von Vera Bunse, 10.8.12
Auf seinem Blog don’t mix politics with games berichtet Weinreich kritisch über den deutschen und internationalen Sport und weist immer wieder auf Vorgänge hin, die die übergroße Nähe von Politik und Sport belegen. Seine Spezialthemen sind die FIFA und Sepp Blatter, den er seit vielen Jahren journalistisch begleitet. Weinreich arbeitet regelmäßig für deutsche Zeitungen und Sender und hat u.a. den Grimme Online Award für seine Arbeit bekommen.
Deutschlandradio goutiert diese Arbeit nicht. Bereits im April ging dem Journalisten die Mitteilung über die Beendigung der freiberuflichen Mitarbeit zu. Aber:
Musste drei Monate mit der Veröffentlichung warten, bis ich diese bescheidenen drei Durchchschnittshonorare aus 2011 auf dem Konto hatte. Wollte nichts riskieren.
Wie ich 30-40 Prozent Verdienstausfall ausgleichen soll, weiß ich nicht.
Überhaupt scheint Deutschlandradio neuerdings kritischer Journalismus zu brenzlig zu sein. Erst vor wenigen Tagen wurde ein Radiobeitrag über den Wehrbeauftragten des Bundestags, Hellmut Königshaus, offline genommen, nachdem er bereits gesendet worden war: Königshaus hatte sich beschwert und die “Löschung” verlangt. (Der Beitrag ist mittlerweile wieder online.)
Während es dabei noch vornehmlich um Königshaus’ Rolle ging, ist hier ganz klar ein gravierender Eingriff in die Meinungsfreiheit gegeben. Weinreich schreibt:
Der Sender (DLF und Deutschlandradio Kultur) hat mir Berufsverbot erteilt. Ohne Anhörung. Ohne Angaben von Gründen.
[Nachtrag: Klar nenne ich das so, denn für mich ist das in einem wichtigen Bereich ein Berufsverbot, viel mehr als ein “Beschäftigungsverbot”. Innerhalb der ARD, im Sportverbund, war es für mich ohnehin nur im DLF möglich, regelmäßig Beiträge abzusetzen.]
Ein Journalist ist denen, über die er schreibt, nicht genehm? Muss weg. An sich schon ein Skandal, dass Politiker, die Verfassung und Grundgesetz verpflichtet sind, solche Ansinnen überhaupt stellen.
Bei weitem skandalöser ist allerdings die Willfährigkeit, mit der man bei Deutschlandradio nun solchen Anforderungen zu entsprechen scheint. Da sitzen Journalisten, denen klar sein sollte, was Meinungsfreiheit bedeutet. Sie hören, lesen und berichten jeden Tag von undemokratischen Verhältnissen in anderen Teilen der Welt und prangern sie an. Sie berichten auch über Politiker, die diese Zustände anprangern: Solange sie anderswo stattfinden.
Was ist los beim Deutschlandradio?
Vom wem wird Druck ausgeübt, der groß genug ist, dass man kritische Äußerungen von Journalisten nicht mehr senden zu können glaubt? Reicht es, den Verantwortlichen die aufmerksame Lektüre der Verfassung nahezulegen, oder geht es um Vorgänge, die in einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt nichts zu suchen haben und näheren Hinsehens bedürfen?
Wir warten gespannt auf eine Erklärung.
- Twitter zum Thema
- Hier findet sich eine aussagekräftige Stellungnahme von Birgit Wentzien, Chefredakteurin des Deutschlandfunks
- Moritz Meyer: @DLF kündigt @JensWeinreich – Über Vorbilder im Journalismus
- Erbloggtes: Staatssportmedien reduzieren Kritik durch Reduzierung der Kritiker
- Steffen Grimberg kommentiert auf taz online: Wenn Egos übern Rasen rasen
- Die Sportredaktion des DLF
- Hier noch ein Leser-Hinweis: Verfahren à la Metternich (Der Freitag, 2008)
- Falk Lüke: Anmerkungen zur Causa Jens Weinreich
- Breitband: Transparenz in der Sportberichterstattung
- foolDC: Staatsradio
- newsroom-Interview mit Grit Hartmann: Rauswurf von Jens Weinreich ist ein „journalistischer Gau“
- newsroom-Interview mit Herbert Fischer-Solms: “Jens Weinreich ist eine Bereicherung für jede Redaktion”
- Matthias Dell hat im ‘Altpapier’von gestern ergänzt:
Noch eine interessante Aktualisierung: Der DJV erklärt etwas zu Leyendecker-Roth-Wallraff. Ein Statement zu Weinreich steht noch aus. Not your cup of tea, Hendrik Zörner?
Gute Frage. Hendrik Zörner ist Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV). Auf Fragen von newsroom wischiwaschte er lediglich:
“Vor allem die Sportberichterstattung braucht Journalisten, die kritisch sind, die das Sportgeschehen hinterfragen. Sonst droht uns eine Eins-zu-null-Berichterstattung, die nur noch Aktualität kennt und das Wort Hintergrund nicht mehr buchstabieren kann. Es muss im Sport Journalisten geben, die gegen den Mainstream schreiben und senden. Sonst ist es um die journalistische Vielfalt schlecht bestellt.”
- Matthias Dell (15.12.2011): Herbert Fischer-Solms geht
- Ekkehard Kern, Die WELT: Wider die Wahrheitsallergiker in der Sportpolitik, ähnlich lautend vom 15.:Reichlich unsportlich
- Birgit Wentzien bei newsroom: Deutschlandfunk: Trennung von Jens Weinreich “endgültig”
- Christiane Mitatselis, KStA: Ein unliebsamer Sportjournalist?
- Birgit Wentzien auf dradio.de: Zu den Vorwürfen von Jens Weinreich gegen die DLF-Sportredaktion
- Wolfgang Michal, gleich nebenan: Über den Versuch, den Fall Weinreich auf Verhaltensmängel zu reduzieren, darunter ein Kommentar von Jens Weinreich. Der schließt so:
Ich mache Radio im Internetz und produziere eine wunderbare Podcast-Serie, die es, Großkotzverunglimpfer wie ich bin, so noch nicht gegeben hat. Ab Sonntag.
- Martin Böttger, Ruhrbarone: Deutschlandfunk vs. Jens Weinreich
- Fred Beutel, Blog Ab jetzt im Pott: Selbstüberschätzung
- Die WELT: Reichlich unsportlich
- Bülend Ürük, newsroom: Leser fordern „setzt Euch endlich mal zusammen“
- Wolfgang Michal interviewt Hajo Seppelt: „Die Blogeinträge waren gewissermaßen der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“
- Bülend Ürük, newsroom: Jens Weinreich: “Gegen derlei Boshaftigkeiten kann ich mich ohnehin nicht wehren”
- World Wide Wagner: u.a. radioeins-Video-Interview mit Jens Weinreich
- Michael Ridder, epd Medien: Die Interessen der Funktionäre. Dreppers Erfolg und Weinreichs Fall
und radioeins-Interview mit Birgit Wentzien