von Thomas Leif, 26.7.12
Jürgen Leinemann, der geniale Analytiker des deutschen Politikbetriebs, hat schon früh eine Grauzone des Journalismus ausgemacht, die bis heute nicht ausgeleuchtet ist: Die größte (Korruptions-)Gefahr für einen seriösen Journalismus bestehe in der Abhängigkeit von Informanten, die beständig Material für vermeintlich exklusive Geschichten lieferten.
Nirgendwo ist diese Gefahr größer als auf dem Gebiet der Geheimdienstberichterstattung. Hier gilt für einen kleinen, ausgesuchten Kreis der so genannten Spezialisten die opportunistische Formel: Die Hand, die mich füttert, beiße ich nicht. Lorenz Matzat hat diesen systemischen Konflikt jüngst am Fallbeispiel NSU und das Versagen des Journalismus auf datenjournalist.de entziffert. Seine Bilanz der vom Verfassungsschutz inspirierten und lange Zeit gesteuerten Berichterstattung: „Mit Journalismus, wie er 2012 im Netz möglich wäre, hat das alles wenig zu tun.“
Warum aber versteht sich eine kleine Gruppe von Journalisten als Füllfederhalter der Schlapphüte? Warum werden die „bestellten Wahrheiten“ von den Redaktionen und Agenturen nicht im Lichte der gesetzten Informationen geprüft oder zumindest als ungeprüfte „Ein-Quellen-Geschichten“ markiert? Warum ist die Geheimdienst-Berichterstattung ein Sonderbereich, in dem journalistische Grundregeln außer Kraft gesetzt sind?
Geheimdienste und Journalismus folgen zwei unterschiedlichen Handlungslogiken. Geheimdienste arbeiten verdeckt und vertrauen auf die Informationen von bezahlten V-Leuten, die ihr Milieu „abschöpfen“. Die Validität der Quellen ist nicht einmal von den Auftraggebern vollständig zu überprüfen, wie „Auswerter“ in den Ämtern einräumen. Die Dienste folgen in ihrer Informationsbeschaffung und -vermittlung politischen Motiven der jeweiligen Führungsebene.
Der gefährliche „Rechtsextremismus aus der Mitte der Gesellschaft“ oder die „national befreiten Zonen“ nicht nur in Ostdeutschland haben die Dienste nur am Rande interessiert. Daraus folgt, dass jede Form der Materialweitergabe stets instrumentellen Charakter hat.
Journalismus soll sich aber auf mehrere gesicherte und überprüfbare Quellen beziehen, einseitige Vermittlung gerade von „trüben“ Quellen vermeiden oder zumindest kennzeichnen. Jede Instrumentalisierung von Informanten für deren spezifische Interessen ist den tradierten Regeln und dem branchenüblichen Unabhängigkeits-Pathos nach ausgeschlossen.
Die Kunden im Journalismus
Die Übermittlung der Geheimdienst-„Informationen“ verläuft nun aber einseitig, d.h. die „Kunden“, die ‘exklusive’ Informationen verwerten sollen, suchen sich die Dienste gezielt aus. Entscheidend für die Auswahl sind die politische Zuverlässigkeit und die Bereitschaft, sich auf die vorgegebenen kommunikativen Spielregeln der Dienste einzulassen. Um „Informationen“ zu erhalten, muss sich der jeweilige Adressat, bevorzugt aus den bekannten, auflage- und reichweitenstarken Qualitätsmedien, von seinen journalistischen Arbeitsprinzipien lösen und sich den Kommunikationsstrukturen der Dienste unterordnen.
Im Klartext: Die beiden relevanten Nachrichtenmagazine, ganz wenige führende Tageszeitungen und die „Geheimdienst-Experten“ der öffentlich-rechtlichen Anstalten werden privilegiert und abgeschottet „informiert“. Im Gegenzug wird von ihnen erwartet, dass sie die platzierten Interpretationen, Warnungen und Analysen eins zu eins übernehmen und möglichst als breaking news agenturfähig vermarkten. Was als „exclusiv“ verkauft wird, ist oft nicht mehr als eine bestellte Botschaft. Diese Art der Informationsvermittlung verschärft ein bereits vorhandenes Ungleichgewicht im Informationszugang von Sicherheitsbehörden und züchtet Abhängigkeiten. Wer den unausgesprochenen Kodex der Geheimdienste nicht akzeptiert, wird als Informationsempfänger abgeschaltet. In Nachrichtenmagazinen führt das dazu, dass bestimmte Kontakte in die Dienste und Ministerien nicht von allen Ressort-Kollegen wahrgenommen werden dürfen. Dieses System wird seit Jahrzehnten gepflegt und von keiner Seite in Frage gestellt, weil Verlage und Sender vom spektakulären Material der Dienste profitieren. Diese stille Komplizenschaft wird bislang weder von der Medienkritik noch von Untersuchungsausschüssen aufgegriffen. Wenn aber parlamentarische und mediale Kontrolle ausfallen, können sich die „Spezialisten“ wie ein Escortservice der Geheimdienste bewegen. Sie schaffen so eine kontrollfreie Zone, in der föderaler Wildwuchs und fachliche Inkompetenz zu einem politischen Blindflug führen.
