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10 sozialdemokratische Argumente für und gegen den Koalitionsvertrag

von , 1.12.13

Es geht bei der Abstimmung am 12. Dezember nicht nur um einen Koalitionsvertrag. Es geht auch um die Zukunft der Sozialdemokratie. Dieser Aspekt wird von manchen Journalisten gern kleingeredet oder verächtlich gemacht. Ich habe deshalb die wichtigsten Sozi-Argumente für und gegen die große Koalition gesammelt und einander gegenübergestellt.

 

Pro:

1. Die SPD wäre mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn sie die historische Chance, mehr soziale Gerechtigkeit für große Teile der Gesellschaft durchzusetzen, nicht nutzen würde. Eine pragmatische Volkspartei muss immer dann Ministersessel besetzen, wenn sich die Chance dazu bietet. Für moralische oder grundsätzliche Bedenken sind radikale Klein- und Klientelparteien zuständig.

2. Mehr sozialdemokratische Inhalte konnte eine 25-Prozent-Partei noch nie in einen Koalitionsvertrag mit den Konservativen einbringen. Der designierte FDP-Chef Christian Lindner nennt den Koalitionsvertrag ein sozialdemokratisches Programm.

3. Nur eine große Koalition (wie sie im Europaparlament seit langem still und leise praktiziert wird) kann die EU in der gegenwärtigen Weltmarktkonkurrenz mit Asien und Amerika stabilisieren und die Währungs- und Schuldenkrise überwinden. Ein Europa der sozialen Marktwirtschaft als politische Alternative zum autoritär regierten China und zur kontrollsüchtigen Weltmacht USA muss den Sozialdemokraten wichtiger sein als der eigene Seelenfrieden.

4. Allein schon die Einführung des Mindestlohns würde eine Zustimmung zum Koalitionsvertrag rechtfertigen. Die SPD existiert schließlich nicht um ihrer selbst willen, sondern ist die politische Interessenvertretung der „kleinen fleißigen Leute“ (Gabriel). Die Gewerkschaften sind mit dem Koalitionsvertrag mehr als zufrieden.

5. Durch die Öffnung der Partei für die Wirtschaft und die Besetzung wichtiger Ministerposten wahrt die SPD die Chance, von den Stützen der Gesellschaft wieder stärker akzeptiert zu werden. Nur so kann sie eines Tages erneut zur stärksten Partei aufsteigen und den Kanzler stellen.

6. Die Rolle der Opposition in direkter Konkurrenz zu den (bevormundenden) Grünen und den (sektiererischen) Linken würde die SPD nicht stärken, sondern nur mit Verbalradikalismus infizieren und dadurch schwächen. Opposition ist Mist (Müntefering).

7. Auch wenn es paradox klingen mag: Informelle Kontakte und Gesprächskreise zwischen SPD und Linken werden sehr viel leichter zustande kommen und fruchtbarer sein, wenn die SPD regiert, als wenn SPD und Linke in der Opposition um die Oppositionsführerschaft konkurrieren müssen. Auch für die Linke wäre es mit einer regierenden SPD einfacher, sich inhaltlich zu erneuern und auf die kommende Zusammenarbeit mit der SPD vorzubereiten.

8. Nur wenn Sozialdemokraten – ähnlich wie zwischen 1966 und 1969 – durch Regierungshandeln beweisen, dass sie Ökonomie und Ökologie produktiv miteinander zu verbinden wissen, indem sie die Energiewende, den Infrastrukturausbau und die Innovationsförderung zum Wohle des Landes steuern, können sie auch den Grundstein legen für eine andere (eine linke) Koalition unter ihrer Führung. Für diese andere Koalition ist die Zeit aber noch nicht reif.

9. Bei Neuwahlen bekäme die CDU die absolute Mehrheit.

10. Eine rot-rot-grüne Regierung zum jetzigen Zeitpunkt wäre spätestens nach einem Jahr erledigt. Die Eliten des Landes würden durch gezielte Obstruktion schon dafür sorgen. Danach wäre die SPD so beschädigt, dass sie für lange Zeit jede Machtoption begraben könnte. Im schlimmsten Fall würde die Partei sogar zerfallen.

