#Blattkritik

Was ist denn bloß beim Freitag los?

von , 18.3.10

Über die Wochenzeitung Freitag (deren Leser ich seit zwölf Jahren bin), höre ich in letzter Zeit oft die Kritik, die ich seltsamerweise auch über die Linke und die SPD oft höre: Wieso profitieren die eigentlich nicht von der Krise?

In dieser Frage steckt – neben ernster Besorgnis – ein ordentliches Quantum Häme: Was sind das bloß für Loser!? Nicht einmal unter den besten Bedingungen kriegen sie es gebacken! Sie schaffen es nicht, die Krise des kapitalistischen Systems in Abonnenten umzuwandeln.

Nun war es freilich noch nie leicht, im Kapitalismus eine gute linke Zeitung zu machen: den einen geht sie immer zu weit, den anderen nie weit genug. Aber derzeit ist die Lage wohl besonders vertrackt.

Während aus den Randbezirken der EU eine Art Brüningsche Notverordnungspolitik ins Zentrum vorrückt, erstarkt nicht etwa die Linke, sondern die politische Rechte. Was läuft da falsch? Erklären die Linken die Krise nicht richtig? Kämpfen sie nicht um ihre Klientel? Haben sie keine Vorbilder? Sind sie zerstritten? Wissen sie keine Alternative?

Genau diese Fragen könnte man auch an den neuen Freitag richten. Denn die Linke, die SPD und der Freitag – sie sind sich so unähnlich nicht.

Am 26. Mai 2008 übernahm der Journalist und Spiegel-Anteilseigner Jakob Augstein das linke Traditionsblatt und verpasste ihm eine neue Redaktionsspitze, eine neue Blattstruktur, ein neues Lay-Out und eine „crossmediale Plattform zur Meinungsbildung und Debatte“. Das war mutig und nötig. Und so bekam der nach britischem Vorbild stark geliftete Freitag bei seinem ersten Auftritt im Februar 2009 zu Recht viele Vorschusslorbeeren. Der Freitag war „lesbarer“, „interessanter“ und „lockerer“ geworden.

Doch in der Linken sind das leider vergiftete Lobeshymnen. „Lesbarer“, „interessanter“ und „lockerer“ sind auch Synonyme für Oberflächlichkeit & Anpassung. Und genau das wird dem Freitag ein gutes Jahr nach dem Neustart vorgeworfen. Das Blatt biete nichts, was nicht auch in den Feuilletons von ZEIT, SZ, FAS, FAZ oder taz stehen könnte oder dort schon gestanden hat.

Das ist ungerecht, aber nicht von der Hand zu weisen. Ich z.B. nehme den Freitag jetzt lieber mit ins Zugabteil als früher. Denn er sieht aus wie eine moderne Zeitung. Man muss sich ihrer nicht schämen. Der Freitag ist gesellschaftsfähig geworden. Und genau das finden manche doof.

Denn das Sperrige, leicht Verklemmte, das den Freitag früher auszeichnete, stand eben auch für Haltung. Die war nicht unbedingt meine, aber dieser merkwürdige Freitag war dadurch tausend Mal obstinater als all die ironiebegabten Entertainment-Gazetten der großen Konkurrenz. Der Freitag fiel aus dem Rahmen. Er war unbeholfen und auf komische Weise ernst: Man ahnte sein berserkerhaftes Potential. Er war ein Widerhaken und hätte eines Tages sogar ein Enterhaken werden können. Nun ist er ein Häkchen geworden, das sich beizeiten krümmt.

Was am neuen Freitag sofort ins Auge fällt, ist die enorme Diskrepanz zwischen der multi-medialen Präsenz seines Verlegers und der doch sehr bescheidenen Lage des Blattes. Die verkaufte Auflage ist offenbar so beschämend, dass sie seit dem 4. Quartal 2009 nicht mehr an die IVW gemeldet wird. Ein verdienter Redakteur, ein Urgestein des alten Freitag, musste auf Druck des Verlegers seinen Hut nehmen – trotz lauter Proteste und inständiger Appelle. Der Freitag-Geschäftsführer verlässt nach nur zwei Jahren das Blatt, und ein harter Kern der Freitag-Community übt sich in „innerparteilicher” Opposition. Die alte Linke schlägt mit modernen Mitteln zurück.

freitag

Es ist geradezu ein Treppenwitz der Zeit(ungs)geschichte, dass das einzige linke Blatt in Deutschland mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise über kein eigenes Ressort für „Wirtschafts- und Sozialpolitik“ verfügt.

Kann sich der Freitag in einem solchen Umfeld behaupten?

Betrachten wir das Blatt, wie es sich Woche für Woche den Lesern präsentiert: Der Freitag hat im Normalfall 28 Seiten und besteht aus drei Ressorts: Politik, Kultur, Alltag.

Das Ressort Politik erstreckt sich über 12 Seiten: Es beginnt – wie bei der ZEIT – mit zwei Leitartikeln auf Seite 1. Darüber – ebenfalls wie bei der ZEIT – eine krachbunte Fotomontage, die als Blickfang den „Schwerpunkt der Woche“ anzeigt. Dieser Schwerpunkt, ein Aushängeschild des Freitag, besteht aber zu selten aus originellen Freitag-Ideen oder herausragenden Einzelgeschichten, und zu oft aus ganz normalen Korrespondentenberichten, Kommentaren, Interviews und Graphiken – jenem Potpourri, das die Süddeutsche Zeitung jeden Tag auf Seite 2 präsentieren kann. Gerade der immer schneller rotierende Nachrichten-Hype (der selbst ein Leitmedium wie den Spiegel in Titel-Nöte stürzt) müsste den Freitag-Machern signalisieren: Wochen-beherrschende Themen gibt es nur noch selten. Die Chancen, komplett daneben zu liegen, steigen.