In den Redaktionen wird diese geschmeidige Arbeitsteilung zwischen „Dealer“ und „Junkie“ weder thematisiert noch kritisch hinterfragt. Der Nutzen vermeintlicher Exklusivität überstrahlt die Zweifel an den offensichtlichen Risiken. Heribert Prantl hat bereits vor den jüngsten Verfassungsschutz-Skandalen die Dunkelfelder dieses Geheimdienstes in der Süddeutschen Zeitung grell ausgeleuchtet. Aber – welche Konsequenzen haben solche Analysen für die Blattmacher?
Ein fulminantes Beispiel für die öffentliche Inszenierung der Geheimdienste im Verbund mit der Polizei stammt vom September 2011 – eine gute Woche vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus. Am 8. September 2011 titelte die Berliner Morgenpost: „Polizei fasst zwei Terrorverdächtige in Berlin“. „Exklusiv“ schreibt die MoPo: „Die Polizei hat möglicherweise einen Terroranschlag verhindert. Das erfuhr Morgenpost-Online aus Sicherheitskreisen.“ Die Story war perfekt von den Sicherheitsbehörden vorbereitet; Hani N. und Samir M. wurden sogar in den Hauptnachrichten-Sendungen als vermeintliche Top-Terroristen präsentiert. Sechs Wochen später musste die MoPo zurückrudern: „Angebliche Terroristen kommen wieder frei.“
Das vorläufige Fazit: eine perfekte Wahlkampf-Inszenierung unter der Regie der vermeintlich erfolgreichen Sicherheitsbehörden, ohne nur annähernd gesicherte Beweise gegen die „Verdächtigen“; nationale Berichterstattung in allen Qualitätsmedien und kaum Korrekturen nach der Freilassung der vermeintlichen Terroristen. Der Deutsche Presserat beschäftigt sich mit solchen Skandalen nicht einmal. Die Standards journalistischen Arbeitens gelten in diesen Fällen also nicht, sie werden im Nachhinein auch nicht eingefordert oder reflektiert.
Geheimdienstler haben kein Interesse an Faktentreue und Vollständigkeit, Zweifeln und Grautönen. Mangelnde Ermittlungserfolge werden durch wilde Spekulationen ersetzt. An Aufklärung eigener Versäumnisse in ihrem Schattenreich besteht kein Interesse.
Außer Kontrolle
Eine effektive parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste etwa in den zuständigen Ausschüssen gibt es nicht. Fachpolitiker geben zu, dass sie in den „Geheimausschüssen“ mit Nebensächlichkeiten beschäftigt werden und faktisch keine Kontrolle der Kontrolleure stattfindet. Der Bielefelder Verfassungsjurist Christoph Gusy, ein echter Kenner der Materie, kam bereits vor einem Jahrzehnt zu dem Befund: „Den vielfältigen Instanzen fehlt es an Koordination und Effektivität. Sie sind allein auf Informationen der von ihnen kontrollierten Exekutiven angewiesen und erfahren so über ihre Problemfälle aus den Medien mehr als auf den ‚offiziellen‘ Wegen. Das gilt erst recht, wenn die Nachrichtendienste berechtigt sind, Informationen aus Gründen des ‚Wohls der Allgemeinheit‘ oder des Datenschutzes einzelner zurückzuhalten.“
Ähnlich sah Alexander Hirsch in seiner exzellenten Dissertation die Kontrolle der Nachrichtendienste schon Mitte der neunziger Jahre: Wenn die Geheimdienste „blinden Wächtern ohne Schwert“ gegenüberstehen, können sie gegenüber der Öffentlichkeit wild spekulieren, ihre Themen setzen, Pannen wegtelefonieren und publizistisch in der Grauzone agieren, ohne Sanktionen erwarten zu müssen.
