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Die europäische Dimension der Energiewende

von , 31.10.12

Als die 16 Länderchefs in der vergangenen Woche im thüringischen Ettersburg über eine gemeinsame Haltung zur Energiewende berieten, empfahl ihnen EU-Kommissar Günther Oettinger via Twitter einen Perspektivwechsel: „Mein Rat an die deutschen Ministerpräsidenten: Europa einbeziehen. Dann sind die Kosten der Energiewende niedriger als beim Alleingang.“ Die freundliche Empfehlung kam nicht von ungefähr. Europa spielt im deutschen Energiewende-Diskurs so gut wie keine Rolle. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sich die nationalen Strommärkte schrittweise europäisieren. Deutsche Entscheidungen haben einen großen Einfluss auf unsere Nachbarländer, Entscheidungen unserer (meist sehr viel kleineren) Nachbarländer zumindest einen Einfluss auf das Geschehen in einzelnen deutschen Regionen. Und mehr und mehr energiepolitische Entscheidungen werden auf EU-Ebene getroffen.

Im Verlauf der praktischen Umsetzung der Energiewende-Beschlüsse von Bundestag und Bundesrat ist mit jedem Monat deutlicher geworden, dass die Handlungsspielräume des Bundes begrenzt sind. Bei brisanten Themen wie dem Netzausbau oder der Solarförderung zeigen sich nicht nur Interessenkonflikte und Koordinationsprobleme zwischen Bundes- und Landesebene, sondern auch zwischen einzelnen Landesregierungen. Die innerstaatlichen Differenzen rücken allmählich ins Zentrum der Debatte und sollen durch regelmäßige Gipfel im Kanzleramt im Zaum gehalten werden – so auch am Ende dieser Woche. Demgegenüber schwelen die innereuropäischen Gegensätze in der Energiepolitik noch weitgehend im Verborgenen.

Die energiepolitischen Differenzen mit unseren Nachbarstaaten, die durch die Energiewendebeschlüsse noch verstärkt wurden, haben bisher keine wirksame Mediation erfahren. Ein offener Konflikt droht spätestens bei den anstehenden Entscheidungen über die energie- und klimapolitischen Ziele der EU für die Zeit nach 2020 . Für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende ist deren europäische Einbettung aber mindestens ebenso wichtig, wie eine reibungslose Bund-Länder-Koordination.

Innerhalb der EU ist bislang keine einheitliche Energiepolitik zu erkennen. Trotz verbindlicher Zielsetzungen bei Emissionsreduktionen und dem Ausbau der Erneuerbaren für das Jahr 2020 koexistieren nach wie vor 27 mitgliedstaatliche Energiestrategien nebeneinander. Deutschland will aus der Atomkraft aussteigen und setzt auf den schnellen Ausbau erneuerbarer Energieträger. Polen nutzt überwiegend Kohle zur Stromerzeugung, ist skeptisch gegenüber Erneuerbaren und plant den Einstieg in die Kernenergie. In Frankreich werden Atomkraftwerke noch lange die Stromerzeugung dominieren.

Zwar darf jeder Mitgliedstaat nach wie vor souverän über seine Energiepolitik entscheiden, doch kann dies für die Nachbarländer nicht mehr länger ohne Folgen bleiben. Ein Beispiel: Seit der Abschaltung mehrerer Atomreaktoren in Süddeutschland nehmen immer größere Mengen an nord(ost)deutschem Windstrom ihren Weg nach Süddeutschland, über die Netze Polens und Tschechiens, denn innerhalb Deutschlands fehlt es an ausreichenden Leitungskapazitäten. Dies gefährdet nach Ansicht der Regierungen in Warschau und Prag deren nationale Versorgungssicherheit. Beide Länder verlangen von der Bundesregierung Unterstützung bei der Bewältigung der Folgen der deutschen Energiewende und drohen gar mit einer Sperrung ihrer Netze für den Nord-Süd-Transit von Windstrom.

Der grenzüberschreitende Handel mit Elektrizität gehört inzwischen zum europäischen Alltag. Da er zu einer effizienteren Ausnutzung von Kraftwerkskapazitäten und insgesamt auch zu einem höheren Grad an Versorgungssicherheit beiträgt, wird das Projekt des EU-Energiebinnenmarkts inzwischen auch nicht mehr infrage gestellt. Erforderlich ist jedoch eine sehr viel stärkere Koordinierung der Stromerzeugung innerhalb der EU. Ähnlich wie im Bund-Länder-Verhältnis ist es wenig hilfreich, wenn die verknüpften Energiesysteme mehrerer Staaten unabhängig voneinander geplant und betrieben werden.

Deutschland ist mittelfristig auf die Speicherkapazitäten innerhalb Europas  angewiesen, wenn sich der Ausbau der Erneuerbaren wie geplant vollziehen soll. Die Integration der Energiemärkte hat allerdings zur Folge, dass Atomstrom hierzulande auch nach 2022 weiter genutzt werden wird. Deutschland kann zwar den Betrieb von Kernkraftwerken untersagen, darf aber Anbieter von Nuklearstrom im EU-Binnenmarkt nicht diskriminieren.

In der Erneuerbare-Energien-Politik erweist sich die Situation als noch komplexer. Die EU steht hier vor wichtigen Grundsatzfragen: In welchem Tempo soll der Ausbau der Erneuerbaren nach 2020 voranschreiten? Und kann dies weiter primär durch nationale Fördersysteme gewährleistet werden oder sollte die EU eine stärker steuernde Rolle  einnehmen? Zur Aufrechterhaltung seiner Wettbewerbsfähigkeit muss Deutschland ein Interesse daran haben, dass ein ambitionierter Ausbaupfad nicht nur bei uns verfolgt wird, sondern in allen EU-Mitgliedstaaten. Dazu sind nicht nur verstärkt Synergieeffekte in gemeinsamen europäischen Projekten zu nutzen, etwa bei der Offshore-Windenergie in der Nordsee. Erforderlich sind auch rechtlich verbindliche Ausbauziele.

In den anstehenden Verhandlungen über die EU-Energie- und Klimapolitik nach 2020 steht für Deutschland sehr viel auf dem Spiel. Kein einziger der großen Mitgliedstaaten und erst recht nicht die EU als Ganzes folgen bislang dem deutschen Entwicklungspfad, sieht man einmal von rechtlich unverbindlichen Absichtserklärungen für Klimaziele im Jahr 2050 ab. Der deutsche Ansatz eines massiven Ausbaus der Erneuerbaren bei gleichzeitigem Ausstieg aus der Atomenergie steht demnach innerhalb der EU in scharfer Konkurrenz zu anderen energiepolitischen Strategien. Als das Modell mit dem größten energiewirtschaftlichen Transformationsbedarf kann die Energiewende deshalb nur dann erfolgreich sein, wenn es Deutschland gelingt, die bislang noch national gedachte Energiewende in eine europapolitische Strategie einzubetten.

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