von Frank Lübberding, 22.6.13
500.000 Stuttgarter waren über den “Jahrhundertbesuch” begeistert gewesen. Schon im Vorfeld war der Unterschied zu John F. Kennedy deutlich gemacht worden, der erst die Skepsis der Deutschen habe überwinden müssen. Das Ereignis ist heute allerdings weitgehend vergessen und betrifft den ersten Deutschland-Besuch der Queen im Mai 1965.
Hunderttausende Menschen, die einem Staatsoberhaupt zujubeln, waren damals keineswegs selten. Ob die Besuche Kennedys (1963) oder Charles de Gaulles (1962) in den 1960er Jahren: In solchen Besuchen verkörperten sich nationale Identität und ein Staat, der sich noch nicht als reiner Dienstleister betrachtete. In der frühen Bundesrepublik spielte noch die Suche nach Anerkennung eine Rolle. Man betrachtete solche Staatsbesuche als Hinweis darauf, die Katastrophe des Naziregimes hinter sich gelassen zu haben. Sie ermöglichten den Deutschen, ein – wenn auch fragiles – Selbstbewusstsein zu entwickeln.
Dazu kam das mediale Neuland namens Fernsehen. Es war gerade erst zum Massenmedium geworden und brachte den Rest der Welt in den buchstäblich letzten Winkel des Landes. Es berichtete erstmals live von diesen Besuchen und verstärkte damit noch die Begeisterung. Medien erzeugen erst das, worüber sie gleichzeitig berichten. Das konnte man damals lernen, wenn es auch zu der Zeit noch niemand verstanden hatte.
Der heute so selbstverständliche Begriff des “Events” bekam seine heutige Bedeutung, auch ohne Twitter, Facebook und die ahistorischen Claqeure sozialer Netzwerke. Das betrifft selbst noch den Staatsbesuch des Schahs Reza Pahlavi und seiner Frau Farah Diba im Mai/Juni 1967 – und sollte zugleich das Ende eines Events namens “Staatsbesuch” sein.
In seinem berühmt gewordenen Film “Der Polizeistaatsbesuch” hatte der Schweizer Dokumentarfilmer Roman Brodmann ursprünglich gar nicht vor gehabt, kritisch über den Schah zu berichten. Vor allem Farah Diba war der Liebling der deutschen Medien. Brodmann wollte die Faszination und den Aufwand solcher Staatsbesuche dokumentieren, also nicht mehr nur als medialer Verstärker staatlicher Selbstinszenierung auftreten.
Die Auswahl des Schahbesuchs war wohl eher zufällig gewesen. Erst die allein von Brodmann filmisch dokumentierten Berliner Ereignisse mit dem Tod Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 sollten das ändern. Die Studenten hatten nämlich diesen Mythos des Staatsbesuchs für einen Tabubruch genutzt: Allein die Idee, gegen den Staatsgast zu demonstrieren, galt in den Augen der meisten Deutschen als ein Verstoß gegen die guten Sitten. Der Schahbesuch sollte sich als Wendepunkt erweisen.
Danach blieben Staatsbesuche nur noch protokollarische Ereignisse. (Mit der einen wichtigen Ausnahme: Gorbatschows Deutschland-Besuch im Juni 1989. Dort war der historische Moment schon zu spüren.) Die beschriebene Konstellation der frühen Nachkriegsjahre war weg. Das sollte allerdings nichts an dem Mythos ändern, der trotz dieser wenigen Jahren zwischen den Besuchen De Gaulles 1962 und des Schahs 1967 nachwirkt: Journalisten fallen ihm bis heute zum Opfer.
Man muss heute nur einmal die Reaktionen auf den Besuch (und die Rede) Barack Obamas am 19. Juni lesen, hören und sehen. Wir erleben das faszinierende Schauspiel, dass Journalisten über den Live-Ticker-Wahn zu Hofschranzen werden, die den Berichterstattern der frühen 1960er Jahre in nichts nachstehen. Edo Reents hat dazu das Nötige gesagt.
