#Abmahnungen

Abmahnrepublik Deutschland (I)

von , 21.4.10

Drei Meldungen von gestern: „Die erste Einstweilige Verfügung wegen eines Tweets“, „Axel Springer mahnt BILDblog ab“, „Bistum Regensburg erwirkt einstweilige Verfügung gegen Blogger“.

Drei Meldungen, die nur die sichtbare Spitze eines Eisbergs bilden. Denn unsichtbar bleiben bislang die perfiden Massenabmahnungen gegen minderjährige Filesharing-Nutzer, deren erschrockene Eltern zu Tausenden kriminalisiert und mit horrenden Schadenersatzforderungen überzogen werden.

Der Klimawandel (besser: die Klimavergiftung) durch die deutsche Abmahnsucht kann nicht länger ignoriert werden: Lästige Blogger und Journalisten sollen durch Schocktherapie mundtot gemacht werden, brave Eltern werden mit Kanzleibriefen bombardiert, in denen sie des schweren Rechtsbruchs „in gewerblichem Ausmaß“ beschuldigt werden, weil ihre 16-jährigen Kinder unberechtigt und naiv eine einzige CD von einer Filesharing-Seite heruntergeladen haben.

Ohne Vorwarnung sind brachiale Summen im Spiel. Streitwerte von 100.000 Euro. Anwaltskosten von mehreren tausend Euro. Schadenersatz von vielen tausend Euro. Einschüchterungssummen. Das einstmals gute Recht der Abmahnung ist pervertiert. Zurechtgebogen für Abzocker und Plattmacher. Denn Spatzen, das weiß inzwischen jeder, erlegt der Anwalt mit Kanonen. Die alten Rechtsgrundsätze Angemessenheit, Abwägung, Einzelfall, Maß und Ziel? Vorbei. Sie sind ersetzt durch Maßlosigkeit, Exzess, Unverhältnismäßigkeit, Pauschalisierung, Rachsucht und Gier.

Unterstützt wird die Pervertierung des Abmahn-Rechts durch eine Besonderheit, die man „fliegende Gerichtsbarkeit“ nennt: Die Kläger (oft große Unternehmen) dürfen sich aussuchen, wo sie klagen. Pressesachen? Oh, Hamburg wird gern genommen. Filesharing-Fälle? Köln gilt als sichere Bank.

Rechtsprechung wird damit zur Machtdemonstration. Die Kläger sitzen am längeren Hebel. Sie haben die Mittel und die raffiniertesten Kanzleien (mit Stundensätzen ab 250 Euro aufwärts): Der „Abmahnwahn“ ist ein lukrativer Geschäftszweig geworden.

Die meisten Beklagten sind erst mal wehrlos. In die Enge getrieben von extrem kurzen Fristen und schwer verständlichem Juristendeutsch. Sie ahnen den Magengeschwüre produzierenden Ärger, der auf sie zukommen könnte: Wenn Bagatellfälle schon zu schwersten Rechtsverletzungen aufgeblasen werden können, ohne dass ein anständiger Richter „Halt!“ schreit, ist ihnen klar, was sie von ihrem Rechtsstaat erwarten dürfen. Sie fürchten einen jahrelangen  Instanzenweg, und sie haben eine berechtigte Angst vor dem finanziellen Ruin und dem Verlust ihrer Lebensfreude. Sie wissen, dass sie gegen eine solche Übermacht keine Chance haben. Und genau darauf wird spekuliert.

Also geben sie klein bei und akzeptieren jeden noch so unverhältnismäßigen „Vergleich“, jeden maßlosen Streitwert, jeden rachsüchtigen Schadenersatz und jede gierige Anwaltsrechnung. Die Politiker schauen der Treibjagd tatenlos zu. Ja, sie haben die Pervertierung des Abmahn-Rechts mit unklaren Gesetzesformulierungen erst ermöglicht.

Wir sollten deshalb aufhören, uns immer nur über Einzelfälle zu empören. Solche Empörung flaut schnell wieder ab. Hier liegt etwas Grundsätzliches im Argen. Wir sollten die Zerstörung des gesellschaftlichen und kulturellen Klimas nicht länger hinnehmen. Wir müssen wieder zu Maß und Ziel zurückkehren.

Und dafür brauchen wir eine Allianz: Eine effektive Vernetzung von engagierten Rechtsanwälten, Bloggern, Netznutzern, Journalisten, Netzpolitikern, Initiativen und tatkräftigen Unterstützern. Wir brauchen einen Fonds, der Musterprozesse und Öffentlichkeitsarbeit durch alle Instanzen ermöglicht.

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P.S. Ich werde das Thema Abmahnung im Laufe der nächsten Monate immer wieder aufgreifen. Ich werde mit Experten sprechen und mit Betroffenen. Mit Klägern, Anwälten und Beklagten, mit Vereinen und Initiativen.

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