von Heiko Hilker, 22.12.13
Wer nur Radio hört, kann seinen Beitrag nicht mehr mindern, obwohl die Fernsehproduktion vielfach teurer ist als das Radio. Wer gar keine Lust auf Radio oder Fernsehen hat, der muss trotzdem zahlen. Denn heute reicht es nicht mehr aus, Radio und Fernseher zu entsorgen, um sich der Zahlung zu entziehen.
Schließlich gebe es ja, so die Politik und die Intendantinnen und Intendanten, viele Geräte, wie zum Beispiel Handys, Smartphones oder Laptops, die den Rundfunkempfang ermöglichen. Deshalb sei davon auszugehen, dass fast jeder auch Rundfunk nutzt. Da dies „typischerweise“ in Wohnungen geschehe, zahlt man den Beitrag nicht mehr für das „Bereithalten“ von Geräten, sondern für die Wohnung. Da ARD, ZDF und Deutschlandradio einen wesentlichen Beitrag zur Meinungsbildung liefern und somit der Demokratie „dienen“, würden auch die „Medienverweigerer“ indirekt vom Angebot der Sender profitieren.
Doch wieso führt man erst jetzt, nach fast 65 Jahren Bundesrepublik, diese Argumentation ins Feld? Lässt der technische Fortschritt keine andere Lösung zu?
Nun, eine Folge ist, dass all die bisherigen Totalverweigerer wie auch die Nur-Radionutzer den vollen Beitrag bezahlen müssen. Doch auch dies diene den Zahlern, da man im Sinne des Datenschutzes nicht mehr erfassen müsse, ob jemand nur Radio hört oder auch Fernsehen sieht.
Das neue Beitragsmodell trägt viele Widersprüche ins sich. Allerdings eröffnet es auch ungeahnte Perspektiven, um neue, unabhängige Angebote zu finanzieren.
Der Verfassungsrechtler Prof. Paul Kirchhoff hatte im Jahr 2010 im Auftrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio ein Gutachten zur „Haushaltsabgabe“ vorgelegt. Darin stellte er fest, dass moderne Menschen
„an der öffentlichen Debatte einer modernen Demokratie, an der Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft, an allgemeiner Kultur und Unterhaltung, an allgemein zugänglichen Quellen der Information“
teilhaben müssen. Der Rundfunkbeitrag soll dafür sorgen, dass gesellschaftlich unverzichtbare Informationsangebote bereitgestellt werden, und dies unabhängig „von Einschaltquoten und ohne Ausrichtung des Programms auf Massenattraktivität“. Letztlich soll der Rundfunkbeitrag Angebote finanzieren, die wesentliche Beiträge zur öffentlichen Meinungs- und Willensbildung leisten und dadurch der Demokratie dienen.
Doch solche Angebote machen nicht nur ARD und ZDF.
Einige Zeitungen wie auch viele Angebote im Internet werden dieser Anforderung ebenfalls gerecht. Viele von ihnen haben – im Gegensatz zu ARD und ZDF – weder Einschaltquoten im Blick, noch wollen sie massenattraktiv sein. Sie bedienen Zielgruppen, die für die öffentlich-rechtlichen Sender zumeist nur Randgruppen sind. Trotzdem haben sich einige von ihnen (wikipedia, bildblog.de, netzpolitik.org, LeFloid, …) schon zu wichtigen publizistischen Angeboten entwickelt.
Und diese Angebote werden auch genutzt. Immer mehr Menschen informieren sich auch im Internet. Das Netz trägt somit also auch immer stärker zur Meinungs- und Willensbildung bei. Müsste dann nicht auch ein Teil dieser Angebote Mittel aus dem Rundfunkbeitrag erhalten? Wieso eigentlich muss man voll zahlen, wenn ARD und ZDF bei vollem Beitrag ihren Auftrag nur noch teilweise erfüllen?
Von den fast 9 Milliarden Euro, die die Sender zur Produktion des Programms zur Verfügung haben, fließen nicht einmal 1,5 Prozent in Angebote für Kinder. Abgesehen davon, dass diese 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen, werden gerade in diesem Alter Hör- und Sehgewohnheiten geprägt. Hier wird der Grundstein für zukünftige Nutzer gelegt.
Seit mehr als 15 Jahren gibt es den Kinderkanal im Fernsehen, doch zu einem Kinderradio konnten sich die Sender bis heute nicht durchringen, und dies trotz 67 eigener Radiokanäle. Einzelne Genres werden von den Sendern ganz ausgeblendet, obwohl sie laut Staatsvertrag der Vielfalt verpflichtet sind. Kurzfilme findet man so gut wie gar nicht, der Animationsfilm für Jugendliche spielt im Programm keine Rolle, Kindern wird zumeist amerikanische oder deutsche Animations-„Ware“ geboten.
Dokumentarfilme, die nicht in das Senderaster passen, haben so gut wie keine Chance. Die unabhängigen Produzenten werden zu Fließbandarbeitern degradiert. Thema, Zielgruppe, Ansprache wie auch Umsetzung werden in vielen Fällen von den Sendern vorgegeben. Dies gilt auch für die Radioangebote, für Hörspiele, Features und Reportagen wie auch viele Nachrichtenangebote.