 

Contra:

1. Die SPD braucht dringend eine Runderneuerung. Diese Erneuerung wurde nach der krachenden Wahlniederlage von 2009 versäumt und verschleppt. Die letzte große Koalition bescherte der SPD Verluste von mehr als 11 Prozentpunkten. Bei der Bundestagswahl 2013 konnte die SPD lediglich zwei Prozentpunkte zurückgewinnen. Erneuern wird sich die SPD deshalb nur mit einer Führung, die ihre Schwächen nicht in einer Regierungsbeteiligung verstecken will.

2. Für eine Koalition mit der CDU haben die Sozialdemokraten nicht gekämpft. Noch im Wahlkampf hat die SPD-Führung eine große Koalition ausdrücklich ausgeschlossen. Die SPD darf keine Umfallerpartei werden wie die FDP. Ihre Vertragstreue muss sich auch auf ihre Wahlaussagen beziehen. Nur wer glaubwürdig bleibt, kann langfristig Erfolg haben. Es wäre daher folgerichtig, 2013 in die Opposition zu gehen und die Wahlsieger allein regieren zu lassen.

3. Die europäische Sozialdemokratie ist ausgelaugt und wenig attraktiv. Sie braucht eine Leit-Partei, die ihr den Weg aus der Krise zeigt. Die Anpassung an konservative Wirtschaftsprogramme ist der falsche Weg. Ein bloßes „Weiter So“ mit Schützenhilfe der deutschen SPD wird die europäischen Sozialdemokratien und Linksparteien weiter auseinander treiben und gegeneinander aufbringen. Die sang- und klanglose Auflösung der Sozialistischen Internationale war ein erstes Warnzeichen. Die nächste Warnung werden die sozialdemokratischen Parteien bei den Europawahlen im nächsten Frühjahr erhalten. Populistische und rechte Parteien könnten stark zulegen und an den Sozialdemokraten vorbeiziehen.

4. Die SPD mag in der großen Koalition ein paar Reformen erreichen, der Schaden für die Demokratie aber ist ungleich größer, wenn die Menschen keine politische Macht-Alternative mehr haben und keine politische Auseinandersetzung mehr stattfindet.

5. Es wäre für die SPD langfristig wichtiger, die unselige Spaltung in Sozialdemokraten und Linke zu überwinden, als für ein paar Verbesserungen Angela Merkel und die CDU/CSU weiter an der Macht zu halten.

6. Eine starke Opposition kann mehr bewegen als eine schwache Ministerriege.

7. Der Koalitionsvertrag verspricht zwar einige Brosamen für die „fleißigen kleinen Leute“ (Gabriel), aber die Freiheits- und Bürgerrechte sind ihm egal. Der Koalitionsvertrag ist nur ein Betreuungs- und Rentenversicherungsvertrag für die Generation 60plus. Ein Vertrag für die Jugend oder die aktive Zivilgesellschaft sähe anders aus.

8. Der Koalitionsvertrag ist in weiten Teilen eine Mogelpackung. Welche Vorhaben wie und mit welchen Abschlägen und Ausnahmeregelungen umgesetzt werden, ist völlig unklar. Fast alle angekündigten Verbesserungen sollen erst voll wirksam werden, wenn bereits die nächste Regierung gebildet wird.

9. Durch die zweite große Koalition innerhalb von acht Jahren wächst die Gefahr, die Grünen gezielt in die Arme der CDU zu treiben. Dadurch hätte die SPD auf Jahrzehnte hinaus keine eigenständige Machtoption mehr.

10. Die SPD beraubt sich der einmaligen Chance, SPD, Grüne und Linke in der Opposition zusammenzuführen und eine realistische Ausgangsbasis für die Wahl 2017 zu entwickeln.

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