#Basis

Zu mehr Demokratie stehen

von , 7.12.13

Die Qual der Wahl – so mag es vor den vollgepackten Regalen eines Supermarkts zum Thema „Frühstücksflocken“ aussehen. Jede erdenkliche Variation wird von mindestens zwei Herstellern neben- und untereinander feilgeboten. Warum landet die eine Packung schließlich im Einkaufswagen?

Das ist nicht nur Thema für die Werbefachleute und Kartonagenkünstler, die den Bauch über subliminale Botschaften ansprechen und ein Verwirrspiel anrichten. Sondern die Entscheidung ist schon viel früher gefallen. Wenn nämlich Käufer sich eingedenk des Spruches, das Frühstück sei die wichtigste Mahlzeit des Tages, stattdessen mit Brot, Butter und Käse eindecken. Was das Auswahlproblem aber letztlich nur von einem Korridor des Kaufhauses in einen anderen verlagern würde.

Der Überfluss, generiert vom Bestreben, jeden individuellen Geschmack zu treffen und gleichwohl ein Massenprodukt herstellen zu können, scheint auch die Politik erfasst zu haben. Vorwahlen zur Bestimmung von Spitzenkandidaten, die dann in Gemeinde-, Landtags-, Parlaments- und EU-Wahlen antreten, um sich schließlich nach Erringung des Mandats das Arbeitsprogramm per Entscheid absegnen zu lassen. Warum landet die Kandidatin/der Kandidat schließlich doch noch auf dem Platz, für den sie/er angetreten war?

Natürlich ist es ketzerisch, Politik mit einem wohlfeilen Produkt in Beziehung zu setzen. Sie ist kein Konsumgut, sondern stellt in beträchtlichen Teilen erst die Bedingungen auf, unter denen Frühstücksflocken hergestellt und verkauft werden: Vom Lohn der Arbeitnehmer in den Fabriken über die AfA der Maschinen bis zum Außenhandel mit Zerealien.

Die umfassende Gestaltungsfähigkeit, so sie schließlich umgesetzt werden kann, nennt sich Macht. Und wenn dieser Tage darüber räsoniert wird, ob und inwieweit SPD-Mitglieder überhaupt befugt sind, über den Entwurf eines Koalitionsprogramms zu befinden, in der die Gestaltungsfähigkeit beschrieben wird, dann geht es genau um diese Macht.

 

Etikettenschwindel und der mündige Konsument

Es kann kaum wundern, dass es erhebliche Widerstände gibt, sie in die Hände einer Parteibasis zu legen. Wer über Jahrzehnte den Bürger als Konsumenten angesehen hat, den es per Gesetz vor sich selbst zu schützen gelte, damit er nicht auf werblichen Blödsinn hereinfalle, wird jede Öffnung gegenüber den Unmündigen, freundlich und unironisch ausgedrückt: im demokratischen Prozedere mit Argusaugen betrachten.

Genauso sind aber die Argumente gestrickt, mit denen derzeit gegen die Befragung innerhalb der SPD mobil gemacht wird. Wer die Legitimität der Entscheidung „einer Handvoll Parteimitglieder“ gegen das millionenfache Votum vom September anführt, betreibt ein unlauteres Geschäft. Denn keine der drei beteiligten Parteien war mit dem Anspruch angetreten, eine große Koalition zu bilden. Womit die Kritiker umgehen, ist also eine reine Fiktion gegen die reale und nachvollziehbare Entscheidung, ein Bündnis auf vier Jahre eingehen zu wollen oder nicht, und das ergebnisorientiert.  Eine Übung, der sich CDU und CSU erst gar nicht unterziehen wollen und die Gründe wohlweislich für sich behalten.

Geradezu grotesk aber ist die These, mit der Befragung der Parteibasis werde das freie Mandat der Abgeordneten im Bundestag beschränkt. Denn gleich, ob sie vom aus Bayern stammenden Staatsrechtler Christoph Degenhart verkündet oder von ebenso konservativen Publizisten wie Stefan Laurin begleitet wird – die Entscheidung, sich an das Basisvotum gebunden zu sehen, obliegt nach wie vor den Mandataren.

Im Gegenteil: In den vergangenen acht Wochen haben eben diese Volksvertreter eine bemerkenswerte Auffassung ihrer eigenen Rolle an den Tag gelegt. Sie haben nicht nur die  Beteiligung der gewählten Opposition aus Bündnis90/Die Grünen und Die Linke am parlamentarischen Geschehen gleich in der konstituierenden Sitzung des Bundestages kujoniert, sondern mit Blick auf eine künftige Beteiligung an der Macht die Arbeit des gesamten Parlaments de facto zum Erliegen gebracht.

Dass so die Interessen der Mandanten — legitim, legal, demokratisch — nicht wahrgenommen, geschweige denn gewahrt wurden, wird wohlweislich von jenen verschwiegen, die sich jetzt als letzte Hüter der Verfassung gerieren und schieren Etikettenbetrug betreiben. Ihre nur noch als Einschüchterungsversuche zu erklärenden Phantastereien werden zur Kenntnis genommen, mehr nicht.

 

Zu mehr Demokratie stehen

Politik ist, ernsthaft betrieben, tatsächlich kein prall gefülltes Supermarktregal. Aber das wissen die Wähler, die angesichts des miserablen Angebots den Wahlkabinen fern bleiben. Oder deren Willen kraft Sperrklausel außen vor geblieben ist. Das ist nicht lediglich Ausdruck von Wahlmüdigkeit oder Protest, sondern in der Summe eine 42-prozentige Antwort aller wahlberechtigten Deutschen auf die Distanz, die die Regierenden zu den von ihnen Regierten eingenommen haben.

Das gilt umso mehr gegenüber den Abgeordneten, die kraft ihrer Funktion die Regierung zu kontrollieren hätten, statt in Schockstarre zu verfallen, um sich auch ganz persönlich eine Beteiligung an der Exekutive offen zu halten, oder, um es deutlicher zu sagen: um Karriere zu machen.

Bei aller Kritik im Detail beweist die SPD, dass sie in dieser Grundlegung das Wort „demokratisch“ im Namen verdient und sich darum verdient macht. Denn anders als alle anderen „Befragungen“, wie etwa noch jene der FDP zum ESM-Schirm, ist die jetzige keine, deren Ergebnis mit Sicherheit vorhergesagt werden könnte. Sie ist also nicht lediglich eine populistische Fußnote zu einer ohnehin feststehenden Entscheidung. Sie ist eine wirkliche Wahl.

Die SPD und ihre Spitze, allen voran Sigmar Gabriel, wagen vielmehr etwas, was bereits vergessen ist: Mehr Demokratie. Diese Enkel erringen im eigentlichen Sinn des Wortes die nötige Unterstützung und damit den uneingeschränkten Respekt aller, denen das Wort Demos etwas sagt.

Crosspost von Blatt Eins – Foglio Primo

  • Hier die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Mitgliederentscheid: Art. 38 GG wird nicht tangiert.

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