Das Programm wird zumeist gemacht, um das Publikum bei der Stange zu halten, eine hohe Quote zu erreichen. Es wird formatiert. Was nicht ins Format passt, was es sprengt, kommt nicht vor. Der Journalist Malte Welding bringt es auf den Punkt:
„Die Sender zielen darauf ab, die Intensivseher an das Programm zu binden. Intensivseher sind jene 33 Prozent der Zuschauer, die 80 Prozent des Fernsehkonsums ausmachen. Sie schauen bis zu acht Stunden täglich fern.“
Frankfurter Rundschau, 22.03.2012
Dies bedeutet im Umkehrschluss: Einen großen Teil der Bevölkerung will man ganz bewusst nicht erreichen. Oftmals wird dann darauf verwiesen, dass man sich die anspruchsvollen Filme und Dokumentationen, die spät nachts gesendet werden, auch in der Mediathek ansehen kann.
Doch viele, die das vorschlagen, haben es anscheinend noch nie selbst probiert: Die Qualität der Bilder schwankt oftmals, der Film ruckelt, manchmal muss „nachgeladen“ werden. So kann ein 90-minütiger Film auch einmal 120 Minuten dauern. Zudem gibt es nicht wenige Gebiete in Deutschland, wo das Internet so langsam ist, dass man die Mediathek nicht sinnvoll nutzen kann. Im Internet gibt es eben keine „Versorgungssicherheit“.
ARD und ZDF sind nicht so frei, tun und lassen zu können, was sie wollen. Sie haben einen klaren gesetzlichen Auftrag. Von dem haben sie sich allerdings entfernt. Bisher ist es weder den Gremien noch den Landesregierungen, die die Rechtsaufsicht über die Sender haben, gelungen, diese von ihrem schmalen Grat der Aufgabenerfüllung auf den breiten Pfad der gesetzlichen Vorgaben zurückzuführen.
Und, so ist zu fragen: Warum sollen die Sender den vollen Beitrag erhalten, wenn sie ihren gesetzlichen Auftrag nur teilweise erfüllen? Warum sollen sie jeden Monat von jedem Beitragszahler den vollen Rundfunkbeitrag von 17,98 Euro erhalten, wenn sie doch einen Teil der Beitragszahler gar nicht erreichen wollen? Ja, sollte man ihnen nicht einen Teil sperren, wenn sie nicht das volle Programm bieten? Sollten nicht andere einen Teil des Rundfunkbeitrags erhalten, wenn diese einen Teil der Aufgaben von ARD und ZDF erfüllen?
Technisch ist dies heutzutage einfach möglich. Im Internet gibt es viele verschiedene Geldverteilsysteme. Eines davon ist Flattr: Ein vom Nutzer festgelegter Betrag wird auf all die Angebote verteilt, die Geld erhalten sollen. Jeder Beitragszahler kann auf jeder Website mit dem Flattr-Spendenknopf entscheiden, ob er für diesen Inhalt bezahlen möchte.
Am Ende des Monats wird die Anzahl der Klicks zusammengezählt und die monatliche Summe des Nutzers gleichmäßig auf alle geklickten Inhalte verteilt. Wird innerhalb eines Monats nur ein einziges Angebot geflattrt, wird der gesamte eingezahlte Geldbetrag dem geklickten Angebot gutgeschrieben. Klickt man 100 an, so erhalten diese jeweils ein Hundertstel der Summe.
Natürlich muss dabei gewährleistet sein, dass diese Angebote journalistischen Qualitätskriterien genügen. Sie müssen frei zugänglich sein und für einen klar definierten Zeitraum kostenlos zur Verfügung stehen. Und selbstverständlich darf man auch ARD, ZDF und Deutschlandradio flattrn.
Würde man nur 10 Prozent der Beitragseinnahmen dafür verwenden, hätte man ca. 750 Millionen Euro zur Verfügung. Um dies mal ins Verhältnis zu setzen: Im Jahr 2010 haben ARD und ZDF ca. 900 Millionen Euro allein für Sportübertragungen ausgegeben.
Doch könnte es nicht sein, dass ARD, ZDF und Deutschlandradio keinen gewinnen, sie zu flattern? Und dies, obwohl sie mit all ihren Programmen für sich werben können? Dies würde dann ja heißen, dass sie gesellschaftlich irrelevant geworden sind.
Einen Teil des Rundfunkbeitrags zu flattrn, würde vielen dienen. Davon könnten alle profitieren, die im Netz Angebote mit Anspruch machen, also neben Bloggern und reinen Medienanbietern im Internet auch anerkannte Tageszeitungen, Wochenzeitungen, Radios und Fernsehsender.
Unter welchen Bedingungen dies dann signifikant der Demokratie dient, ist eine andere Frage. Auf jeden Fall ist es ein erster Schritt.