von Frank Lübberding, 30.5.13
“Die Abgeordneten, die sich Mitte Mai im Keller des Verteidigungsministeriums informieren ließen, saßen nicht zum ersten Mal in dem abhörsicheren Besprechungsraum, um ernste Dinge zu erfahren. Doch diesmal kehrten viele erschüttert von der vertraulichen Unterrichtung zurück.
„Unfassbar“ hieß es fraktionsübergreifend, nachdem Generalinspekteur Volker Wieker die Verteidigungsfachleute des Bundestags über die Umstände des Todes eines deutschen Elitesoldaten am 4. Mai in der Provinz Baghlan (in Afghanistan F.L.) unterrichtet hatte.”
Ein namentlich nicht genannter Oppositionspolitiker lässt sich in dem FAZ-Artikel dabei so zitieren:
„Ich habe das furchtbare Gefühl, dass unsere Ausbildungsbemühungen und unsere Opfer im Kampf gegen die Aufständischen umsonst gewesen sind. Die Zusammenarbeit muss beendet werden, um nicht noch weitere Opfer zu erleiden.“
Den afghanischen Verbündeten wird Feigheit (und bei Spiegel online sogar Verrat) vorgeworfen, wenn es auch in dem Kostüm fehlender Professionalität daherkommt. An dieser Aussage erkennt man aber vor allem die politische Naivität, die den deutschen Afghanistan-Einsatz bis heute begleitet. Offenkundig scheint man sich im Keller des Verteidigungsministeriums nicht die Frage zu stellen, warum sich die afghanische Polizei und Armee so verhält – und ob sie nicht einen guten Grund dafür hat.
Afghanistan ist eine militaristische Gesellschaft. Der Waffenbesitz und die Bereitschaft, diese einzusetzen, sind ein wesentlicher Teil in der Kultur dieses Gesellschaft. Das Land lebt seit 1978 ununterbrochen im Bürgerkrieg. Praktisch jeder männliche Jugendliche wird in einem Umfeld permanenter Gewaltbereitschaft erzogen.
Wie sinnvoll ist es dann, die heillose Flucht der afghanischen Polizei Anfang Mai mit Feigheit zu erklären? Oder der fehlenden Professionalität nach gescheiterter Ausbildung? Dieses Verhalten wäre nämlich durchaus rational zu erklären.
Der kommende Abzug des Westens aus Afghanistan ist eine Tatsache, wo es nur noch um die Frage gehen wird, wie er politisch und technisch abzuwickeln sein wird. Wenn die Bundeswehr und ihre Verbündeten weg sind, müssen die afghanischen Soldaten und Polizisten bleiben. Sie werden den Taliban gegenüberstehen, die sie heute noch bekämpfen sollen.
Niemand kennt die Zukunft in Afghanistan, unter anderem weiß auch niemand, ob sich Präsident Karsai behaupten kann oder nicht. Die Vermutung, dass er das Exil einem Tod in Kabul vorziehen wird, ist sicherlich nicht aus dem Leeren gegriffen. Die Afghanen werden sich verständigen müssen: Wollen sie den Bürgerkrieg fortsetzen, oder finden sie einen modus vivendi, der nicht Krieg heißen muss?
Es ist aus der Perspektive eines afghanischen Soldaten völlig unsinnig, in einem Krieg zu kämpfen, der schon lange nicht mehr sein Krieg ist. Diese Soldaten sollen eine westliche Vorstellung von einem afghanischen Staat verteidigen, der aber seit Beginn der Besetzung im Jahr 2002 nur in der Phantasie der europäischen (und vor allem der deutschen) Politik existierte. Dieser afghanische Soldat ist tatsächlich besser beraten, sich auf seine traditionellen Loyalitäten zu verlassen, als auf die Idee westlicher Politik über Afghanistan.
