#Demokratie

Volksabstimmungen: Wenn es so einfach wäre

von , 15.2.14

Alle Macht geht vom Volk aus. Der Souverän sollte seine Macht direkt ausüben können, bei Volksabstimmungen und Entscheidungen. In der direkten Demokratie hat das Volk zu entscheiden und die Politik auszuführen, auch wenn ihr Volkes Wille nicht schmeckt.

So weit die charmante Theorie. In der Praxis wird es schwierig.

Über die Zuwanderung streiten sich die Experten, ihre Argumente sind Zahlenspiele. Und die Politik? Kaum ein Thema ist ideologisch so aufgeladen wie die Frage, wie viele Zuwanderer ein Land braucht. Und wie viel es verträgt. Eine Volksabstimmung zu diesem komplexen Thema – kann so etwas überhaupt gut gehen? Möglicherweise war das Thema einfach eine Nummer zu groß.

Wer entscheiden will, sollte auch entscheiden können. Er sollte wissen, welche Argumente es dafür beziehungsweise dagegen gibt, und welche Folgen eine wie auch immer geartete Entscheidung haben könnte. Ein Volk muss also informiert sein, um eine qualifizierte Wahl zu treffen.

Die Schweizer sind Volksabstimmungsprofis, etwa zehn Prozent der Bundesgesetze werden mit direkter Volksbeteiligung verabschiedet. Man darf ihnen unterstellen, dass sie bei bisherigen Initiativen meist besonnen abgestimmt haben.

Wie informiert muss ein Volk sein, um qualifiziert abstimmen zu können? Damit die Entscheidung wirklich im Sinn des Volkes ist, denn schließlich soll das Volk entscheiden, nicht Populisten vom rechten oder linken Rand?

Eine qualifizierte Abstimmung braucht reifliche Überlegung und sorgfältige Abwägung. Sonst würde die Volksabstimmung zur Farce verkommen. Statt Politiker würden dann Demagogen – letztlich wieder radikale Politiker – die Richtung vorgeben. Statt sachlicher Argumente würden Parolen bestimmen, wie die Abstimmung ausgeht.

In der Schweiz, lautet der Vorwurf, haben am Sonntag die Populisten gesiegt. Es war ein Sieg über den Rat von Experten; die Warnungen der Wirtschaft, der auch in der Schweiz Fachkräfte fehlen. Die diffuse Angst der Schweizer, bei einigen auch der Neid und die Missgunst, waren offenbar so groß, dass die Initiatoren daraus Kapital schlagen konnten. Auch wenn die Schweiz fast 25 Prozent Bürger nicht-Schweizer Herkunft hat (Deutschland etwa neun Prozent): Das Thema hat Vorbehalte und Vorurteile bedient. Ist das ein gutes Fundament für eine Volksabstimmung?

Klar ist: Wer Volksabstimmungen will, hat die Wahl zwischen ganz und gar nicht. Politikwissenschaftler Jürgen Falter von der Universität Mainz warnt* vor einer „kastrierten Abstimmung“. Man könne nicht sagen, dass das Volk in Fragen der Außenpolitik zu doof sei, in Fragen der Menschenrechte zu anfällig für Populismus. Einschränkungen dürfe es nicht geben, außer denen, die in Deutschland zum Beispiel durch die Verfassung vorgegeben sind.

Das Volk muss über alles entscheiden können, nur das wäre echte direkte Demokratie. Doch die Skepsis bleibt, alles andere wäre naiv: Ist das Thema Zuwanderung nicht zu kompliziert, nicht zu weitreichend und zu emotional aufgeladen, als dass man die Entscheidung dem Volk überlassen kann – von gemäßigten und radikalen Kräften umworben?

Woher will der normale Bürger wissen, wie viel Zuwanderung sein muss? Im Idealfall beschäftigen sich die Menschen vor einer Abstimmung intensiv mit dem Thema, das zeigen Abstimmungen in Deutschland auf lokaler und auf Länderebene. Sie führen letztlich zu mehr Akzeptanz und Legitimation politischer Entscheidungen.

Das ist aber keinesfalls sicher. Das Ergebnis der Schweizer Zuwanderungsinitiative legt tatsächlich den Verdacht nahe, dass die Bürger rechtspopulistischem Alarmismus auf den Leim gegangen sind. Und die Akzeptanz dieses Votums ist eher fraglich, auch angesichts des knappen Ausgangs. Letztlich hat eine Minderheit für die Initiative gestimmt. Es ist das Dilemma jeder demokratischen Abstimmung.

Auch wenn die Schweizer Politik eine Mitschuld am Ergebnis trägt – sie hat die Ängste unterschätzt und viel versäumt, um Vertrauen zu schaffen. Es ist das zweite Mal, dass eine Initiative mit Argumenten aus dieser Richtung gewonnen wurde: Vor fünf Jahren führte die angebliche Überfremdung zum Minarett-Votum. Im Vorfeld der Initiative machten Demagogen vom rechten Rand gezielt Stimmung. Aber zumindest, sagt Politikwissenschaftler Falter: In der Regel steigen im Verlauf solcher Abstimmungen Interesse, Engagement und Wissen.

Volksabstimmungen sind – unabhängig davon, inwieweit sie in Deutschland möglich wären -, eine Chance, mehr Menschen für Politik zu interessieren und gerade Vorhaben von fundamentaler Bedeutung möglichst breit zu legitimieren.

Am Ende bleibt aber die bisher offene Frage: Was ist die bessere Option? Ein Volk, das möglichst oft direkt entscheiden kann – auf die Gefahr hin, dass emotional und in der Sache möglicherweise falsch entschieden wird, manipuliert durch Demagogen? Oder die Politik, die nach bestem Wissen und Gewissen entscheidet – auf die Gefahr hin, intransparent und ideologisch beeinflusst zu entscheiden?

So attraktiv Volksabstimmungen auch grundsätzlich sind, das jüngste Votum der Schweizer könnte die bisher möglicherweise etwas zu romantische Vorstellung vieler Anhänger angekratzt haben. Man sollte sich eines bewusst machen: Das Recht auf mehr direkte Demokratie birgt auch die Gefahr, verführt zu werden, am Ende sich selbst zu schaden und mit radikalen Entscheidungen leben zu müssen. Diplomatisch sind nur Politiker.
 
* Im persönlichen Gespräch mit dem Autor
 
Crosspost von heutigentags.de

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