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Steinbrück & Gabriel – Rhetorik zwischen Anspruch und Wirklichkeit

von , 14.4.13

Wer heute den Parteitagsreden der SPD-Größen Steinbrück und Gabriel beim Programmparteitag in Augsburg lauschte, wurde Zeuge des immer noch bestehenden Grabens zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Die Ziele der SPD klingen richtig, sind richtig. Die Glaubwürdigkeit ihrer Absender und der Partei werden jedoch nicht wiederhergestellt werden, solange nicht die Fehler der Vergangenheit klar und offen reflektiert werden.

Dabei hat Sigmar Gabriel noch die besseren Chancen, den sozial-demokratischen Charakter der SPD wieder herausstellen und glaubhaft vertreten zu können. Immerhin setzt er sich schon seit 2010 gegen Hartz IV ein, fordert eine Reform der Reform. Kanzlerkandidat Steinbrück hingegen verteidigte die unter Schröder eingeführte Reform noch zuletzt und dokumentiert nicht erst seit der Kanzlergehaltsdebatte seine persönliche Distanz zu den finanziell Abgehängten in unserer Gesellschaft. Glaubwürdiges Interesse an sozialer Gerechtigkeit sieht anders aus.

Auch Gabriel überstrapaziert hier und da das Bild des volksnahen Politikers. Wenn er gegen Wirtschaftsprofessoren wettert, “Die sollen mal ´ne Woche bei Schnee und Eis Post austragen!”, fragt man sich doch unweigerlich, ob er denn selbst schon diese Erfahrung gemacht hat. Auch mit Fakten nimmt er es nicht ganz genau: So beklagt er, dass das Wachstum in Deutschland unter Merkel gelitten habe. Die Zahlen sagen etwas anderes (globale Krise 2008/2009 ausgenommen).

Ein Highlight vor allem für die Twitter-Timeline bildete das Statement

„Das wichtigste technische Hilfsmittel im Wahlkampf ist nicht das Internet, sondern der Klingelknopf.“

Diese Kritik an Experimenten wie Liquid Feedback bei den Piraten und der FDP ist anachronistischer Populismus und Anbiederung an den seniorigen oder konservativen Teil der Partei und Wählerschaft. Interessant vor allem vor dem Hintergrund, dass Steinbrück sich später der digitalen Wirtschaft wieder zuwenden wird. Einigkeit, wie Politik von morgen aussehen soll, gibt es also noch nicht.

 

Steinbrück gibt sich basisdemokratisch

Dann spricht er endlich: Der Hoffnungsträger, der Ungeliebte, aber Gehaltene: Peer Steinbrück.

Der Druck ist auch für einen gestandenen Politiker wie ihn gewaltig geworden, seine Anspannung ist spürbar. Erst zum Ende hin, nach fast einer Stunde, wird er lockerer, geht mit Mimik und Gestik aus sich heraus, traut sich sogar Humor. Seine Textbausteine bleiben jedoch weitestgehend oberflächlich:

“Wir werden vieles besser, aber noch mehr anders machen”

Das ist der Grundtenor seiner Rede. Und damit erfüllt er bei vielen auch schon die emotionale Erwartung an einen Politikwechsel. Dabei betont er immer wieder die Unterschiede zu Union und FDP, als wären sie nicht von allein klar.

Klug führt er die basisdemokratischen Elemente seines Wahlkampfs fort: Erwähnt die von Bürgern eingebrachten Wahlprogrammbausteine, begrüßt Seniorinnen, Unternehmerinnen und einen jungen Migranten als Ehrengäste namentlich – das ist lobenswert, modern und bürgernah. Es sind jedoch bisher lediglich Anfänge, mehr nicht.

Dann die Abgrenzung zum Gabrielschen Klingelknopf: Steinbrück will mehr kreative Wirtschaft und digitale Kompetenzen, weil er sie als „Schlüssel für die Arbeitswelt von morgen“ erkennt. Alle Schüler sollen mit Laptop und Tablet lernen. Dass dies ein genauso schwer erfüllbares Versprechen ist wie der flächendeckende Breitbandausbau, weiß Steinbrück. Es unerwähnt zu lassen, riecht nach netzpolitischem Populismus und Unterschätzung der „Netzgemeinde“, bei der er sich anzubiedern versucht.

