#agonales Dispositiv

OLG München, der NSU-Prozess und die Medien

von , 11.4.13

Zum OLG München und seiner Medienpolicy in Sachen NSU-Prozess ist ja schon fast alles gesagt. Viel mehr als “Wie kann man nur so blöd sein!” lässt sich zu der Öffentlichkeitsarbeit des Gerichts auch wohl erst einmal gar nicht sagen, und wie alle Zeitungen, so wird auch die von mir abonnierte Süddeutsche nicht müde, diese Frage jeden Tag aufs Neue zu stellen, heute über die ganze Seite Drei. Der Artikel von Annette Ramelsberger (leider nicht online, soweit ich sehe) ist sehr schön geschrieben, lässt wie fast alle anderen Artikel aber die Frage gänzlich unbeantwortet: Ja, wie denn? Wie kann man denn also derartig blöd sein?

Ich will das OLG, seinen Präsidenten und den Vorsitzenden Richter des 6. Strafsenats nicht in Schutz nehmen, noch gar ihre Entscheidungen rechtfertigen, in ausgerechnet diesem Prozess über Morde an Türken wegen ihres Türkeseins den türkischen Journalisten den Zugang zum Verhandlungssaal zu verwehren. Das ist so offensichtlich ein unfassbares Desaster, nicht nur außenpolitisch, sondern auch mit Blick auf die Befriedungsfunktion des Rechts, dass es keiner weiteren Worte bedarf.

Aber ich glaube, es lohnt schon das Nachdenken, wie sich – und uns alle – das OLG jenseits der ganz persönlichen Blödheit aller möglichen Beteiligten in diese Situation hat bringen können.

Das OLG ist offenbar eisern entschlossen, genau das nicht zu tun, was jetzt alle von ihm erwarten: politisch zu denken.

Vordergründig geht es dabei um die funktionale Trennung von Rechtsprechung und Politik: Die Justiz soll sich nicht politischen Zweckmäßigkeiten unterwerfen, soll sich nicht danach verhalten, was für den Staat oder das Volk oder sonst jemanden günstig oder ungünstig ist, sondern in majestätischer Blindheit für alle Opportunitäten und Interessen den Sachverhalt am Maßstab des Rechts messen und sonst gar nichts.

Das hat abstrakt seine Richtigkeit. Man muss nicht, wie OLG-Präsident Huber, diktatorische Schauprozesse im Fußballstadion als mahnendes Beispiel ins Feld führen, um sich die Gefahren einer politisierten Justiz vor Augen zu führen. Der Ansehensverlust des US Supreme Courts reicht dafür vollauf.

Nur, darum geht es in diesem Fall überhaupt nicht. Als ob das Gericht zum Spielball politischer Interessen würde, nur weil im Zuschauerraum türkische Journalisten sitzen. Wie das Gericht sein Verfahren führt und dabei seine Rechtsmaßstäbe anwendet, ist doch (hoffentlich) vollkommen unabhängig von der Zusammensetzung der Publikumstribüne.

Tatsächlich geht es, glaube ich, um etwas anderes.

 

Theater oder Arena

Die verstorbene Weimarer Rechtshistorikerin und Medientheoretikerin Cornelia Vismann hat in ihrem letztes Jahr posthum erschienenen Opus Magnum “Medien der Rechtsprechung“, einem der tollsten Bücher, die ich seit langem gelesen habe, eine Unterscheidung eingeführt, die mir hier sehr nützlich erscheint: zwischen dem “theatralen” und dem “agonalen Dispositiv” des Rechtsprechens.

Im theatralen Dispositiv agiert die Justiz wie das Theater: In der geschlossenen “Kammer” des Gerichts wird die Sache mit verteilten Rollen aufgeführt, vor Publikum, das aber passiv bleibt und nicht eingreift und im Übrigen auch ein Ticket braucht, damit es überhaupt rein darf. Am Ende entscheidet der Richter.

Das agonale Dispositiv hat dagegen seine Wurzeln in der Arena: Hier wird kein Drama inszeniert, sondern ein Wettkampf, und über Sieg und Niederlage entscheidet kein Richter, sondern die Tribüne, das “Tribunal” der Zuschauer.

Das theatrale Dispositiv ist es, was das OLG München hier gerade mit Zähnen und Klauen verteidigt, unter Inkaufnahme, sich selbst dabei international lächerlich zu machen. Es besteht auf der geschlossenen “Kammer” mit seiner begrenzten Zahl von Zuschauerplätzen und weigert sich, in irgendeine massentaugliche Halle umzuziehen und dort das Gerichtsschauspiel zum Ad-Hoc-”Tribunal” wider das Neonazitum umfunktionieren zu lassen.

Es pocht auf ein Verfahren der Platzvergabe, das die Zuschauer auf maximale Weise neutralisiert, buchstäblich zu bloßen Nummern macht, anstatt Wert darauf zu legen, das Publikum so zusammenzusetzen, dass möglichst weite Teile der Öffentlichkeit erreicht werden. Es wehrt sich wütend dagegen, sich die Entscheidung, was gezeigt wird und wann und wo und durch wen der Vorhang auf- und zugezogen wird, aus der Hand nehmen zu lassen, schon gar von dieser Öffentlichkeit selbst, vertreten durch Frau Ramelsberger und ihre geballte Kollegenschaft.

Warum? Was ist es, das dieses theatrale Dispositiv so verteidigenswert macht in den Augen des Gerichts?

Tatsächlich ist diese Differenz zwischen theatralem und agonalem Dispositiv, wie Cornelia Vismann zeigt, kennzeichnend für fast alles, was uns am modernen Strafprozessrecht lieb und teuer ist. Dass das Urteil der unparteiische Richter spricht und nicht die Leidenschaft der Massen. Dass untersucht wird, was die Fakten sind, statt Ankläger und Angeklagten aufeinanderzuhetzen wie Gladiatoren. Dass vor Gericht ein Kampf ums Recht stattfindet, und nicht für das (eigene) Recht.

Das alles ist in tausend Jahren Justizgeschichte hart erkämpft, und wenngleich das vielleicht Herrn Huber und seinen Münchner OLG-Kollegen gar nicht so im Bewusstsein ist, bin ich doch sicher, dass im institutionellen Gedächtnis der Justiz diese Dinge ein riesiges Gewicht haben. (Wenn man will, kann man dafür auch Hubers Wortwahl mit dem “Fußballstadion” anführen – ich weiß gar nicht, welche Schauprozesse er da vor Augen hat, gab es tatsächlich welche, die im Fußballstadion geführt wurden? Was man jedenfalls sofort vor Augen hat, ist die Arena …)

Was natürlich, wie bereits betont, nicht heißt, dass es nicht auch Mittel gegeben hätte, einer Tribunalisierung des NSU-Prozesses vorzubeugen, ohne den Türken auf diese beschämende Weise den Stuhl vor die Tür zu stellen …
 

Crosspost vom Verfassungsblog
 

 

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