#Beschlüsse

BVerfG stärkt das Recht, grob zu werden

von , 10.8.13

Meinungsfreiheit heißt, dass man auch mal richtig grob werden darf. Wenn ich mich über jemanden ärgere, dann darf ich meinem Ärger Luft machen. Ich darf mich im Ton vergreifen, unsachlich werden, mich ganz unmöglich benehmen.

Kann sein, dass ich damit gegen soziale Normen verstoße. Kann sein, dass die Leute den Kopf über mich schütteln, sauer auf mich sind, mit mir nichts mehr zu tun haben wollen.

Aber was nicht sein kann, ist, dass der Staat diese sozialen Normen mit seiner Straf- und Zwangsgewalt gegen mich durchsetzt. Da sei die Meinungsfreiheit vor. Das hat das Bundesverfassungsgericht in zwei gestern veröffentlichten Kammerentscheidungen in aller wünschenswerten Klarheit festgestellt.

In dem einen Beschluss ging es um einen Aktivisten der Flüchtlingshilfe, der wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe verurteilt worden war: Er hatte in einem Flugblatt das Verhalten einer Sachbearbeiterin des örtlichen Rechtsamts skandalisiert, die einem gehörlosen Asylbewerber seine Gehörlosigkeit einfach nicht glaubte.

In dem anderen Beschluss war ein Anwalt zu Unterlassung verurteilt worden, der im Streit mit einem anderen Anwalt dessen Kanzlei gegenüber der Rechtsanwaltskammer als “Winkeladvokatur” bezeichnet hatte.

In beiden Fällen hatten die jeweiligen Amts-, Land- bzw. Oberlandesgerichte gefunden, das gehe ja überhaupt nicht: “Schmähkritik” sei das, ehrverletzend, unsachlich und unangemessen, und daher von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt bzw. in der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht des Kritisierten auf jeden Fall unterlegen.

So läuft das nicht, sagt dagegen die 3. Kammer des Ersten Senats: Die Möglichkeit, jemanden zur Unterlassung einer Meinungsäußerung zu verurteilen, habe nicht den Zweck,
 

die sachliche Richtigkeit oder Angemessenheit der betreffenden Meinungsäußerung in dem Sinne zu gewährleisten, dass zur Wahrung allgemeiner Höflichkeitsformen überspitzte Formulierungen ausgeschlossen werden.

 
Als Schmähkritik könne man eine Meinungsäußerung nur ausnahmsweise abqualifizieren, nämlich dann, wenn es gar nicht mehr um die Sache geht, sondern nur noch darum, den anderen persönlich zu kränken. Und das kann sich das BVerfG allenfalls in privaten Streitereien vorstellen, nicht aber im Kontext einer noch so scharf formulierten politischen Kritik:
 

Bei Äußerungen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage wird dies nur selten vorliegen und eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben.

 
In dem Fall des Asylrechts-Aktivisten hatte das Landgericht obendrein befunden, dass es sich bei der Kritik – nämlich, dass das Rechtsamt “absichtlich” und “bewusst” Fakten ignoriere, um dem Bewerber die Aufenthaltsgenehmigung verweigern zu können – um unbewiesene Tatsachenbehauptungen gehandelt habe. Was heißt hier absichtlich? Was heißt hier bewusst? Kann er das beweisen? Wenn nein, dann darf er das nicht behaupten.

Darf er sehr wohl, so die Kammer. Diese Äußerung sei nach Sinn und Kontext keine Tatsachenbehauptung, sondern eine “das Hintergrundgeschehen zusammenfassend bewertende Stellungnahme”.
 

Die Begriffe „absichtlich“ und „bewusst“ sind als solche schwierige Rechtsbegriffe, die eine wertende Betrachtung erfordern und bei Verwendung in einem nicht juristischen Text einen wertenden Gebrauch nahelegen.

 
Crosspost vom Verfassungsblog

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