von Redaktion Carta, 16.6.12
Die Herausgeber des kürzlich erschienenen Sammelbandes “Unter Piraten – Erkundungen in einer neuen politischen Arena“, Prof. Claus Leggewie, Direktor des kulturwissenschaftlichen Instituts Essen, und Prof. Christoph Bieber, NRW-School of Governance, diskutierten am 13. Juni 2012 in der Schwarzkopf-Stiftung Berlin mit Christopher Lauer, kultur- und innenpolitischer Sprecher der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus Berlin. Moderiert hat die Veranstaltung Carta-Mitherausgeber Dr. Leonard Novy vom Institut für Medien- und Kommunikationspolitik, das auch Veranstalter war.
Überblick
Claus Leggewie hob die offene politische Kultur der Bundesrepublik seit den 1960er Jahren hervor, die drei Parteien hervorgebracht hat, die es anderswo so nicht gibt: Die CDU, die Grünen und jüngst die Piratenpartei, die nur in Deutschland so erfolgreich ist. Die Reaktionen der etablierten Parteien auf die Piraten reichten von freundlich umarmend bis abschätzend paternalistisch und seien insgesamt recht hilflos; öffentliches Bashing bleibe jedoch aus.
Christoph Bieber sagte, die etablierten Parteien seien fahrlässig mit den Möglichkeiten digitaler Kommunikation umgegangen, Ansätze aus den eigenen Reihen blieben Ausnahmen. Bei den Piraten hingegen sei der Umgang mit digitalen Medien die Regel und in die Arbeitsabläufe eingebunden. Die etablierten Parteien würden nun aufholen, jedoch könnte ihnen die eigene Pfadabhängigkeit im Weg stehen.
Insofern seien die Piraten „Beschleuniger“ für die etablierten Parteien. Mit ihnen sei eine neue Zeitlichkeit in den Politikbetrieb gekommen. Denkbar wäre, so Christoph Bieber weiter, dass die Piraten wieder verschwinden würden, wenn ihre Impulse nicht mehr gebraucht würden. Oder, und auch das bliebe abzuwarten, die flexiblen, liquiden Strukturen verfestigten sich doch, und die Piraten seien „gekommen, um zu bleiben“.
Politik sei ein ständiger Interessensausgleich, antwortete Christopher Lauer, alle Interessen der Piraten würden sicher nie erfüllt. Doch könnten sich die Strukturen irgendwann professionalisieren und der basisdemokratische Anspruch innerhalb der Partei nicht mehr eingelöst werden. Entscheidungen beispielsweise, über die per Liquid Feedback abgestimmt wurde, sind für die Parteispitze nicht bindend.
Christopher Lauer beschrieb seinen Weg in die Politik als Suche nach einem “Platz in der Gesellschaft”: Nach Studium und Praktika wurde ihm klar, dass seine Möglichkeiten zur Mitgestaltung begrenzt waren. Die Piratenpartei war für ihn eine Option zur Beteiligung an Politik zu Themen, die ihn interessieren.
Ein zentrales Thema der Piraten seien Commons, sagte Claus Leggewie, potenziell könnten sie Anwälte der globalen Kollektivgüter sein – nicht nur hinsichtlich des Internets, sondern auch beispielsweise der Bildung, des Grundeinkommens oder des öffentlichen Nahverkehrs. Klimapolitik und Nachhaltigkeit hingegen würden von den Piraten vernachlässigt.
Am Beispiel des Klimawandel erläuterte er, dass die Politik vor der Herausforderung stehe, mehr Partizipation bei hohem Problemdruck zuzulassen. Die Mischung von Elementen repräsentativer und direkter Demokratie und die Partizipationsmöglichkeiten für Mitglieder und Nichtmitglieder bei den Piraten seien auch für etablierte Parteien und Institutionen interessant. Deren Experimente damit sollten „zu einem Gemeingut der Bundesrepublik“ erklärt werden.
Claus Leggewie rief die Piraten dazu auf, sich kritisch mit ihrer Distribution von Politik auseinanderzusetzen: Soziale Medien wie facebook oder Google gehörten „privatkommerziellen Konzernen, die das Internet vermachtet haben“. Dagegen gelte es zu opponieren.
Ein Gespräch mit Christoph Bieber über die Piraten gibt es hier. (Video, 20:13 Min.)