Und diese hat noch nicht vergessen, wie die SPD sie erst kürzlich beim Leistungsschutzrecht für Presseverlage enttäuscht hat. Die SPD hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie grundsätzlich ein LSR unterstützt. Das Urheberrecht „anders“ und „besser“ anzugehen, für einen fairen Interessenausgleich zu sorgen, Produzenten von geistigem Eigentum zu schützen – ja, das wollen die anderen auch. Mit der Unterstützung des LSR und der Begriffswahl „geistiges Eigentum“ positioniert er sich neben den Befürwortern traditioneller Verwertermodelle und lässt Raum für die Interpretation, dass von der SPD tendenziell keine fortschrittlichen, alternativen oder gar mutigen Reformen zu erwarten sind.

Auch Steinbrück versucht sich in Zahlendreherei zu Ungunsten von Schwarz-Gelb: So bezeichnet er die Regierung als „im Abwind“ befindlich, die SPD (oder Rot-Grün?) sieht er im Aufwind und bezieht sich dabei auf die letzten Ergebnisse bei Landtagswahlen. Auch hier lässt er die Zahlen aus, die er und seine Partei gerade nicht begrüßen – die eigenen aktuellen Umfragewerte:

Während Union und FDP zum ersten Mal seit über drei Jahren mit 47 Prozent wieder eine regierungsfähige Mehrheit haben, schaffen SPD, Grüne und Linke zusammen nur 46 Prozent. Die SPD allein liegt bei mageren 23-26 Prozent, die Grünen dümpeln bei 14 Prozent. Noch dramatischer: Lediglich 19 Prozent der Wähler wünschen sich Steinbrück als nächsten Bundeskanzler, sogar fast die Hälfte der SPD-Anhänger halten Steinbrück für eine Fehlbesetzung.*

Der Mangel an Vertrauen und Glaubwürdigkeit resultiert aus der Geschichte der Partei und ihres Kandidaten. Die aktuelle linke Rhetorik passt weder zu Steinbrück noch zur SPD, schon gar nicht, solange die Partei ihren Parteitag aussehen lässt wie eine Messe.

Dass Claudia Roth als Vorsitzende des grünen Wunschpartners sprechen durfte, ist wiederum nur klug: Die Glaubwürdigkeits-Lücke, die die SPD allein nicht zu füllen vermag, stopft Roth mit ihrem Engagement nahezu mühelos.

 

Wir müssen von der SPD mehr erwarten

Ich vermisse bei der SPD eine ehrliche Reflektion über die eigenen Fehler in der Sozialpolitik. Ohne ein klares Bekenntnis, dass bei den Hartz-IV-Reformen gepennt wurde, ist ein Lerneffekt nicht glaubwürdig. Das Alte muss abgeschlossen werden, bevor das Neue Gehör finden kann.

Und auch in Sachen Netzpolitik muss die SPD sich Kritik gefallen lassen. Ich erlebe hier in Hamburg eine unkritische Unterstützung der SPD. Auch und vor allem von Menschen, die mir bisher nicht besonders politisch aufgefallen sind. Ich wünsche mir von den Digitalen und Kreativen einen weiteren Blick über den Tellerrand, ein Hinterfragen, ein eigenes Denken.

Die SPD soll sich nicht ausruhen dürfen bis September und erst recht nicht danach, sollte sie den Regierungswechsel schaffen.

Ohne Glaubwürdigkeit wirken die Inhalte nicht. Die SPD hat den ersten Schritt auf dem Papier gemacht. Nun gilt es, den Worten Taten folgen zu lassen. Denn bei aller Kritik an den Sozen: Etwas Besseres als eine Fortsetzung von Schwarz-Gelb ist Rot-Grün allemal. Doch sollten wir es ihnen nicht zu leicht machen. Wir haben noch viele Fragen, die wir stellen, viele Erwartungen, die wir klar formulieren müssen. Wer uns an die Urnen bringen und unser Land regieren will, muss mehr zuhören und vielleicht auch weniger Reden halten.

 
* Zahlen: http://mobil.stern.de/politik/deutschland/stern-rtl-wahltrend-koalition-hat-nach-jahren-wieder-eine-mehrheit-1994758.html und http://www.zeit.de/politik/deutschland/2013-04/spd-umfrage-steinbrueck. Crosspost von Zentralprojektion.

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