von Ilja Braun, 20.9.13
Erst mal abwarten, was kommt – so könnte man die Haltung der Bundesregierung zu TTIP zusammenfassen, dem geplanten Freihandelsabkommen, das zwischen der Europäischen Union und den USA ausgehandelt werden soll.
In gewisser Weise ist das verständlich: Das Verhandlungsmandat ist beschlossen, aber sonst ist noch nicht viel passiert. Die Europäische Kommission hat ihre ersten Verhandlungspositionen veröffentlicht (Initial position papers), die aber inhaltlich ausgesprochen mager sind und nur einen groben Überblick über mögliche Themenfelder bieten.
Wer genauer wissen möchte, was mit TTIP auf Europa zukommt, muss die Papiere durcharbeiten, die allerlei Lobbyorganisationen und Interessenvertretungen bei der EU eingereicht haben. Zwar ist nicht zu erwarten, dass die EU alle Wünsche, die dort an sie herangetragen werden, erfüllen wird. Aber immerhin bieten diese Vorstöße einen Gesamtüberblick über das Themenfeld.
Auffällig ist zunächst, dass die Zivilgesellschaft nur ausgesprochen schwach vertreten ist. Nur ein einziges der insgesamt 52 eingereichten Stakeholder-Papiere vertritt explizit ihre Interessen. Es stammt von einer Organisation mit dem bezeichnenden Namen „Plateforme contre le transatlantisme“.
Das Bündnis mahnt ein einheitliches Steuersystem, die Schließung von Steuerparadiesen und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer an. Außerdem wird der Umgang mit der Finanzkrise kritisiert und gefordert, Verhandlungen über Freihandelsabkommen müssten die resultierende Reichtumsverteilung und die Auswirkungen auf ArbeitnehmerInnenrechte im Blick haben. Auch eine möglichst weitgehende Beteiligung der Zivilgesellschaft wird angemahnt. Was immer man davon halten mag – es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich überhaupt jemand mit dieser Plattform abgeben wird.
Letzteres gilt sicher nicht für die ICMP, die „International Confederation of Music Publishers“, und ihr US-amerikanisches Pendant, NMPA US. Die Musikindustrie wünscht sich vor allem Verschärfungen im Bereich des Urheberrechts. Während Urheberrechtsexperten immer wieder kritisiert haben, dass der Katalog der im Urheberrecht möglichen Schrankenregelungen auf europäischer Ebene abschließend ausgestaltet ist und daher nicht erweitert werden kann, behauptet die ICMP einfach das Gegenteil. Die in der Richtlinie aufgeführten „exceptions and limitations to copyright“ seien ein Beispiel für mangelhafte Rechtsharmonisierung: „there is no numerus clausus of the different cases, and Member States can add to the list as they see fit.”
Das ist zumindest grob irreführend: Die Liste ist durchaus abschließend, es besteht nur keine Verpflichtung, alle aufgeführten Ausnahmen auch tatsächlich umzusetzen. Ob die EU-Parlamentarier das auf dem Schirm haben? Ansonsten macht die „Global Voice of Music Publishing“ sich Sorgen um die unterschiedlichen Auffassungen zur Schadensberechnung bei Urheberrechtsverletzungen und beklagt die angeblich unzulängliche Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EC zur „Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums“. Die Kommission solle Vertragsverletzungsverfahren gegen solche Mitgliedsstaaten einleiten, deren nationale Gesetze „inconsistent with the terms of the Directive“ seien.
Außerdem wünscht man sich eine Anerkennung der „models for fighting against internet theft“, wie sie z.B. in Frankreich entwickelt worden seien, sowie „legislative initiatives mandating ISP cooperation, requiring warning and/or educational messages“, also Warnhinweise gegen Urheberrechtsverletzungen. Dies soll mit freundlicher, möglichst freiwilliger, aber notfalls auch verpflichtender Unterstützung der Provider geschehen: „the EU should adopt clear provisions that encourage and require ISPs to cooperate to reduce online infringement“. Insgesamt wünscht man sich „effective IPR enforcement measures in whatever instrument is to be discussed with the US“. Das kann heiter werden.
Interessant auch das Papier von Digital Europe, den europäischen IT-Lobbyisten. Dieses machen sich Sorgen um den Datenschutz – als Handelshemmnis: „the tremendous increase in cross-border data flows” habe viele Regierungen nämlich verunsichert, “on the basis of privacy, consumer protection, security or other reasons. Given that cross-border services trade is, at its essence, the exchange of data, unnecessary restrictions on data flows have the effect of creating barriers to trade in services.”
Hier müsse das Handelsabkommen Entschiedenheit demonstrieren: “The EU-US trade agreement needs to ensure cross-border data flows, […] balancing the need to protect data with the right to move data. The EU and the US need to work together to develop approaches to privacy, data security and protection that will instill confidence in, and reduce resistance to, cross-border data flows. It could reduce the government’s perceived need to restrict data flows […]”.
