#Bürgerrechte

Der schwere Stand der Bürgerrechte

von , 13.5.13

Ein gutes Beispiel liefert der Fall des pensionierten Vorsitzenden Richters am Landgericht Dieter Reicherter. Er wurde zum Gegner von Stuttgart 21, nachdem er mehr oder minder zufällig miterlebt hat, mit welcher Brutalität die Polizei im Stuttgarter Schlosspark gegen friedliche Demonstranten vorgegangen ist.

Das Wort eines ehemaligen Vorsitzenden Richters hat in einem Staat, der sich als Rechtsstaat begreift und es meistens auch noch ist, manchmal etwas mehr Gewicht als das eines x-beliebigen Demonstranten. Was natürlich diejenigen, die Polizeigewalt bestreiten oder relativieren wollen, als Gefahr empfinden müssen.

Am 27.06.2012 durchsuchte die Polizei das Haus von Dieter Reicherter, der sich gerade in London aufhielt, und beschlagnahmte einen Computer und ein Notebook. Ohne richterliche Anordnung – wie Reicherter sagt – wurde eine umfassende Auswertung seiner Rechner durchgeführt. Reicherter schildert dies in einem Brief an verschiedene Beteiligte, deren E-Mails mit beschlagnahmt und ausgewertet wurden.

Darunter ist auch der E-Mail-Verkehr mit einem Journalisten der taz. Brisant daran ist u.a., dass die Rechner Reicherters nach dem Auswertungsbericht auch ganz gezielt nach dem Namen des taz-Journalisten durchsucht wurden. In einem Untersuchungsbericht wird umfassend aus den E-Mails, die der Journalist und der pensionierte Richter gewechselt haben, zitiert.

Hintergrund der Beschlagnahmeaktion war, dass Reicherter im Februar 2012 den Rahmenbefehl Nr. 2 des Innenministeriums von Baden-Württemberg, in dem die Bespitzelung und Überwachung von Gegnern des Bahnprojekts Stuttgart 21 angeordnet wurde, öffentlich zitiert hatte. Die Beschlagnahme diente dem Zweck, den Informanten zu ermitteln, Reicherter selbst wurde keiner Straftat beschuldigt.

Der Tatvorwurf gegen den Polizeibeamten, den man als undichte Stelle vermutet, dürfte sich auf § 353b StGB stützen. Danach ist die Verletzung des Dienstgeheimnisses strafbar, sofern durch die Offenbarung wichtige öffentliche Interessen gefährdet werden.

Wenn das Geheimnis allerdings illegal ist, kann es durchaus auch am Deliktsmerkmal “unbefugt” fehlen. Außerdem fragt man sich unweigerlich, durch wen hier eigentlich wichtige öffentliche Interessen gefährdet werden. Die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme und vor allen Dingen der umfassenden Auswertung des gesamten E-Mail-Verkehrs Reicherters darf man in Zweifel ziehen.

Wenn ich von solchen Vorgängen lese, wird mir immer wieder ein Zusammenhang bewusst: Die ständige Ausweitung von präventiven und repressiven polizeilichen Befugnissen, u.a. im Bereich der TK-Überwachung, wäre leichter zu verschmerzen, wenn man sich als Bürger darauf verlassen könnte, dass bei Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten Menschen mit Augenmaß agieren, die die rechtsstaatlichen Vorgaben immer fest im Blick haben.

Aber darauf kann man sich als Bürger leider nicht verlassen. Vielmehr sehen wir uns in zunehmendem Maße einem Apparat von Ermittlungsbehörden gegenüber, der oft genug Ermittlungen um jeden Preis anstellt und dem verfassungsrechtliche Einschränkungen nur noch als lästiger Ballast erscheinen, den es abzustreifen gilt.

Und an dieser Stelle fängt man als Jurist irgendwann auch an, zu bedauern, dass es in Deutschland keine Fruit Of The Poisonous Tree Doctrine gibt. Denn der Verstoß gegen das Gesetz hat für Ermittlungsbehörden im Regelfall keinerlei Konsequenzen, und die so gewonnenen Erkenntnisse können zumeist auch uneingeschränkt verwertet werden, sofern nicht ein spezifisches Beweisverwertungsverbot eingreift.

Weil man das natürlich weiß, schert man sich oftmals um rechtsstaatliche Vorgaben nicht mehr, zumal man sich ja auf der guten Seite wähnt. Der Rechtsstaat wird dadurch auf Dauer von den Ermittlern stärker ausgehöhlt als von denen, gegen die ermittelt wird.

Die mangelnde rechtsstaatliche Gesinnung bei Polizei, Staatsanwaltschaften und in Teilen der Richterschaft einerseits und die Schaffung immer neuer und weitreichender Eingriffsbefugnisse durch den Gesetzgeber andererseits, ergeben einen gefährlichen Cocktail.

Leider interessieren und engagieren sich in diesem Land immer noch zu wenige Menschen für Bürgerrechte. Vermutlich auch deshalb, weil sie glauben, dass dieser Staat in diesem Bereich kaum Defizite aufweist. Das allerdings ist ein Irrtum, der auch auf mangelnder Information beruht. Und die Informationsunterdrückung ist gerade auch in der Causa Reicherter von zentraler Bedeutung. Wenn sich aber diejenigen, die Informationen unterdrücken wollen, auch noch der Instrumente des Strafrechts bedienen können, um ihr Ziel zu erreichen, müssen die Bürgerrechte einen schweren Stand haben.

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