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Die Bombe ist eine Knallerbse

von , 10.12.16

Wir stehen am Ende einer Woche, in der eine Firma unbezahlbar oft in einer Flut redaktioneller Texte erwähnt wurde: Cambridge Analytica. Was wir in den Tagen erlebt haben, nach dem der „must read“-Artikel von „Das Magazin“ über Michal Kosinski („Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt“) durch das Netz katapultiert wurde, ist zunächst ein Zeugnis der mangelhaften Funktionsweise von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit heutzutage.

Auf der einen Seite: Der Text ist undifferenziert, bildete keine Gegenpositionen ab und zog unzulässige Schlussfolgerungen. Im Grunde ist es Populismus. In jedem Fall aber kein guter Journalismus. Dass viele Menschen den Text für so unendlich wichtig halten, zeigt mir, dass offenbar auch diejenigen, die sich abfällig über die Affinität von Trump-Wählern zu Verschwörungstheorien äußern, selbst gegen solche nicht geimpft sind.

Auf der anderen Seiten: Einigen, den die Schwächen des Artikels aufgefallen ist, hauten rasch in die Tasten und beruhigten die geschockten Leser. Dennis Horn kritisierte die fehlenden Belege für den Erfolg von Trumps Mikro-Targeting. Zu Recht. Jens Scholz merkte an, dass diese Methode höchstens Sympathisanten aktiviere, aber nicht Unentschlossene überzeugen könne. Zu Recht. Sascha Lobo prangerte ein weiteres Mal den digitalen Aberglaube mangels besserem Wissens an. Auch zu Recht.

Es ist eine Stärke der modernen Kommunikationsmittel, dass sich derart schnell eine Gegenöffentlichkeit bilden kann. Doch nur mal am Rande: Wer sind die Protagonisten dieser Gegenöffentlichkeit? Weiße Männer, die irgendwas mit (sozialen) Medien machen. Sie haben einen Blog oder eine Kolumne, die ihnen Instant-Publizität ermöglichen. Ich bin auch so jemand. Menschen mit diesen Voraussetzungen – und dass alle weiß und männlich sind zeigt, dass die eh schon Privilegierten auch von den digitalen Medien am meisten profitieren können (das ist der eigentliche „digital divide“) – können heutzutage in wenigen Stunden eine Gegenöffentlichkeit bilden: Argumentation überlegen. Text bloggen. Link auf Twitter und Facebook verbreiten. Zack, fertig.

Nun haben eine Woche lang Menschen, die sich viel mit dem Internet beschäftigen, aber in anderen hierfür relevanten Disziplinen wie Psychologie oder Soziologie nur Hobbypiloten sind, über die vermeintliche „Bombe“ von Cambridge Analytica diskutiert. Wie gesagt, ihre Wortmeldungen hatten ihre Berechtigung. Trump hat natürlich nicht allein wegen Big Data die Wahl gewonnen. Nur verfehlen solche Aussagen in gewisser Weise das Thema.

Die zentrale Zunft kam in dieser Diskussion überhaupt nicht vor: die Psychologen. Bevor man sich mit der Frage beschäftigen kann, ob die „Waffe“, die Trump im Wahlkampf eingesetzt hat, einen großen oder kleinen Effekt hatte, muss man sich fragen: Kann diese Waffe überhaupt schießen? Mit anderen Worten: Sind die psychologischen Grundannahmen von Michal Kosinski überhaupt korrekt und damit seine Modellberechnungen aussagekräftig? Diese Frage haben sich weder die Autoren des „Magazin“-Artikels noch die Kommentatoren oder andere Journalisten, die darüber berichtet haben, gestellt. Mancher kritisiert, die Psychologen hätten den Geeks die Deutungshoheit überlassen. Es wäre die Aufgabe von Journalisten, sie zu fragen. Nun bin ich auch kein Psychologe. Dass ich drei Semester Psychologie im Nebenfach studiert habe, qualifiziert mich keinen Deut mehr. Aber man erfährt schon viel, wenn man sich wenigstens die Mühe macht, sich etwas in die Fachliteratur einzulesen.

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Manche Kommentaren haben angemerkt, es gebe sowohl das OCEAN-Modell als auch den Begriff der „Big Five“ in der Psychologie nicht. Stimmt nicht ganz. „Big Five“ gibt es in der Psychologie als Label für die Persönlichkeitsdimensionen Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Schon mindestens seit dem 1990 im „Journal of Personality and Social Psychology“ von Lewis R. Goldman veröffentlichten Artikel „An alternative ‘description of personality’: The big-five factor structure“. Der Begriff OCEAN-Modell hat sich nicht überall durchgesetzt, aber er wird verwendet. Das Konzept basiert auf dem NEO-Modell, das zunächst nur drei der fünf Persönlichkeitsattribute umfasste und dessen spätere Weiterentwicklung sich nicht in seinem Namen niederschlug. Aber Berkeley-Professor Oliver P. John und Kollegen arbeiten mit dem Akronym OCEAN. Nun, das ist alles nur Typologie. Zentral ist die Annahme von Kosinski, dass ein paar Facebook-Likes ausreichen, um die fünf Faktoren der Persönlichkeit und weitere Merkmale eines Menschen zu erklären. Vier Punkte erscheinen mir hierzu beachtenswert:

Erstens, es ist unmöglich mit fünf Kategorien (OCEAN) die Persönlichkeit eines Menschen zu bestimmen. David C. Funder von der University of California meint, dass das Modell ein sehr oberflächlicher Ansatz ist, um menschliche Persönlichkeit zu beschreiben. Es erschließe kein tiefergehendes Verständnis von einem Menschen. Funder selbst hat ein Modell entwickelt, dass 100 Persönlichkeitsdimensionen einschließt.