Die einzigen Daten, die dann doch wirksam geschützt werden müssen, sind Geschäftsgeheimnisse. Hier konstatiert die Lobby einen „lack of adequate protection“. Die beiden Partner sollten daher ihrer Verpflichtung aus dem TRIPS-Abkommen nachkommen: “should abide by their duty to implement Section 7, Art. 39 of the TRIPS agreement on protecting undisclosed information as a form of intellectual property.“
Geschäftsgeheimnisse sollen also zukünftig urheberrechtlich geschützt werden. Außerdem beklagt man wirtschaftlichen Schaden durch Markenpiraterie: „some countries almost appear to encourage the theft or misuse of this type of intellectual property”. Wie üblich in solchen Papieren, werden die angeblichen Bösewichte unter den Mitgliedsländern nicht beim Namen genannt.
Natürlich geht es nicht nur ums Internet, sondern etwa auch um das Thema Gentechnik. Die EU ist der größte Importeur von Agrikulturgütern, stellen die Biotech-Lobbyisten von EuropaBio und BIO klar. Vor allem Soja wird importiert, hier macht die Eigenproduktion nur 7% des Bedarfs aus.
Nun werden aber Soja und Mais fast überall außerhalb der EU nur als GM angebaut, als genetisch manipulierte Pflanzen. Die drei Hauptimporteure der EU für Soja sind die USA, Brasilien und Argentinien. In den USA sind 92%, in Brasilien 83% und in Argentinien 99% des Sojas genetisch manipuliert. Das Problem der Biotech-Branche: Die EU braucht zu lange, um die Einfuhr neuer GM-Produkte zu genehmigen. Außerdem fährt sie eine zero-tolerance-policy, was Verunreinigungen angeht.
Diese ließen sich aber kaum vermeiden, wenn manipulierte und nicht-manipulierte Waren mit denselben Schiffen transportiert werden. Bei Tierfutter-Tests toleriert die EU eine Verunreinigung von 0,1%, aber das genügt nicht, weil weltweit immer mehr verschiedene gentechnisch manipulierte Pflanzen angebaut werden, meinen die Produzenten: „It is unlikely that a 0,1% tolerance threshold will be able to cope with qantities and varieties of GM products being planted around the world.“
Folglich drohe ständig die Gefahr plötzlicher Preissteigerungen bei Soja und Mais, wenn Schiffe in den Häfen unerwartet nicht entladen dürften. Dies schädige vor allem die europäischen Nutztierhalter, da es ja meist um Tierfutter geht. Hier müsse dringend eine „technische Lösung“ jenseits der zero-tolerance-Politik gefunden werden, nicht nur für Tierfutter, sondern auch für Nahrungsmittel: „it should be recognized that such a ‚zero tolerance‘ policy is ultimately untenable, given the global trading trends.“
So wie bei Lieferungen konventioneller Sorten immer Verunreinigungen durch Reste früherer Lieferungen möglich seien, könnten auch bei gentechnikfreien Waren stets Reste von Gentechnikladungen festgestellt werden. Das lässt sich halt nicht vermeiden, meinen die Lobbyisten.
Und dann sind da noch die Spielzeughersteller, die der Meinung sind, Vorschriften zum Schutz der Kinder seien in aller Regel „politically motivated“ und würden gar nichts bringen: „these measures only add burden to companies without introducing a significant difference in the level of safety.“
Die Politiker missbrauchen die Kinder nur für ihre politischen Zwecke: „The toy industry supports decisions based on sound science, rather than children’s safety being used for political purposes. Some decision-makers and EU Member States have recently proposed unscientific restrictions in an effort to be seen by citizens as ‘stricter’ than their counterparts, thereby creating a ‘solution’ in search of a nonexistent ‘problem’.”
Aus purem Populismus heraus maßregelt also die Politik die Spielzeugindustrie. Klar, das muss sich ändern. Größere Harmonisierung tut not.
Es gibt noch zahlreiche weitere Papiere – sie alle durchzuzitieren, würde hier den Rahmen sprengen. Jeder, der irgendetwas zu verkaufen hat und dies grenzüberschreitend tun möchte, hat hier sein kleines Eigeninteresse, dass er unbedingt berücksichtigt sehen möchte.
In aller Regel geht es darum, dass in Europa und den USA unterschiedliche Vorschriften gelten, was Produktsicherheit, Zertifikate, die Angabe von Inhaltsstoffen und so weiter angeht. Diese Vorschriften sollen nach Möglichkeit angeglichen werden. Dabei schwingt von der einen oder der anderen Seite immer wieder der Vorwurf mit, die Regelung des jeweils anderen sei marktprotektionistisch und nur dazu gedacht, unerwünschte Konkurrenz fernzuhalten.
Zu den Kuriosa in diesem Sammelsurium von Partikularwünschen zählt das Ansinnen, die USA möchten doch die Bezeichnung „Wasser“ als Inhaltsstoff zulassen, statt auf „Aqua“ zu bestehen. Wäre das TTIP insgesamt so harmlos, man könnte sich beruhigt zurücklehnen. Die zitierten Beispiele zeigen aber im Gegenteil, dass große Vorsicht geboten sein wird, wenn es zu den jeweils einzelnen Regelungen kommt.
Man muss abwarten, ob die Zivilgesellschaft bei den zukünftigen Verhandlungen ebenso wachsam sein wird, wie seinerzeit bei ACTA. Oder ob die beteiligten Akteure es schaffen werden, sich solch unerwünschte Aufmerksamkeit diesmal vom Hals zu halten.
Crosspost von Digitale Linke