von , 29.5.12

Auf der Re:publica war ich bei der Session »Der digitale Dorfplatz: privat oder öffentlich?«, auf der recht schnell ein Regulierungsbedarf sozialer Netze Konsens war, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten. Bei Sascha Lobo war es die UNO, die einen Rechtsrahmen setzen soll, bei Martina Pickhardt eine Vergenossenschaftlichung Facebooks. Jedenfalls sei Facebook allein unter Regulierung der Betreiberfirma kein tragbarer Zustand. Auch recht schnell Konsens war, daß die Metapher vom digitalen Dorfplatz nur als Stabreim bestehen kann.

Was den Dorfplatz angeht, stimme ich zu – nur die Frage nach der Rolle privatwirtschaftlicher Akteure und deren Regulierungsbedarf finde ich so einfach nicht zu beantworten. Auf meine Frage hin, ob nicht in der Vergangenheit Öffentlichkeit auch schon unter privaten Regulierungsregime konstituiert wurde, und damit in dieser Hinsicht gar keine völlig neue Situation vorliege, wurde ich von Lobo recht knapp abgekanzelt, das sei überhaupt nicht zu vergleichen.

Meine Meinungsbildung ist noch nicht abgeschlossen, und daher hier ein paar teilweise unsortierte Gedanken zur Situationsbeschreibung – und auch der Versuch, ein paar unfertige Ideen zu einem möglichen ordnungspolitischen Rahmen.

Wir haben immer noch ein sehr idealistisches Bild der Öffentlichkeit, in dem immer noch das Ideal des griechischen Marktplatzes als wirklich öffentlichem, gemeinsamen Raum mitschwingt. Öffentlich und privat werden so verstanden, daß sie einander ausschließen. Öffentlichkeit wird normativ aufgeladen, privatwirtschaftliche Elemente sehr kritisch besehen, erst recht dann, wenn Öffentlichkeitsplattformen und -provider monopolartigen Einfluß zu haben scheinen. Dabei war der öffentlich-rechtlich, gemeinschaftlich verfaßte öffentliche Platz wie es die Agora war, wie es Parlamente sind, schon immer nur ein Teil der Öffentlichkeit. Und Öffentlichkeit wird eben auch privat konstituiert (jedenfalls seit es sinnvoll ist, mit Begriffen wie »privat« und »Eigentum« zu hantieren) und war noch nie das kontradiktorische Gegenteil von »privat«: Zeitschriften, Druckereien, Verlage gehören Einzelnen und nicht der Gesellschaft, und diese einzelnen fungieren als Gatekeeper. Bürgerliche Salons des 18. Jahrunderts, Caféhäuser des 19. Jahrhunderts sind privat – die Salons sogar Teil des häuslichen Lebens. Gastgeberinnen und Wirte sind Gatekeeper und haben wie Facebook und Google strikte AGB: Die Realnamenspflicht bei Google+ oder die inhaltlichen Kriterien bei Facebook, die Bilder stillender Frauen verhindern, sind nicht wesentlich verschieden von Kleiderordnungen und sprachlichen Codes, die bei Tisch und im Café einzuhalten sind: Bisweilen explizit, oft implizit, nicht immer und verläßlich, aber doch oft genug sanktioniert, durchsetzbar ohne wirklich funktionierenden Rechtsschutz, und durchgesetzt nicht etwa durch Beamte, sondern durch Angestellte.

Ändert sich das jetzt grundsätzlich, wenn unser Caféhaus nicht mehr am öffentlich zugänglichen Platz steht, sondern Facebook ist?

Früher war das Netz verhältnismäßig übersichtlich: Es gab eine relativ eindeutige Trennung von Provider und den eigentlichen Inhalteanbieter_innen, von Plattform und Inhalt, die vorherrschende Meinungsmarktform war das Polypol. Wer aus Forum a flog, machte Forum b auf oder diskutierte bei Forum c mit. Bei der Einstellung von Inhalten auf eigene Faust galt weitgehend »my ~home is my castle«, solange die Inhalte mit den betroffenen Rechtsordnungen kompatibel waren. Selbst auf den ersten Blick monolithische Strukturen wie das Usenet waren plural, und gefiel einer die de.*-Netiquette nicht, ließ sich eine andere Hierarchie auf dem eigenen Server betreiben. Die Plattform war klar technisch und wenn politisch reglementiert, dann durch allgemeine Gesetze, weil die Geschäftsbedingungen der Plattformbetreiber auf Ebene der Plattform, nicht auf Ebene der Inhalte griffen, und die Plattform im Polypol schnell ausgetauscht werden konnte: Das Netz routet um störende AGB herum; erste Versuche von gated communitys wie AOL und Compuserve waren schnell verschwunden.

