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Medienpolitik: Digital ist besser und Google ist nicht schuld

von , 21.9.09

Viel wurde in den letzten Monaten über das Internet geschimpft. Es sei ein „rechtsfreier Raum“, ein „Hort der Sittenlosen“. „Verkehrsregeln“ seien notwendig, da es so nicht weitergehen könne. Das Internet als Schmuddelkind der Gesellschaft – irgendwie cool und aufregend, aber gleichzeitig verrucht und undurchsichtig. Das Internet als Ort des Untergangs bisheriger Werte – allen voran der Verwertungsmodelle der Medienwirtschaft des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

Verschiedene Kurzschlussreaktionen haben unlängst für Verwirrung gesorgt: Zuerst der Heidelberger Appell im März diesen Jahres. Autoren, Wissenschaftler und Verleger mobilisieren darin gegen die Digitalisierung. Teilweise realitätsfern wirft dieser Appell alles, was nur irgendwie mit dem Thema Urheberrecht und Digitalisierung zu tun hat, in einen Sack und haut wahllos drauf. Einige Wochen später erschien die Hamburger Erklärung der Medienindustrie – ein weiteres Dokument der Hilflosigkeit. Zehn Jahre lang beschworen Verleger die Innovationskraft des Internets. Nun merken sie, dass die Gewinnmargen sinken.

Die Reaktion ist wenig innovativ, sie greift nur auf Altbewährtes zurück. Die Medienindustrie fordert in der Erklärung eine stärkere Regulierung und letztendlich die Einführung eines Leistungsschutzrechts. Immer wieder ist die Firma Google Dreh- und Angelpunkt des Unmuts. Google steht stellvertretend für fast alles „Schlimme“, was im Netz passiert, und wird so für viele Menschen zum Sinnbild für „das Internet“.

Doch Google ist nicht schuld. Ob es überhaupt einen Schuldigen gibt (wofür überhaupt?), sei erstmal dahingestellt. Natürlich ist ein Unternehmenskurs wie der von Google, der manchmal nach dem Credo “Erst machen und dann fragen“ funktioniert, neu. Sicherlich auch verwirrend. Google schafft Tatsachen und schwächt damit die Ausgangspositionen bei Verhandlungen für die Betroffenen (Bsp. Street View, Book Search). Es besteht die Gefahr, dass neue Monopole entstehen, gegen die auch politisch vorgegangen werden muss. Die beste Gegenwehr ist in einer freien Wissensgesellschaft aber ist weiterhin die Innovation.

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Auf die Frage, wie eine Finanzierung ihrer und anderer Arbeiten erfolgen könnte, gehen die Autoren das Internet-Manifests leider nicht ein.

Eine zeitgemäße Netzpolitik geht vom Paradigma der freien Wissensgesellschaft aus. Dabei steht eine grundlegende Reform des Urheberrechts an vorderer Stelle. Die derzeitige Verbots-, Kontroll- und Überwachungspolitik ist unverhältnismäßig und rechtsstaatlich bedenklich, dient sie doch ausschließlich der Durchsetzung von Industrieinteressen. Die Interessen der Kreativen sowie Nutzerinnen und Nutzer müssen aber ebenfalls berücksichtigt und gestärkt werden. Privatpersonen sollten für die nicht-kommerzielle Nutzung geschützter Werke neue, legale Möglichkeiten erhalten. Die Politik muss den digitalen Tatsachen endlich ins Auge sehen. Die technischen und gesellschaftliche Entwicklung ist dem Klüngel der schwarz-roten Medienpolitik in Bund und Ländern weit voraus. Es herrscht große Unzufriedenheit mit der derzeitigen, unklaren Situation.

Eine Pauschalvergütung für die nicht-kommerzielle Nutzung wäre der beste Weg, um einen fairen Interessenausgleich zwischen Kreativen und Nutzerinnen und Nutzern herzustellen. Es ist weder politische Aufgabe, Unternehmensmodelle der Medienindustrie des letzten Jahrhunderts zu schützen, noch sollte die Politik Handlanger einer Abstrafkampagne gegenüber Internetnutzern werden. Aufgabe der Politik ist es, eine zukunftsfähige Netzpolitik zu entwickeln, die das Zusammenleben der Menschen im digitalen Raum unterstützt und dabei dessen spezifische Konstitution berücksichtigt. Es ist Aufgabe der Politik, alle Beteiligten demokratisch einzubeziehen – nicht nur Medienindustrie und Internetanbieter, sondern auch Kreative und vor allem die Nutzerinnen und Nutzer selbst.

Zentrale politische Aufgabe ist es, den freien Zugang zu Informationen sicher zu stellen – losgelöst von einseitigen Interessen. Deswegen kommt den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine so bedeutende Rolle zu. Anstatt deren Entwicklungen im digitalen Raum zu behindern, muss es Wunsch der Politik und der Gesellschaft sein, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch online zu stärken. Das beinhaltet die Präsenz auf neuen Plattformen – seien sie mobil oder digital. Künstliche Prozenthürden als Budgetgrenzen bringen hier gar nichts. Ein moderner öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist notwendig. Dieser muss seine Archive öffnen, für alle nutzbar machen und diese Inhalte unter freien Lizenzen wie Creative Commons zur Verfügung stellen.

Mit der zunehmenden Konvergenz der Medien, steigt der Konkurrenzdruck, Inhalte auch digital anzubieten. Eine Benachteiligung einzelner Nutzer oder bestimmter Inhalte darf es nicht geben. Netzneutralität muss gesetzlich festgeschrieben und für den Einzelnen durchsetzbar sein. Hier muss die kommende Bundesregierung auch auf europäischer Ebene klar Position für die Netzneutralität beziehen.

Was die Frage der Medienvielfalt in der digitalen Welt angeht, so muss sich die hiesige etablierte Medienlandschaft sowohl mit dem internen Druck aus ihren eigenen Online-Redaktionen als auch dem der nationalen Blogosphäre auseinandersetzen. Deshalb hat sich das Internet-Manifest führender deutscher Blogger auf diese Auseinandersetzung fokussiert. Andere Fragen, z. B. wie eine Finanzierung ihrer und anderer Arbeit erfolgen kann, werden leider nicht angegangen. Dies ist aber notwendig. Das Internet sollte als Teil der Bürgermedien gefördert und gestärkt werden. Dafür müssen Regulierungen (Bsp. Haftungsfragen) im Telemediengesetz geändert werden. Öffentliche Medienförderung muss es auch für Neue Medien geben – seien es Computerspiele oder Blog-Projekte. Die Politik darf sich nicht auf eine Förderung von Kulturgütern aus dem 20. Jahrhundert beschränken.

Zudem muss die Politik allen Menschen die Teilhabe an der Digitalisierung ermöglichen. Um die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, fordern wir eine flächendeckende Breitbandversorgung und den Aufbau öffentlicher WLAN-Netze. Damit alle Menschen an der Digitalisierung teilhaben können, ist die Vermittlung von Medienkompetenz das A und O. Diese muss früh beginnen – am besten im Kindergarten – und darf nicht mit dem Schulabschluss enden. Allen Alters- und Bevölkerungsgruppen müssen entsprechende Angebote zu Verfügung stehen.

Schließlich sollte Netzpolitik in der gesamten Gesellschaft diskutiert werden. Statt einseitiger Appelle sollten sich alle Interessengruppen daran beteiligen. Deutschland und Europa benötigen eine Gesamtstrategie für eine freie Wissensgesellschaft und eine fortschrittliche Netzpolitik.

Malte Spitz ist Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis 90/ Die Grünen.

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