von Fabio Reinhardt, 15.1.17
Die letzten 72 Stunden waren ein sehr plastisches Beispiel, wie gutes Regieren nicht funktioniert. Am Samstagnachmittag kommunizierte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller über die Presse: Holm muss gehen! Heißt: Die Linkspartei soll den erst im Dezember 2016 ernannten Baustaatssekretär Andrej Holm zurück ziehen.
Die Begründung Müllers (hier im Wortlaut) ist ein paar Sätze wert: Müller verweist darauf, dass Holm die Gelegenheit gehabt habe, „sich und seinen Umgang mit der eigenen Biografie zu überprüfen und zu entscheiden, ob er ein hohes politisches Staatsamt ausfüllen kann“. Er sei jedoch „zu dieser Selbstprüfung und den dazugehörigen Rückschlüssen nicht ausreichend in der Lage“ gewesen. Entweder also war der Ausgang von Anfang an klar und die Chance zum freiwilligen Verzicht wurde nicht genutzt oder Müller erklärt, Holm habe die Angelegenheit in der Öffentlichkeit schlecht verkauft. Das kann man natürlich so sehen. Es geht weiter: „Polarisierung in dieser Rolle kann nicht den gemeinsamen Zielen dieser Koalition dienen. Vielmehr schadet es der Umsetzung einer glaubwürdigen Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik des Senats.“ Das ist schon deutlich brisanter. Denn polarisieren tut Andrej Holm in der Tat. Aber vor allem durch seine Ansichten, mit denen eine er eine radikale Wende in der Mieten- und Baupolitik fordert und auch schon mal Hausbesetzungen legitimierte.
Die 15.000 Unterschriften, die letzten Donnerstag für einen Verbleib Holms überreicht wurden, zeigen jedenfalls, dass er auch viel Rückhalt – gerade bei mietenpolitischen Initiativen – hat. Die SPD allerdings steht trotz ihrer drastischen Verluste bei den letzten Wahlen eher für eine investoren- als für eine mieterfreundliche Politik. Sowohl die inhaltlichen als auch die personellen Änderungen – der stellvertretende Landesvorsitzende und Müller-Vertraute Andreas Geisel musste das Senatorenamt nach der Wahl widerwillig für die Linke räumen – waren schmerzhaft für Müller. Und die Aussage, dass Polarisierung den wohnungspolitischen Zielen im Wege steht, ist wohl nur die halbe Wahrheit. Die angestrebte Wende in der Mietenpolitik lässt sich sogar nur vollziehen, indem man einer ganzen Reihe von Akteuren – allen voran Investoren – auf die Füße tritt und damit natürlich auch entsprechend polarisiert. Die Frage ist also eher, ob das überhaupt gewollt ist. Wohl nicht von allen.
Die Aussage, dass Polarisierung den wohnungspolitischen Zielen im Wege steht, ist wohl nur die halbe Wahrheit.
Relevanter an Müllers Aussagen ist, dass ein Regierungschef einen Staatssekretär einer anderen Partei de facto entlässt. Dieser Umstand ist durchaus eine Ausnahme. 2013 musste der damalige CDU-Sozialstaatssekretär Michael Büge gehen. Er war von vielen Seiten für seine Mitglied in der schlagenden rechtsnahen Verbindung Gothia kritisiert worden. Er ließ auch ein selbstgesetztes Ultimatum, sich zwischen der Mitgliedschaft in der Verbindung und im Regierungsamt zu entscheiden, verstreichen. Die SPD zeigte ihre Missachtung deutlich durch Nichtteilnahme an Rederunden zu diesem Thema. Entlassen hat sie ihn dennoch nicht. Mit vielen Monaten Verzögerung und viel Schaden für die Regierung tat dies dann irgendwann der Koalitionspartner.
Nun war aber die Berliner große Koalition „keine Liebesheirat“ (Zitat zahlreicher Beteiligter) und der Umgang miteinander oft von Blockade und öffentlich aufgeführtem Neid und Missgunst geprägt. Die Linke wollte aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen und kündigte im Wahlkampf immer wieder an, sie werde keine Koalition mittragen, in der man sich ständig auf dem Rücken des anderen profiliert oder sich nicht an Absprachen hält. Dementsprechend war dann das Thema „Gutes Regieren“ auch das zentrale Thema der Koalitionsverhandlungen. Vorbild dafür war das R2G-geführte Thüringen. Probleme sollen zuerst intern geklärt werden, es wird eine spezielle Verwaltungseinheit für „Gutes Regieren“ gebildet, die die Einhaltung des Koalitionsvertrages überprüft und der hochkarätig besetzte Koalitionsausschuss soll regelmäßig tagen.
Genau dieser Koalitionsausschuss beschloss am 16. Dezember nach langer Debatte, man wolle die Stellungnahme der Humboldt-Universität zu Holms 2005 falsch ausgefüllten Personalfragebogen abwarten. Diesen Beschluss kann man falsch finden, aber er wurde gemeinsam getroffen und war somit der erste Lackmustest für die etablierten Problemlösungsprozesse. Genau diese Entscheidung wurde jetzt einseitig von Müller aufgekündigt. Die Stellungnahme liegt noch nicht vor. Der Koalitionsausschuss hat nicht wieder getagt und schon gar nichts neues zu Holm beschlossen. Die Koalitionspartner wurden nicht eingebunden, erst kurz vor den öffentlichen Äußerungen informiert. Damit bringt Müller die Linke in das Dilemma, dass sie entweder Müller komplett unglaubwürdig macht oder Holm entlässt und damit ihrem eigenen Versprechen untreu wird, diesmal nicht das Koch und Kellner-Spiel der SPD mitzuspielen, sondern diese Koalition auf Augenhöhe zu führen.