Die Medien selbst erzeugen also erst die Aufmerksamkeit, über sie dann berichten – wobei sich ihr Publikum dafür zumeist noch nicht einmal interessiert. Journalisten bleiben oft in der selbstreflexiven Schleife gefangen, wo sie nur noch anderen Journalisten ihre Eindrücke schildern. Dabei haben aber fast alle nur ein historisches Referenzmodell im Kopf, um den Besuch Obamas zu beurteilen: Kennedys berühmte Rede vom 26. Juni 1963. Sie wird auch am Mittwoch kaum jemand gelesen haben. Man hat nur die berühmten Worte “Ich bin ein Berliner” im Gedächtnis.
Man meint die Begeisterung der Deutschen über Kennedy, nicht nur in Berlin, wäre in der damaligen Zeit etwas Besonderes gewesen. Eine Begeisterung übrigens, die bisweilen nur seiner Frau Jacqueline galt. Sie war ein Popstar, ohne diesen Begriff damals schon zu kennen, und die Frauen-Ikone ihrer Zeit. Kennedy selbst meinte anlässlich eines Staatsbesuchs in Frankreich ironisch: “Ich bin der Mann, der Jackie Kennedy auf ihrem Staatsbesuch begleitet.” Sein früher Tod, nur wenige Wochen nach der Berliner Rede, erzeugte erst jenen bleibenden Eindruck von Kennedy, den Obama gestern übrigens ansprach. Wir hätten ihn nur “als jungen Mann in Erinnerung.”
Die Rede Kennedys war weder bemerkenswert, noch historisch. Bemerkenswert und historisch waren allein die Umstände, in der sie gehalten worden ist. An die Reden der Queen auf ihrem Deutschlandbesuch 1965 kann sich daher auch niemand mehr erinnern, genauso wenig wie an ihren Besuch. Aber Journalisten transportieren heute jenen Mythos, der unreflektiert vor ihren Augen in Filmschnipseln existiert: Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus, Kennedy im Wagen in Dallas nach den Schüssen. Die Erinnerung der eigenen Eltern an den Schock, die die Nachricht von der Ermordung ausgelöst hat. Es ist bekanntlich ein Teil des Mythos’, dass sich viele Menschen daran erinnern können, wo sie vor bald 50 Jahren die Nachricht vom Tod Kennedys gehört haben.
Es ist offenkundig völlig unsinnig, die Rede Kennedys mit der von Obama zu vergleichen. Trotzdem macht es fast jeder Berichterstatter. Die Medien erzeugen jenen Mythos, dem sie am Ende in ihrer historischen Ahnungslosigkeit selbst zum Opfer fallen. Damit werden sie zu einem Teil der Mythologisierung. Wenn man in diesen Tagen etwas lernen konnte, dann das.
Update
Spiegel online hat einen guten Text über den Besuch Kennedys aus der Sicht eines Fotografen, der damals dabei gewesen ist. Er zeigt auch, wie die Medien diesen Hype erzeugten, über den sie dann später berichteten.
Update Sonntag, 23.06.2013
In der heutigen FAS gibt es einen interessanten Artikel von Peter Körte über die Live-Reportage von ARD und ZDF zum Berliner Kennedy-Besuch am 26.06.1963. Er läuft am kommenden Mittwoch im Berliner Zeughauskino. Übrigens wird auch die Berichterstattung des DDR-Fernsehens zu einem Besuch Chruschtschows vom 28. Juni bis zum 4. Juli 1963 gezeigt werden. Das Deutschlandradio hat heute schon eine Zusammenfassung der damaligen Radioreportage.
Dass die Begeisterung keineswegs auf Berlin beschränkt war, zeigt eine Ausstellung in Wiesbaden. Die FAZ hat den Bericht eines Fotografen, der damals dabei gewesen ist. Der WDR müsste auch noch seine Reportage über Kennedy in Köln im Archiv haben. Nur als Tipp für den neuen Intendanten.
Crosspost von Wiesaussieht
- Berliner Rede Obamas im Original und mit deutscher Übersetzung
- Kommentar in Deppendorfs Woche
- Uwe Karsten Heye, früherer Redenschreiber Willy Brandts, über den Stellenwert und die Einordnung von Obamas Berlin-Rede