##GroKo

Wofür ist man, wenn man gegen eine große Koalition ist?

von , 4.12.13

Die Titelfrage wird mir oft gestellt, und ich will versuchen, sie ganz klar zu beantworten. Ich bin dafür, die CDU/CSU immer wieder auf die Suche nach Mehrheiten zu schicken. Die beiden konservativen Parteien sind stolz darauf, dass sie die Wahl gewonnen und fast eine absolute Mehrheit erreicht haben, doch ihnen ist der „natürliche“ Koalitionspartner abhanden gekommen.

Es gibt eine potenzielle Mehrheit auf der linken Seite im Bundestag, aber die traut sich nicht, hat nicht das Führungspersonal oder ist nicht einig genug in den Sachfragen, um effektiv zusammenarbeiten zu können. Das ist in gefestigten Demokratien die klassische Situation, in der die mit Abstand stärkste Fraktion eine Minderheitsregierung bildet.

Sowohl für die Wahl der Kanzlerin als auch für alle weiteren Entscheidungen müssen CDU und CSU dann auf die Suche nach Unterstützern in den anderen Parteien gehen. Das ist nicht leicht, aber sehr gut für die Demokratie. Es öffnet nämlich die Debatte und führt in vielen Situationen erst zu einer ernsthaften Diskussion, weil man Abgeordnete aus anderen Fraktionen inhaltlich überzeugen muss.

Wer sagt, das sei das Letzte, was Deutschland in einer schwierigen Situation brauche, nämlich instabile Verhältnisse einer Minderheitsregierung, muss sich fragen lassen, was repräsentative Demokratie im Gegensatz zu einer reinen Parteiendemokratie ist.

Wenn Frau Merkel verspricht, eine Politik zu machen, die viel mehr Aspekte berücksichtigt, als jetzt im Koalitionsvertrag stehen, kann sie jederzeit damit rechnen, die notwendigen Mehrheiten im Bundestag zu gewinnen.

Freilich muss man dafür sofort und ein für alle Mal die undemokratische und grundrechtswidrige Institution abschaffen, die Fraktionszwang genannt wird. Ein Abgeordneter, der sich seinem Gewissen verpflichtet fühlt, wird in einer solchen Konstellation bei jeder anstehenden Entscheidung sehr genau überlegen, ob er mit der stärksten Fraktion stimmt und ihr so zu einer Mehrheit und der Demokratie zu einer Entscheidung verhilft.

Das hat auch den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass weit weniger business as usual gemacht wird und sich die Regierung auf wichtige Fragen konzentriert, statt alles und jedes von ihrer Mehrheit im Parlament durchwinken zu lassen, was sich irgendein Bürokrat in irgendeinem Ministerium unter dem Einfluss irgendeines Lobbyisten ausgedacht hat.

Schließlich – und das ist das Wichtigste – hat die Opposition die Möglichkeit, selbst initiativ zu werden und die Regierung in entscheidenden Fragen zum Handeln zu zwingen. Zudem: eine Regierung, die damit rechnen muss, im Parlament effektiv gestoppt zu werden, agiert – auch in internationalen Verhandlungen – ganz anders, nämlich weniger selbstherrlich und gutsherrenartig als eine, die weiß, dass ihre Position im Parlament niemals kritisch hinterfragt, geschweige denn in Frage gestellt wird.

Angesichts der Fehlentwicklung und der schweren Krise in Europa, die maßgeblich auf eine verfehlte deutsche Politik zurückzuführen ist, ist genau das die Attitüde, die Europa sich von seinem wirtschaftlich stärksten Mitgliedsland wünscht.

Hätte Herr Schäuble seine nur absurd zu nennende Position zur Überwindung dieser Krise („Austerität ist die einzige Lösung“) so vertreten, wenn er Finanzminister einer Minderheitsregierung gewesen wäre? Hätte er mit der gleichen Chuzpe die Sonderbehandlung Deutschlands bei der Überprüfung der makroökonomischen Ungleichgewichte in Brüssel durchgesetzt?

Hätte Frau Merkel einen so dramatischen Schwenk in ihrer Position (von der Staatsschuldenkrise zur Krise der Wettbewerbsfähigkeit) vollziehen können, ohne auch nur den Versuch zu machen, im Parlament detailliert zu erklären, was sie dazu bewogen hat?

Nein, eine Minderheitsregierung in Zeiten großer Unsicherheit und komplexer Herausforderungen würde nur dann die Lage destabilisieren, wenn man genau wüsste, dass eine Mehrheitsregierung auf jeden Fall alles richtig machte. Da nichts für Letzteres spricht, dürfte es genau umgekehrt sein: Die Intensität der Auseinandersetzungen nimmt erheblich zu, und damit die Wahrscheinlichkeit, dass vernünftige Lösungen gefunden werden.

Und wenn sich die christlichen Parteien beharrlich weigern würden, diesen Weg zu gehen, was angesichts des Machthungers dort allerdings sehr unwahrscheinlich ist, ja, dann müsste die Opposition sich erneut und ernsthafter fragen, ob sie nicht doch ihre Mehrheit dazu nutzen will, um selbst einen Bundeskanzler zu wählen (oder eine Kanzlerin), der seinerseits immer wieder versucht, seine geringe Mehrheit dadurch zu sichern, dass er eine Politik macht, die auch für andere zustimmungsfähig ist. Wieder wäre mehr Demokratie gewagt, und vermutlich auch gewonnen.
 
Crosspost von flassbeck economics

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