Der einzige nachvollziehbare Sinn dieses Einsatzes nach 9/11 war es nämlich, dieses Land ohne Staat als Stützpunkt des internationalen Terrorismus auszuschalten. Dass die USA darüber hinaus ein geopolitisches Interesse hatten, ist bekannt. In Afghanistan ist aber die Vorstellung vom nation building gescheitert, die vor allem die deutsche Außenpolitik bis heute bestimmt. In dieser Hinsicht ist sich die deutsche Politik auch weitgehend einig: und zwar von der Linken bis zur FDP. Man streitet nur um die Frage, ob das einen militärischen Einsatz rechtfertigt oder nicht.
An dieser Orientierung der außenpolitischen Debatte hat sich auch nichts geändert. In Syrien ist das erneut zu besichtigen.
Die deutsche Politik hat bis heute keine Position zu dem Thema. Die Formeln von der “politischen Lösung” oder die Forderung nach einem Ende des Bürgerkriegs in Syrien sind so gut begründet, wie die Erwartung an afghanische Polizisten, für die deutsche Idee von Afghanistan zu kämpfen.
Glaubt jemand ehrlich, dass der Westen in Syrien einmarschiert, um dort ein Protektorat zu errichten? Noch nicht einmal die USA haben nach den Erfahrungen im Irak und Afghanistan ein ernsthaftes Interesse an einem offenen militärischen Engagement. Syrien ist dabei schon längst in seine ethnischen und religiösen Bestandteile zerfallen, wo sich darüber hinaus fremde Mächte zur Sicherung ihrer Einflusssphäre (und Interessen) engagieren.
Das betrifft die Saudis und die Golfemirate, den Iran und die Hisbollah, Israel und die Türkei. Wobei die beiden Letzteren nichts ohne die Rückendeckung der USA unternehmen werden.
Deutschland lehnt Waffenlieferungen an jene Teile der syrischen Opposition ab, die nicht von den Saudis unterstützt werden, gleichzeitig liefert sie aber alles, was sich Saudis und Emirate aus deutscher Waffenproduktion wünschen. De facto behandelt Deutschland beide als Verbündete. Sie lässt damit zu, dass diese sowohl im Irak als auch in Syrien jene Kräfte unterstützen, die den Bürgerkrieg als Teil ihres antiwestlichen Dschihad betrachten.
Wie ist das aber mit dem Status der ratlosen Unschuld vereinbar, die man in diesem Interview mit Philipp Mißfelder oder seines SPD-Kollegen nachlesen kann? Die in den Interviews dokumentierte Ratlosigkeit ist dabei durchaus nachvollziehbar. Niemand weiß, wie dieses Gemetzel in Syrien beendet werden soll.
Nur – steht dessen Beendigung wirklich auf der Agenda der internationalen Politik, wie es die deutsche Debatte suggeriert? Offenkundig geht es in Wirklichkeit allen schon lange nur noch darum, den Sieg einer Konfliktpartei zu verhindern, der nicht in dem Interesse des jeweiligen Akteurs liegt.
Eine politische Lösung wird erst möglich sein, wenn Assad oder die Opposition gesiegt haben – oder jedem Akteur klar geworden ist, dass er nicht siegen kann. Das war auch die Motivation von Briten und Franzosen, in der EU eine Aufhebung des Waffenembargos zu verlangen. Im Postillon ist dazu zu lesen:
“Damit bekommt Syrien ab August endlich wieder das, was es am dringendsten braucht: Mehr Waffen.”
Wenn in Zukunft wieder Bundestagsabgeordnete “im Keller des Verteidigungsministeriums” in einem “abhörsicheren Besprechungsraum” sitzen sollten, um “ernste Dinge zu erfahren”, sollten sie den Autor des “Postillon” hinzuziehen. Er beschreibt schlicht den Zynismus der internationalen Politik.
Augenscheinlich können in Deutschland nur noch Satiriker die Wirklichkeit beschreiben. Die Außenpolitiker sitzen dafür ratlos in ihrem Reich der Ideen, wo sie diese nicht mehr zur Kenntnis nehmen müssen.
Crosspost von Wiesaussieht