Kunden weitergeben, behalten sie Kostensenkungen stets für sich – an eine Senkung der Stromkosten ist unter diesen Voraussetzungen nicht zu denken.

Ausgerechnet angesichts eines solchen offenkundigen Versagens des freien Marktes fordert die INSM nun “mehr Wettbewerb” – obgleich sich bereits heute zeigt, daß die Regeln des Marktes das Problem nicht zu lösen imstande sind.

Die INSM sieht einen Mechanismus vor, bei dem Energielieferanten eine Quote ihres Erneuerbare-Energien-Anteils bestimmen. Sollte sich ein Energielieferant beispielsweise dazu entscheiden, 25% seines Stroms aus erneuerbaren Energien zu beziehen, wäre er geneigt, diese 25% mit möglichst billigem Strom zu erreichen. Weil aus Photovoltaik hergestellter Strom eine höhere Einspeisevergütung als beispielsweise Windstrom erhält, würden Energielieferanten ihre Quote lieber mit dem günstigen Windstrom erreichen wollen.

Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, entpuppt sich jedoch schnell als massiver Angriff auf die Erneuerbaren. Zurzeit haben Energielieferanten eine Abnahmeverpflichtung für erneuerbar hergestellten Strom. Das hat zur Folge, daß konventionell aus Kohle, Öl, Gas und Kernenergie hergestellter Strom nicht abverkauft werden kann, wenn gleichzeitig erneuerbar hergestellter Strom zur Verfügung steht. Weil aufgrund des Ausbaus regenerativer Kraftwerke von Monat zu Monat mehr erneuerbarer Strom zur Verfügung steht, geraten die Betreiber konventioneller Kraftwerke zunehmend unter Druck – sie bangen um ihre Einnahmequellen.

Würde nun – entsprechend der INSM – eine Quote eingeführt werden, würde der Ausbau der erneuerbaren Energien drastisch gebremst werden – und zwar, noch bevor der Preis für erneuerbaren Strom das Level erreicht, an dem er mit konventionell hergestelltem Strom voll wettbewerbsfähig ist. Dies hätte zur Folge, daß Energielieferanten aus Gründen der Wirtschaftlichkeit ihre Erneuerbare-Energien-Quote möglichst klein halten würden, was wiederum den Ausbau der erneuerbaren Energien komplett zum Stillstand bringen würde.

Kernkraftwerksbetreiber würden sich darüber sehr freuen. Ebenso Stromerzeuger, die noch immer Kohle, Öl und Gas als Primärenergieträger nutzen. Denn obgleich die Bezugspreise für Kohle, Öl und Gas stetig weiter steigen, wäre die Bedrohung durch die erneuerbaren Energien erst einmal aus der Welt geschafft. Die Rechnung würde schließlich ohnehin der Endkunde zahlen, denn wenn ein Kohlekraftwerksbetreiber nun 10 Prozent mehr für den Ankauf der Kohle bezahlen muss, werden die Endkunden am Ende des Monats eben auch 10 Prozent mehr für ihren Strom bezahlen.

Im Jahr 2000 betrug der Preis für eine Tonne Braunkohle 36 US-Dollar. Nur elf Jahre später lag er bereits bei 121 US-Dollar. Wer seinen Strom nicht aus erneuerbaren Energien bezogen hat, hat diesen Preisanstieg auf seiner Stromrechnung gespürt – und wird ihn auch in Zukunft noch zu spüren bekommen.

Eine weitere Folge des ”Wettbewerbsmodells Erneuerbare Energien” wäre die Verhinderung dessen, was die Energiewende eigentlich ausmacht: Dezentralisierung und Kommunalisierung der Stromerzeugung, und damit Unabhängigkeit vom (Preis-)Diktat der Energiekonzerne. Während vor Beginn der Energiewende die Stromerzeugung gänzlich in der Hand der Energiekonzerne lag, streben zunehmend Städte und Kommunen nach Unabhängigkeit, indem sie ihren Strom selbst erzeugen und den Betrieb der kommunalen Stromnetze in ihre eigenen Hände nehmen. Nebst Photovoltaik spielen Windräder, Biomasse und vereinzelt auch Kleinwasserkraftwerke hierbei die Hauptrolle.

Lägen Energielieferanten nun eine Maximalquote für den Bezug erneuerbarer Energie ihrem Geschäftsmodell zugrunde, so  entfiele für kommunale Stromerzeuger ein Anreiz für den Bau erneuerbarer Energiequellen. Und selbst wenn diese Anlagen trotzdem gebaut würden, unterlägen sie im Wettbewerb aller Wahrscheinlichkeit nach den Betreibern großer Offshore-Windparks.

Das eigentliche Problem in diesem Zusammenhang besteht darin, daß Anlagen von dieser Größe wiederum im Besitz der Energiekonzerne sind. Folgte man dem Vorschlag der INSM, befände sich die Erzeugung erneuerbarer Energien künftig komplett in den Händen jener Konzerne, die ohnehin schon eine marktbeherrschende Dominanz haben. Die Abhängigkeit von diesen Konzernen wäre ungebrochen – im Vergleich zu der Zeit vor der Energiewende hätte sich faktisch kaum etwas geändert.

Daß ein derartiger Vorschlag von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft kommt, darf nicht verwundern. Nach Ansicht zahlreicher Kritiker vertritt die INSM nämlich keinesfalls soziale Marktwirtschaft, sondern propagiert einen strikten neoliberalen Kurs, der die ungezügelte kapitalistische Marktwirtschaft vorsieht – the winner takes it all.

Weil davon auszugehen ist, daß die energiewendefeindlichen CDU/CSU und FDP am “Wettbewerbsmodell Erneuerbare Energien” Gefallen finden werden, erwarte ich, daß Grüne, Piraten, Linke und die SPD einmal ihre gegenseitigen Befindlichkeiten beiseite lassen und sich mit vereinten Kräften dafür engagieren, der Energiewende und dem damit verbundenem Atomausstieg zur Verwirklichung zu verhelfen. Nebst Union und FDP sowie ihren Freunden bei der INSM schießt inzwischen auch die neoliberale Presse das EEG und damit die Energiewende sturmreif. Angesichts der herannahenden Bundestagswahl im September 2013 ist davon auszugehen, daß dies bloß der Anfang ist.

Update: Soeben wurden mir an einer Berliner Bahnhaltestelle geschossene Fotos zugeschickt, die belegen, zu welchen Mitteln die INSM greift, um die öffentliche Meinung gegen das Erneuerbare Energien Gesetz aufzubringen.

(Fotos: beeblebrax. Zum Vergrößern bitte auf die Bilder klicken.)

Überdies habe ich soeben erfahren, daß der Vorschlag zur Abschaffung des EEG tatsächlich von der FDP mitgetragen wird. Andree Böhling, Energieexperte bei Greenpeace:

“Herr Mundt als oberster Wettbewerbshüter in Deutschland will mit dem EEG den Garanten für mehr Wettbewerb im Strommarkt abschaffen – das ist verkehrte Welt. Statt dessen fordert das FDP-Mitglied in trauter Eintracht mit seiner Partei ein Quotenmodell, das vor allem den großen Energieversorgern nützt.”

 
Crosspost von Peter Piksa
 

 

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