Mit dem Aufstieg der zentralisierten Sozialen Netze kommt es aber zu einem neuen Phänomen: Auf den Plattform-Layer wird ein privatwirtschaftlich organisierter weiterer Plattform-Layer gesetzt, der eine gültig entscheidende Letztinstanz hat, und der durch seine schiere Reichweite tendentiell alternativlos wird. (Weil für einen Wechsel nicht nur die eigenen Daten mitgenommen werden müßten, sondern auch die Verbindungen zu den eigenen Kontakten.) Diese neue Struktur der Netzöffentlichkeit ist nicht mehr das Polypol des frühen Netzes, sondern bestenfalls noch ein Oligopol mit Facebook als der eindeutig dominierenden Plattform und kleineren Plattformen wie Twitter.

Grundsätzlich sehe ich kein Problem mit Teil-Öffentlichkeiten und sehe die sogar sehr positiv. (Dazu habe ich vor kurzem in »Lob der Blase« geschrieben.) Daß eine Öffentlichkeit überhaupt besteht, war schon immer eher eine Fiktion; was bestimmte Milieus als Öffentlichkeit und öffentlichen Diskurs wahrnahmen, war sehr oft eine von privatwirtschaftlich kontrollierten Teil-Öffentlichkeiten wie Zeitungen und interessierten Kreisen dominierte Veranstaltung. Vom Ende der griechischen Polis an gab es erst mit einem öffentlich-rechtlich verfaßten Rundfunk so etwas wie eine echt-öffentliche Öffentlichkeit wieder – um den Preis, daß wenige Sender für die Masse der Empfänger die gemeinsame Öffentlichkeit konstituierten, und die begrenzte Bandbreite der Sender eine demokratische Verfaßtheit nur über den elitären Weg der Repräsentation in Rundfunkräten ermöglichte; um den Preis eines öffentlich-rechtlichen Monopols. Aber auch unter diesem System blieb Öffentlichkeit zum größten Teil privat verfaßt; die Teil-Öffentlichkeiten beziehen Informationen aus und publizieren in privatwirtschaftlichen Medien, sie kommen in privatwirtschaftlichen Räumen zusammen, und »klassisch« öffentlich ist nur der ordnungspolitische und infrastrukturelle Rahmen, in dem sich das alles abspielt.

Über den rechtlichen Rahmen des Staates haben auch Zeitungen und Cafés eigene ordnungspolitische und infrastrukturelle Rahmen, die sie selbst setzen: diese werden aber durch die polypolförmige Struktur des Marktes eingehegt. Wenn ich in Kneipe a die Mitgliederversammlung meiner Partei nicht veranstalten darf, dann route ich drumrum und buche das Hinterzimmer von Kneipe b.

Sind soziale Netze und die durch sie konstituierte neue Öffentlichkeit so verschieden davon? Momentan wirken Facebook und Twitter (für ein eingeschränkteres Publikum) alternativlos. Das kann sich aber schnell ändern und der nächste Mitbewerber an Facebook vorbeiziehen – ganz ohne staatliche Regulierung. Microsoft war auch nicht mehr der große Bruder am Horizont, als die EU-Strafzahlungen griffen. Vielleicht, und daher rührt wohl auch das Unbehagen auf dem Podium, erzeugen die Kontaktnetzwerke so hohe Wechselkosten, daß Facebook als primärer Identitäts- und Sozialitätsprovider dauerhaft bleibt.

Die Frage nach einer Regulierung dieser öffentlich relevanten Infrastruktur ist für mich noch weit davon entfernt, geklärt zu werden. Insbesondere allzu naive Weltregierungsszenarien finde ich eher gefährlich als hoffnungsverheißend, wie auch Marco Dettweiler in der FAZ knapp zusammenfaßt:

Über Regeln des Internet, die sich an einer Art Völkerrecht orientieren sollen, wurde ebenso laut nachgedacht wie über die Verstaatlichung des Internet, damit dieses nicht abgeschaltet werden könne. Eine besonders absurde Forderung, wenn man bedenkt, dass vor knapp drei Jahren in Iran das Internet in der Tat nahezu komplett unterbunden werden konnte, eben weil die Internetprovider staatlich waren.