Zweitens, in seinem letzten prominenten wissenschaftlichen Artikel zu dem Thema relativiert Kosinski mit seinen Co-Autoren selbst die These, dass Maschinen akkuratere Aussagen über die Persönlichkeit eines Menschen machen können als Freunde, Verwandte oder gar die betroffenen Person selbst. „Menschliche Wahrnehmungen haben den Vorteil, dass sie flexibel sind und viele unterbewusste Signale aufnehmen können, zu denen Maschinen keinen Zugang haben.“ Sorry, liebe Roboterliebhaber.

Drittens, ist in der Psychologie umstritten, ob man aus objektiven Vorgängen wie „Like“-Klicks auf Facebook (sogenannte L-Daten, also „life record data“) Rückschlüsse auf zentrale Attribute der Persönlichkeit ziehen kann. Verhalten wird nicht nur durch Persönlichkeit bestimmt, argumentiert Funder in der sechsten Ausgabe seines Standardwerks „Das Persönlichkeitspuzzle“, sondern etwa auch durch soziale Klasse, Umstände in der Kindheit, Bildungschancen und vieles mehr. Die Aussagekraft der Psychogramme von Cambridge Analytica ist demzufolge sehr fraglich. Ebenso zweifelhaft ist es auf Grundlage der Psychogramme Vorhersagen über zukünftiges Verhalten zu machen. Funder: „Psychologen, die die schwierige Aufgabe haben L-Daten vorherzusagen, werden oftmals für ihren begrenzten Erfolg kritisiert“.

Viertens, vertreten nicht wenige Forscher die Auffassung, dass Menschen mit ihren Aktivitäten in sozialen Netzwerken vorgeben jemand zu sein, der sie gar nicht sind. Soziale Netzwerke erlauben es eine digitale Persona von sich zu konstruieren, die weniger defizitär als die reale Persönlichkeit ist und eher sozial erwünschten Normen entspricht. Wenn ich also „Amnesty International“ auf Facebook like, signalisiere ich meine Freunden, dass mir Menschenrechte, vor allem auch in Ländern, in denen ich noch nie war, wichtig sind. Das kommt gut an. Den Denkfehler, den ich Cambridge Analytica ferner unterstelle ist, dass unsere Handlungen auf Facebook in einem öffentlichen Raum stattfinden. Es sind somit öffentliche, nicht privat-geschützte Handlungen. Um sich der Persönlichkeit einer Person anzunähern, muss man sowohl öffentliches als auch intimes Verhalten untersuchen. Fragebögen, mit denen auch Kosinski arbeitet, befragen eine Person immer nach dem Verhalten in beiden Spähren, also z.B. ob man gerne auf einer Party im Mittelpunkt steht und auch, ob man zu Hause sein Bett macht, wenn niemand zu Besuch kommt.

Zusammengefasst: Das Modell von Cambridge Analytica hat nur in seiner eigenen Logik eine hohe Trefferquote. Wenn die Grundannahmen eines Modells falsch sind – in diesem Fall sind sie zumindestens hochumstritten – sind auch seine Vorhersagen falsch. Dann wird die Bombe zu einer Knallerbse.

Was am Ende bleibt? Wie sein bester Kunde, Donald Trump, ist auch der CEO von Cambridge Analytica, Alexander Nix, ein sehr guter PR-Mann. Doch genau wie Trump, kann er seine Versprechen nicht halten. Aus Persönlichkeitsstrukturen lässt sich kein Wählerverhalten oder die politische Meinungsbildung vorhersagen. Damit kann man sich schon einen Teil der Micro-Targeting-Diskussion sparen. Manipulation ist dann nur bedingt möglich. Die Faszination für Big Data – auch einige meiner politischen Kunden wollten von mir wissen, wo sie denn jetzt diese Psychogramme herbekommen – zeigt für mich etwas anderes: Viele Politiker haben das Gespür für die Bürger verloren. Die Technik soll ihn nun auf die Sprünge helfen. Das ist zwar bei AfD-Aufschwung und verwirrten Reichsbürgern verständlich. Aber ein gutes Gespür für die Stimmung von Menschen entwickelt man nicht durch Algorithmen, sondern vor allem durch persönlichen Kontakt. Datenanalysen können dabei helfen, den Weg zu relevanten Wählergruppen zu finden – etwa beim Hauswahlkampf. Aber die Politiker sollten persönlich mehr Zeit auf der Straße als auf der Datenautobahn verbringen.

 

Der Beitrag wurde auch veröffentlicht auf RettetdieWahlen.eu.

 


 

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