##USWahl

Wir brauchen jetzt gute Antworten

von , 11.11.16

I.

Die Reaktionen auf die Wahl Donald Trumps sind heftig. Angst, Abscheu, Traurigkeit, das Gefühl akuter Bedrohung.

Ein wirklicher Tabubruch ist seine Wahl freilich nur, wenn wir unsere eigene Perspektive auf die Welt als gesetzt sehen. Tatsächlich spiegelt das, was wir dieser Tage erleben, in verkehrter Polarität das blanke Entsetzen wider, das Millionen Amerikaner bei der ersten und zweiten Wahl Barack Obamas ins Weiße Haus gespürt haben. Ein schwarzer Professor, geschult im hyper-elitären Harvard, linksliberal bis zum Anschlag, seit seiner Jugend politisch aktiv gerade in ärmeren, von Afro-Amerikanern bewohnten Vierteln Chicagos: das war für viele Milieus blanke Provokation, ein Verschieben der Grenzen des Zulässigen, Realität gewordene Undenkbarkeit.

Die einen feierten Obamas Wahl als historischen Triumph (darunter ich). Für viele andere war sie persönliche Schmach und Erniedrigung. Dieser Perspektivwechsel macht die Wahl Trumps nicht besser. Aber er rückt sie ein Stück weit ins historische Verhältnis.

Das weiße Amerika hat Rache genommen. Das historische Pendel, vor acht Jahren heftig in eine Richtung ausgeschlagen, kippt zur anderen Seite.

II.

Mit der Wahl Trumps ist etwas geschehen, was wir auch in Deutschland immer wieder neu akzeptieren müssen: kein Land kann seiner hässlichen Vergangenheit entkommen. Weiße Überlegenheitsideologie, Frauen- und Schwulenfeindlichkeit, Ausländerhass sind historische Konstanten, die in den weißen Bevölkerungsteilen der USA deutlich tiefer wurzeln als Toleranz, Emanzipation und Gleichstellung.

Diese Hässlichkeit braucht ein politisches Zuhause. Wenn sie keines hat, baut sie sich eins.

In Deutschland ist das nicht anders. Die Hässlichkeit hatte früher ein behagliches Zuhause bei CDU und CSU. Ausländerfeindlichkeit, Chauvinismus und Schwulenhass hatten hier über Jahrzehnte Platz, wenn auch oft nur still geduldet. Das ist heute – zumindest in weiten Teilen der CDU – nicht mehr der Fall.

So ist es wenig überraschend, dass die Bevölkerungsteile, die ihre Identität über Abwertung Anderer definieren, sich ein neues Zuhause gebaut haben. Mit der AfD holen uns die Facetten unserer selbst ein, die die meisten am liebsten für immer abspalten würden. Doch so lange wir so tun, als gäbe es diese Schattenseiten nicht, ist ein produktiver Umgang mit ihnen unmöglich.

III.

Trump ist kein Ausrutscher. Die kommenden US-Wahlen werden absehbar ähnlich radikale Kandidatinnen und Kandidaten produzieren. Zum einen weil das Land inzwischen in so homogene Wahlbezirke aufgeteilt ist, dass extreme Polarisierung fast vorprogrammiert scheint. Zum zweiten, weil der Geist der direkten Demokratie ein perverses Eigenleben entwickelt hat.

So übel es manchen aufstoßen mag: Es ist ein historischer Irrtum des grün-linken Milieus, dass direkte Demokratie automatisch die bessere Demokratie ist. Von AfD bis SVP gehen illiberale Parteien heute mit einem mentalen Modell hausieren, das der politisch Linken entsprungen ist. Volksabstimmungen adeln verfassungsfeindliche Abstimmungsergebnisse, der Ruf nach Volkes Stimme verspricht den Segen des rassisch-kulturell homogenisierten Landes.

Wer kann nach dem Brexit noch ernsthaft argumentieren, dass komplexe Themen in ein Ja-Nein-Raster eines Wahlzettels gepresst gehören? Ist es denn auch nach der Wahl Trumps immer noch Grundannahme, dass direkte, offene Vorwahlen für einen demokratischeren Prozess sorgen?

Hier müssen wir neu hinschauen. Denn die demokratische Qualität eines Prozesses entscheidet sich nicht nur an der Breite der Beteiligung. Der Prozess ist schließlich kein Selbstzweck. Wichtiger ist das Ergebnis der schlussendlich getroffenen Entscheidung – trägt es dem Interesse der Allgemeinheit Rechnung?

IV.

Das zentristische Model Clinton ist ein Auslaufmodell. Mitte-Links ist auch in den USA historisch ans Ende gekommen. Die Leute sind einer Linken müde, die nur noch Abwehr- und Bewahrungskämpfe führt, anstatt nach den potenziellen Architekturen einer neuen Zeit zu suchen.

Die Nachkriegsordnung der westlichen Demokratien kommt an ihr Ende. Sie hat es über Jahre versäumt, sich an eine veränderte Gesellschaft anzupassen. Schlimmer noch, sie hat sehenden Auges akzeptiert, dass sich Millionen Menschen in der permanenten Prekarität einrichten mussten, ohne die Möglichkeit einer Aufstiegsperspektive. Eine Linke, die das zulässt, ist – ein gutes Stück weit zu Recht – leicht zu diskreditieren.

Die Demokratie ist nur dann auf für alle nachvollziehbare Weise die beste Wahl, wenn sie auch für alle Sorge trägt. Wenn sie es nicht tut, wird sie verhandelbar – ob wir das richtig finden oder nicht.

V.

Die Wahl Trumps ist nur ein Vorgeschmack, was kommen könnte. Es ist nicht unrealistisch, dass Marine Le Pen die französischen Präsidentschaftswahlen gewinnt. Dann wird Europa bersten, im Wertekonflikt, und mit ihr vielleicht die Demokratie auf unserem Kontinent.

Die Linke muss jetzt Angebote machen: für all diejenigen, die glauben, dass unser bestehendes System an das Ende seiner Möglichkeiten gekommen ist. Denn sonst bieten nur die Illiberalen Platz für sie. Dabei rede ich nicht nur über die abgehängten, ungebildeten, armen Teufel. Sondern auch über die gut gebildeten, gut verdienenden Menschen in meinem Umfeld. Menschen die fragen, wo die Rekord-Steuereinnahmen eigentlich landen. Die fragen, warum Politik sich über zwei Euro plus oder minus beim Kindergeld zerfleischt, während die Zahl der psychischen Erkrankungen epidemisch zunimmt. Die fragen, warum Verbrennungsmotoren und Kohle weiterhin sakrosankt sind, während Klimawandel und Abgastote immer weitergehen. Warum Finanzspekulation und Reichtum durch Erben weniger hoch besteuert ist als Einkommen, das auf Arbeit basiert. Die fragen, warum Turnhallen und Schwimmbäder geschlossen werden, während die reichsten Konzerne der Welt Steuern im Promillbereich bezahlen.

Wir brauchen jetzt gute Antworten. Sonst werden die Rechten, die schlechte Antworten liefern, weiter siegen.

 


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