#Compaq

Winkt der Verlagsbranche das IBM- oder das Compaq-Schicksal?

von , 17.9.13

Das fragt Max Rethow in der aktuellen Titelgeschichte des Journalist: „Schickt man nicht zuerst einen Affen oder einen Hund?“

Jedes Unternehmen, in dessen Geschäftsbereich technologische Fortschritte eine Rolle spielen, ist in regelmäßigen Abständen mit folgendem Dilemma konfrontiert: Es gibt einen alten, noch funktionierenden Geschäftsteil, der schrittweise kleiner wird, und einen neuen, noch nicht wirtschaftlichen Geschäftsteil. Unter Ökonomen ist dieses Phänomen als „The Innovator’s Dilemma“ bekannt.

Das Dilemma ist schnell erklärt: Konzentriert sich ein Unternehmen zu sehr auf das, was aktuell funktioniert, unterbleiben Investitionen in die Zukunft, und es verliert den Anschluss. Besonders schädlich agieren dabei Unternehmen, die nur in einer Form in die Zukunft investieren, die den alten Geschäftsteil in keiner Weise gefährdet. Die Disruption wird dann in der Regel von der Konkurrenz vorangetrieben, die auf diesen neuen Märkten zum Platzhirsch werden kann.

Dieses Szenario war zuletzt bei Microsoft zu beobachten. Auch, wenn der US-Softwarekonzern mit seinem Kerngeschäft aus den PC-Softwareangeboten Windows und Office immer noch riesige Gewinne einfährt, zeichnet es sich bereits ab, dass Microsoft auf dem neuen stark wachsenden Feld der mobilen Computer – Smartphones und Tablets – keine Rolle spielen wird. Schon jetzt hat Apple Microsoft nach allen wichtigen Kennziffern eines Unternehmens wie Umsatz, Gewinn und Marktkapitalisierung weit überholt.
 

 
Häufig sind daher diejenigen Unternehmen, die in der Ära einer bestimmten Technologie dominant waren, nicht die Innovatoren, die die nächste Ära der Technologie einleiten. Weil Microsoft in der PC-Ära deutlich mehr zu verlieren hatte als Apple, versuchte der Konzern, seine Dominanz aus der PC-Ära in die neue mobile Ära hinüberzuretten: Die noch von Bill Gates um das Jahr 2000 vorgestellten Tablet-PCs waren mit dem klassischem Windows-Betriebssystem ausgestattet. Das Ergebnis waren mobile Computer, deren Steuerung, System und Software nicht auf die mobile Welt optimiert waren.

Wie geht nun die Verlagsbranche mit der sich abzeichnenden Disruption durch die Digitalisierung des Geschäftsmodells um?

Sehr unterschiedlich. Einige, wie Axel Springer, treiben die Digitalisierung konsequent voran. Sie konzentrieren sich dabei auf die Bereiche, die auch schon im Papierzeitalter die Gewinnbringer der Zeitung waren: Kontaktanzeigen, Immobilienanzeigen und so weiter – nur eben online. Journalismus ist nur noch Aushängeschild, vielleicht sogar nur Beiwerk, wie der Verkauf journalistischer Kernmarken wie Hamburger Abendblatt und Berliner Morgenpost zeigt.

Andere sind weniger aktiv und beobachten zunächst einmal, wohin die Reise geht. Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo mahnte auf dem Forum Lokaljournalismus 2013 sogar dazu, Print nicht totzureden. Allerdings hat er als Zeit-Chefredakteur gut reden – immerhin ist diese Form des Wochenblatts durch den digitalen Wandel überhaupt nicht bedroht. Im Gegenteil scheint sogar der Wunsch nach solcher mit Abstand betrachteter Analyse auf Papier im Online-Zeitalter zuzunehmen: Sowohl Die Zeit als auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung feierten zuletzt Auflagenrekorde.

Sind diejenigen, die hektischen Aktionismus an den Tag legen, automatisch die Gewinner?

Nicht unbedingt. Ein Blick zurück auf die IT-Branche zeigt, dass Abwarten, um zu sehen, wohin die Reise geht, tatsächlich langfristig die richtige Strategie sein kann. Nehmen wir IBM: Der Computerriese war mit seinen Mainframes – riesigen Großcomputern – ein Treiber der ersten IT-Revolution.

Die zweite Welle dieser Revolution, den Siegeszug des PCs, verpasste IBM dann aber, weil der Konzern dem Privatkundengeschäft keine signifikante wirtschaftliche Bedeutung beimaß. Der eigene Standard IBM-PC wurde von anderen etabliert – zuerst von Compaq und dann von zahlreichen ostasiatischen Firmen, die noch deutlich billiger waren als die als günstigere Alternative zum IBM-PC gestarteten Compaq-Rechner.

Und IBM? Die konzentrierten sich weiter auf das Unternehmensgeschäft und trieben nach einer Durststrecke erfolgreich den Umbau zum margenträchtigen Geschäft mit Software und Dienstleistungen voran, anstatt mit Billig-Anbietern aus Fernost im Bereich der Hardware in Konkurrenz zu treten. Die Vollendung dieses erfolgreichen Strategieschwenks stellte der komplette Verkauf der PC-Sparte samt Thinkpad-Marke an die chinesische Lenovo Group dar.

Compaq, das den PC-Trend nicht verschlafen, sondern vorangetrieben hatte, wurde 2002 von Hewlett-Packard (HP) übernommen, die noch länger und erfolgreicher davon profitierten. Nun allerdings leidet HP seit Jahren am Trend zu mobilen Computern im PC-Geschäft, und auch der Wandel in Richtung Software und Dienstleistungen ist HP weniger gut gelungen als IBM.

Was die Verlagsbranche daraus lernen kann? Die Sieger von heute sind nicht unbedingt die Sieger von morgen. Vielleicht ist die konservative Strategie, den journalistischen Markenkern zu bewahren und zu beobachten, wohin sich der Markt entwickelt, um sich dann im zweiten Schritt konsequent darauf auszurichten, gar keine schlechte.

Allerdings zeigt der digitale Wandel auch: Weil viele klassische Verlage keine konsequente Digitalstrategie verfolgten, konnten sich viele neue Medienmarken etablieren – vor allem in den USA: Business Insider, Huffington Post, The Verge, Quartz, Medium.com, Slate, MATTERTechcrunch oder das durch unkonventionelle Formate erfolgreiche Online-Magazin The Vice, um nur einige zu nennen.

Im Bereich Start-up-Berichterstattung ist beispielsweise international keine Marke so stark wie Techcrunch. Allzu langes Abwarten ist daher sicher nicht der beste Tipp.

 
Vielen Dank an Patrick Bernau (Twitter) von der FAZ. Ein Gespräch mit ihm nach der DJV-Veranstaltung Besser Online 2013 am Samstag war Inspiration für diesen Blog-Artikel (Crosspost vom Online-Journalismus-Blog).
 

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.