Durch die laufende Diskussion um den Verfassungsschutz besteht nun aber die große Chance, parlamentarische Nicht-Kontrolle und gefügigen Nachrichtenhandel auf den Prüfstand zu stellen. Die innenpolitischen Sprecher der Fraktionen und handverlesenen Obleute für Geheimdienstfragen müssten nur den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags in Bewegung setzen und die existierende Expertise auswerten. Die Erkenntnisse der brillanten „Schäfer“-Berichte über die Bespitzelung und Instrumentalisierung von Journalisten oder die abenteuerlichen Vorgänge von Thüringen, die Analysen von Gusy und Hirsch liegen als Blaupause für wirkungsvolle Geheimdienst-Reformen vor. Zentral wäre aber die Installierung eines erfahrenen und unabhängigen Geheimdienstbeauftragten, der vom Parlament gewählt und mit einem Mitarbeiterstab die Arbeitsabläufe und das überholte Auswertungssystem kontrollieren könnte.
Dann würden die wahren Hürden des NPD-Verbots nicht nur ein paar Fachleuten geläufig sein. Die fahrlässige Kooperation der Dienste mit NPD-Funktionären ist bis heute nur in den heiklen internen Berichten von zwei ministeriellen Arbeitsgruppen im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsantrag zu studieren. Die aufschlussreichen Analysen (mit dem Stempel „Geheim. Nur für den internen Dienstgebrauch“) dürfen nur „von Hand zu Hand“ weitergegeben werden und sind in den Safes der Innenminister deponiert. Die Autoren, zumeist Abteilungsleiter von Staatsschutzabteilungen, kamen hier zu einem hoch interessanten, öffentlich aber nicht kommunizierten Ergebnis: Die Unterwanderung der NPD mit bezahlten V-Leuten ist nicht die einzige Hürde für ein NPD-Parteiverbot. Vielmehr liegen keine ausreichenden Beweise für aktiv kämpferische, gewaltsame Handlungen der NPD vor.
Solche Nachweise wären jedoch Mindestvoraussetzung für ein Parteienverbot, das reflexhaft zu fordern sich als reine Symbolpolitik erweist. Derweil ist die NPD-Verbotsdiskussion aber leichter zu vermitteln als die Bekämpfung des „Rechtsextremismus in der Mitte der Gesellschaft“ oder die Auflösung „national befreiter Zonen“ nicht nur in Sachsen. Christoph Ruf, ein Kenner der Materie, hat in der jüngsten Ausgabe der Neuen Gesellschaft/Frankfurter Hefte (7-8/2012) den symbolischen Wert eines NPD-Verbots luzide analysiert: „ …solange viele Politiker und Kommentatoren weiter ignorieren wie gesellschaftsfähig rassistische und antisemitistische Stereotypen wieder geworden sind, bleibt es eine primär symbolische Frage, ob man die NPD denn nun für illegal erklärt oder nicht. An der gesellschaftlichen Realität wird sie nichts ändern. Genau das wäre aber nötiger denn je.“ Vermutlich lesen nicht einmal die SPD-Fachpolitiker/innen die Neue Gesellschaft. Aber typisch ist, dass die von Christoph Ruf vorgetragenen Argumente auch nicht in den „mainstream-Medien“ vorkommen.
Da es kaum analytisch grundierte Beiträge über die Geheimdienste und ihr System der medialen Desinformation gibt, fühlen sich die Dienste indirekt bestätigt. Für sie gibt es keinen Anlass zur Korrektur ihrer Informationspraxis. Im Gegenteil: Wenn kritische Beiträge zur Arbeit der Dienste erscheinen, werden diese Veröffentlichungen rasch dementiert. Das heißt: Es gibt bislang keinen Anreiz selbst für die seriösen Mitarbeiter in den Diensten, die gültige Informationspraxis zu korrigieren. Bislang gibt es nur Appelle. Die aber könnten Ausgangspunkt für eine grundlegende Reform der Geheimdienste und ihrer Informationspolitik über willfährige Medien sein.
Würden die Medien unabhängiger, kritischer und hintergründiger über das Schattenreich der Geheimdienste berichten, dann wäre das auch Sauerstoff für die Alibi-Kontrolleure in den Parlamenten. Sie haben sich freiwillig sediert und in einer Passivrolle eingerichtet. Die von den Fraktionsführungen handverlesenen Parlamentarier verzicht(et)en bislang freiwillig auf ihre Kontrollpflichten. Diese Als-ob-Kontrolle wirkt auf die Medien zurück und stabilisiert die jetzt kritisierten Strukturen in den Geheimdiensten. Eine wirksame parlamentarische und mediale Kontrolle müsste deshalb der Ausgangspunkt für eine echte Reform der Dienste an Haupt und Gliedern sein.