#Angela Merkel

„Wer kommt nach Sigmar Gabriel?“ – oder wie der Spin vor dem „Super-Sunday“ Blüten treibt.

von , 1.3.16

Achterbahnfahrt. So kann man freundlich die Berichterstattung über den SPD-Vorsitzenden und seine Partei in der Bundesregierung bezeichnen. Die Geschichte des „Auf und Ab“ der letzten 24 Monate ist schnell erzählt: erst das Lob für die erfolgreiche Durchsetzung sozialdemokratischer Projekte im Koalitionsvertrag mit CDU und CSU. Dann die Erfolgsgeschichte der Umsetzung von Mindestlohn, Mietpreisbremse, Elterngeld-Plus oder Rentenpaket. Ein SPD-Vorstandsmitglied twitterte stolz „Wir bestimmen 80% der Regierungspolitik!“. Doch schon ging es wieder bergab: Das Jammertal der Meinungsumfragen mit konstant mageren 23% bis 25% für die SPD. Heute darauf angesprochen, blutet einem Zuarbeiter des SPD-Parteivorsitzenden das Herz: „Was kann man noch mehr tun, als so erfolgreich die sozialdemokratische Handschrift in der Bundesregierung umsetzen?“.

Dann die nächste Volte in der Berichterstattung am 11. Dezember 2015. SPD-Bundesparteitag in den Berliner Messehallen. Ohne Vorwarnung und Gegenkandidat die Klatsche bei der Vorstandswahl – 74% für den Vorsitzenden. Das hat nicht nur den SPD-Vorsitzenden kalt erwischt. Noch auf dem Parteitag wurden die bereits „trocken“ geschriebenen Kommentare umgeschrieben. Mittlerweile konzentriert sich die Berichterstattung ganz auf die Landtagswahlen am 13.März. Wieder ist hohe Zeit der „Experten“, die heute schon ganz genau erklären können, woran was liegt. Einer von ihnen, der Forsa-Chef Manfred Güllner, sucht die Ursache in der Vergangenheit: „Sigmar Gabriel hat 2013 den falschen Wahlkampf geführt“.

Eine „SPD Analyse“ aus Hamburg geht noch weiter zurück: Die Agenda 2010 muss dort als Ursache für das nicht wieder gewonnene Vertrauen herhalten. Das ist genau das Futter für eine Fortsetzung der SPD-Geschichte. Denn für viele Berichterstatter scheint heute schon ausgemacht, wie es am Montag nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg aussieht. Im SPD-Präsidiums-Sitzungssaal im 6.Stock des Willy-Brandt-Haus, so wird unterstellt, stehen dann die Zeichen auf Sturm. Einige Berichterstatter spekulieren wild drauflos, wer nach Sigmar Gabriel kommt, denn es gibt für alle Unzulänglichkeiten, alle Stimmergebnisse und nicht zuletzt auch die Performance nur einen einzigen Verantwortlichen.

Der insinuierte Rückschluss: Nach dem Super-Sunday kann nur ein neues Gesicht die SPD wieder nach vorne bringen. In der SPD-Bundestagsfraktion sei laut ARD spekuliert worden, ob bei der (vermeintlichen) Panne im Regierungshandeln zum Asylpaket II nicht Gabriel doch im Sechs-Augen-Gespräch der Parteivorsitzenden etwas anderes ausgehandelt habe. Ein klares Misstrauensvotum, in einem Nebensatz verpackt. Die Spekulationen schießen weiter so ins Kraut, dass der SPD-Vorsitzende sich jetzt genötigt sieht, die Notbremse zu ziehen und seinen Rücktritt vom Parteivorsitz nach den Landtagswahlen per Interview auszuschließen.

Die Sozialdemokraten und vor allem ihr Vorsitzender Gabriel sind an dem Auf und Ab nicht unschuldig. Auch wenn das SPD-Bashing mittlerweile in der Berichterstattung dazuzugehören scheint, ist „sprunghaft“ immer noch das am häufigsten genannte Attribut, wenn über Sigmar Gabriel berichtet wird. Das kommt nicht von ungefähr, denn die überraschenden Politikvorschläge ihres Vorsitzenden sind mittlerweile Legende. Dieser, oft durch den Bauchinstinkt geleitete Politikansatz ist es auch, der es dem politischen Wettbewerber wie auch der Berichterstattung verdammt einfach macht, die operativen Vorschläge zu konterkarieren.

„Haltung und Perspektive“ sind deshalb für viele SozialdemokratInnen die Sehnsuchtsworte. Dafür muss man sich gar nicht verbiegen, sondern das zusammenführen, was schon lange Thema ist. Wer weiß noch, dass SPD-Fraktionschef Oppermann letztes Jahr immer wieder aktiver Treiber für ein Einwanderungsgesetz war? Aktuell kein Thema mehr. Hat man nach der Integrationsinitiative der fünf SPD-Spitzenpolitikerinnen den Parteivorsitzenden gesehen, wie er den Ball gemeinsam mit den SPD-Ministerpräsidenten vor der Bundespressekonferenz aufnahm und Umsetzung – soweit wie möglich – ankündigte? Leider nein. Wer hat die Diskussion um die „schwarze Null“ von Finanzminister Schäuble auch innerhalb der großen Koalition geführt? Sigmar Gabriel. Dass er in der Umsetzung in einer Koalitionsklemme steckt, ist ihm nicht vorzuwerfen, sondern Realpolitik.

Schade, dass beides – Haltung und Perspektive – bei der SPD aktuell so wenig deutlich wird. Dann wäre nämlich schnell auch klar, dass das jetzt von Gabriel geforderte „neue Solidarprojekt“ mit Kita-Plätzen für alle, mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau und einer Aufstockung kleiner Renten sowie einer Abkehr vom Sparkurs keine wohlfeile Reaktion auf Meinungsforschungsergebnisse ist, und schon gar keines „Erbarmens“ durch den Koalitionspartner bedarf. Gabriel nimmt nur das auf, was in den vergangenen Monaten immer wieder von ihm und anderen SPD-PolitikerInnen vorgeschlagen wurde. So wie er aber jetzt sein Solidarprojekt mit der Flüchtlingskrise begründet, macht er es selbst der Kanzlerin einfach, ihn elegant in die Ecke zu stellen.

 


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