So wünschenswert die rechtsstaatliche demokratische Weltregierung oder die Vergenossenschaftlichung Facebooks auch ist: Es sind doch Utopien, die angesichts der real existierenden weltweiten Gremien und nationalen Regulierungs- und Zensurversuche unter diesen Bedingungen gefährlich sind. Der anarchische Zustand der Weltpolitik, in der es nur Akteure, aber keine übergeordnete Autorität gibt, ist zu diesem Zeitpunkt ex negativo eine wirksame freiheitssichernde Regulierung des Netzes: Nichts beschränkt staatlichen Einfluß aufs Netz so wirkungsvoll wie der internationale Wettbewerb der Staaten und die geringen Transaktionskosten eines Standortwechsels. Zum Glück kann mit Serverstandorten nach Island, in die USA, in die Schweiz ausgewichen werden, wo freiheitliche Meinungsfreiheitsregime herrschen (und selbst diese Staaten fallen immer wieder durch Regulierungen mit Zensurpotential auf), und zum Glück kann sich die UN, in deren Menschenrechtsrat etwa nicht nur lupenreine Demokratien sitzen, nicht zur Regulierungsbehörde aufschwingen. (Freilich besteht auch die Gefahr demokratisch unkontrollierbarer Regulierung über völkerrechtliche Verträge wie ACTA.)

Der ordnungspolitische Rahmen der Regulierung der neuen Öffentlichkeit, konkret also Facebook, sollte also weniger auf eine Ver(quasi)staatlichung, eine Sozialisierung und damit erst recht einer Monopolisierung abheben. Die Stärke des Netzes ist Dezentralität, die Neutralität auf Netzebene (wobei auch Netzneutralität ordnungspolitisch nicht ganz trivial ist – vgl. meinen alten Artikel dazu), ist das Polypol aus Anbietern und Nutzenden und der potentiell fließende, spontane Wechsel zwischen diesen Rollen.

(Freilich sehe ich nicht wie Eben Moglen die selbstbetriebene, selbstgeschriebene, selbstadministrierte Infrastuktur als einzigen Ausweg, und ich mag auch Sascha Lobo in seinem Plädoyer für eigene Blogs nur teilweise zustimmen – ist das doch eine letztlich elitäre Forderung, die man erst mal erfüllen können muß. Facebook und Twitter, WordPress.com und Blogger sind tatsächlich nur geborgte Orte, an denen man den Anbietenden ausgeliefert ist. Sie sind aber eben auch eine Demokratisierung des Publizierens, das damit keine technische Kompetenz erfordert und über den Netzzugang hinaus auch kein Geld kostet. Arbeitsteilung führt immer zu Kontrollverlust. Natürlich können wir Selbstversorgung betreiben, möglichst off all the grids gehen, und sind dann nicht mehr den anderen ausgeliefert, borgen nicht mehr nur das, was wir zum Leben brauchen. Aber zu welchem Preis, zu welchem Komfortverlust? Menschen sind immer aufeinander verwiesen, in der arbeitsteiligen Gesellschaft auch abhängig von kommerziell betriebenen Providern – i.e. die Bäckerei – von Notwendigkeiten.)

Ordnungspolitisch sehe ich es als geboten, an den monopolartigen Tendenzen anzugreifen; dafür zu sorgen, daß das Netz auch weiterhin um Zensur herumrouten kann. Das heißt: Die Netzneutralitätsdebatte zu führen. Auf Ebene der Anbieter wie Facebook: Da, wo es Monopole gibt, Mechanismen erzwingen, die den Markteintritt dritter erleichtern; etwa durch offene Social-Graph-Protokolle, so daß die Kontaktnetze leichter mitgenommen werden können (hier werden dann Datenschutz-Fragen spannend.) Möglichst Polypole stärken: Möglichst niedrige Marktzugangsschwellen für alle Arten von Netzzugang – das hat Auswirkungen auf rechtliche Rahmen etwa von Störer- und Providerhaftung, die momentan alternative, privat (im Sinne von selbstgemacht) betriebene Access points bedrohen; gleichzeitig: Experimente fördern, lizenzfreies Nutzen neuer Kommunikationsformen, niedrige Regulierungsschwellen für parallel betriebene Netze. Daher auch: Rechtsdurchsetzung statt präventive Gefahrenabwehr als rechtspolitische Maxime. Und schließlich sehe ich die Skelette von Giganten, auf denen Facebook steht – Compuserve, AOL, Myspace und so weiter. Nur weil heute etwas wie ein für alle Zeiten festgezurrtes Monopol aussieht, heißt das noch lange nicht, daß wir nicht in fünf Jahren alle bei Google+ sind.

Wobei: Das wohl wirklich nicht.

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