Zudem ist Müllers Äußerung nicht singulär zu sehen: Schon in den Koalitionsverhandlungen fiel vor allem die SPD mit nicht abgesprochenen Äußerungen auf (zum Beispiel der damalige Verkehrssenator Geisel zum Sozialticket), die dazu dienen sollten, sich auf Kosten der anderen zu profilieren. Den Höhepunkt erreichte dies jedoch am Donnerstag, als Fraktionschef Raed Saleh eine Rede hielt, die vor allem von CDU, FDP und AfD beklatscht wurde. Neben der Nutzung von rechtem Vokabular („Gastrecht“ für Geflüchtete) griff er vor allem die kurz davor auf der Senatsklausur in seiner Anwesenheit geschlossenen Kompromisse, inbesondere zum Thema Videoüberwachung, an. Damit zielt er wohl eigentlich auf seinen Konkurrenten Müller und verfolgt die Strategie der inneren Opposition, die Matteo Renzi erfolgreich gegen Enrico Letta anwandte, um im Februar 2014 italienischer Ministerpräsident zu werden. Er schadet damit aber den Koalitionspartnern, die sich einer permanenten Infragestellung gemeinsam getroffener Beschlüsse auf höchster Ebene nicht aussetzen wollen. Zudem stellt sich ganz einfach die Frage, welche Sicherheit es noch gibt, dass Absprachen in der Koalition gelten und die für Konflikte geschaffenen Gremien auch genutzt und ernst genommen werden.
Ich sehe ja grundsätzlich großes Potential für die Berliner „R2G-Koalition“, sowohl was ihre Chance für politischen Wechsel auf Landesebene, als auch was ihre Signalwirkung für die Bundesebene angeht. Sie hat die Möglichkeit, sich sowohl habituell als auch politisch-inhaltlich wirksam von der Großen Koalition und dem Dauer-Nicht-Gegönne sowie dem real praktizierten Stillstand abzusetzen. Aber wenn Partner von Beginn an elementare Bedingungen der Koalition ignorieren und die Kohäsion von innen heraus aushöhlen, dann bleibt sowohl die Wirkmächtigkeit als auch die Strahlkraft auf der Strecke. Und das gilt auch, wenn die jeweiligen Verstöße gegen die Absprachen aus guter Motivation und mit reinem Gewissen geschehen sein sollten oder wenn man sie als inhaltlich gerechtfertigt ansieht.
Insofern ist auch Müllers „Befreiungsschlag“, wie manche Medien schrieben, keiner. Denn er bringt die gesamte Koalition in einen unauflösbaren Konflikt, der auch die Grünen beunruhigen sollte. Bevor nicht geklärt ist, wie man diese Alleingänge und öffentlich praktizierten Demütigungen – und zwar nicht nur die von Müller, sondern auch die von Saleh – abstellen kann, wird diese Koalition kaum noch zum Regieren kommen; zum guten (!) Regieren schon gar nicht. Und seine Führungsstärke, die er ja gerade nach der Saleh-Rede demonstrieren wollte, ist keine. Zwar wird ihm von einigen zugejubelt. Aber noch ist die finale Entscheidung zu Holm ja gar nicht gefallen, wie der linke Bürgermeister Klaus Lederer in der Abendschau explizit offen ließ. Und eine längere Koalitionskrise wird vor allem auch an Müller selbst nagen. Zudem nutzt sich die Strategie, sich auf Kosten der Koalitionspartner zu profilieren, um sich von Fraktionschef Saleh abzusetzen, schnell ab. Insofern muss hier konstatiert werden: Hier hat sich jemand mehr schlecht als recht profiliert und nicht annähernd gut regiert.
Update 16.1.2017:
* Lesenswert bei Michael Nelken zur Frage, was an der „Causa Holm” eigentlich „Politics as usual“ ist und welche Optionen die Linke jetzt hat: http://www.michail-nelken.de/index.php/2017/01/14/holm-eine-gefahr-fuer-wen/
* Die Rede von Raed Saleh und seine „Renzi“-Strategie, sich zulasten von Michael Müller und den Koalitionspartnern profilieren, ruft in der SPD Widerspruch hervor:
* Andrej Holm ist heute von seinem Amt zurückgetreten. In seiner Erklärung sieht er als Ursache des verschärften Konflikts in der mangelndem Bereitschaft der Koalitionspartner zu einer wohnungspolitischen Wende und zu Konflikten innerhalb der SPD. Zu einem Scheitern der Koalition wolle er keinen Anlass bieten. Er ruft auf zu einem Strategie-Treffen am 16.1. um 18 Uhr. Seine Erklärung ruft viel Widerspruch hevor: http://www.andrejholm.de/2017/01/16/erklaerung/
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