Auch die Seite 3 des Freitag orientiert sich an den Traditionen der Konkurrenz. Hier soll „die große Reportage“ stehen, die „Nahaufnahme“. An dieser Stelle geben die Qualitäts-Zeitungen normalerweise ihr Bestes. Doch der Freitag hat kaum Geld für Honorare, und so weicht er allzu oft auf billige (auf einem kleinen Interview beruhende) „Porträts“ aus, auf mittelmäßig geschriebene Features aus Übersee oder auf Übernahmen vom Kooperationspartner Guardian. Das geht dann oft an den Interessen der deutschen Leser vorbei. Und so muss der Freitag der bewunderten Süddeutschen Zeitung (deren Seite 3 gerade in den letzten Monaten zur Hochform aufgelaufen ist) ewig hinterher hecheln.

Der Rest des Politik-Ressorts (das über kluge und pfiffige Autoren verfügt) feiert gern die Pflichtthemen der Innen- und Außenpolitik ab, leicht garniert mit einer Essay-Seite für Gastautoren, etwas Zeitgeschichte und einer (absolut überflüssigen) Wochenchronik. All das erinnert mich an meine frühen Jahre bei der SPD-Wochenzeitung Vorwärts: Vom Ressortzuschnitt über die Machart und die redaktionellen Zwänge bis hin zur hervorragenden Qualität der politischen Karikaturisten (damals Kurt Halbritter und Loredano, heute Klaus Stuttmann!) – ein einziges Déjà-vu. (Die Ex-Leser der Woche wird der Freitag natürlich eher an die Woche erinnern).

Das zweite Ressort des Freitag, die Kultur, beginnt auf Seite 13 – und man hat das Gefühl, sie höret nimmer auf! Denn auch das abschließende Ressort, das beim Freitag tiefstapelnd „Alltag“ genannt wird, ist nichts anderes als ein angehängter „Kulturteil für alle“. Beim Vorwärts hießen diese vermischten Seiten „Journal“. Sie hatten die undankbare Aufgabe, alles, was in die anderen Ressorts nicht hinein passte, zu übernehmen. Und sie durften zeigen, dass auch Sozis Lebensart (und „Modernes Leben“) besitzen.

Die klassische Kultur (also die Theater-, Kino-, TV- oder Konzertkritik), ist beim Freitag – wie anderswo – längst zu einer „kurz+klein“-Seite geschrumpft. Erweitert wurden stattdessen die Spielräume für magazinige Beliebigkeit. Was beim Zeit- oder beim SZ-Magazin unter „Lifestyle“ oder „People“ firmiert, läuft hier unter Alltagsfreuden: Essen & Trinken, Wohnen & Leben, Familie & Garten, und all die Trends des mittelschichtigen Kulturbetriebs mit seinen unvermeidlichen Porträts und Interviews zu jeweils neuen Büchern und Filmen.

Der Freitag ist geschmackvoll und korrekt, sein aufgewecktes Lay-Out lässt selbst dröge Themen munter erscheinen (wovon die unübersichtliche und überladene Startseite von freitag.de durchaus lernen könnte). Die neuen Wissen-Seiten beackern das medizinische, psychologische und naturwissenschaftliche Feld: von der Suchtgesellschaft bis zur Klimadebatte. Aber auch sie referieren im Grunde nur, was die Großen der Branche genauso machen: Studienergebnisse vorstellen, ohne die Stichhaltigkeit dieser Studienergebnisse zu prüfen.

Auffallend – und wohl ein Markenzeichen des Freitag – ist die Aufmerksamkeit, die das Blatt den gebundenen Büchern schenkt. Bis vor kurzem gab es eine Doppelseite Bücher im Kulturteil; und eine weitere als „Leseprobe“ im Alltag. Dieser Hang zum guten Buch ist ein kluger Schachzug. Hier kann der Freitag seine finanzielle Schwäche in intellektuelle Stärke ummünzen: Denn Bücher (bzw. Vorabdrucke) senken die Kosten einer Zeitung immens.

Das Highlight des „Alltags“ ist aber die Gartenkolumne des Verlegers. Zum einen, weil man sie im Freitag nicht erwartet, zum anderen, weil man von einem Zeitungsmacher bestenfalls einen Cabrio-Testbericht erwartet (wie bei der ZEIT), zum dritten, weil man so viel verlegerische Kompetenz & Leidenschaft am ehesten auf den vorderen Seiten sehen möchte. In dieser wunderbaren Kolumne spiegelt sich das ganze Drama des begabten Blattes.

Denn Jakob Augstein ist Feuilletonist. Er ist streitbar und geschmeidig, bodenständig und witzig. Der Freitag ist sein Schrebergarten: hübsch angelegt und portioniert. Es gibt Hecken und Gemüsebeete, Oleander und Orchideen (Katrin Schuster z.B.). Aber es fehlt diesem Garten doch ein angeschlossener landwirtschaftlicher Betrieb, mit ordentlich Gülle, Traktor & Getriebeöl. Ein Blatt der Linken, in dem es naturgemäß ums Eingemachte geht, darf sich nicht in Marmeladen, Gurken & Gelees erschöpfen.

Es ist geradezu ein Treppenwitz der Zeit(ungs)geschichte, dass das einzige linke Blatt in Deutschland mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise über kein eigenes Ressort für „Wirtschafts- und Sozialpolitik“ verfügt. Und so komisch es klingt, auch da eifert der Freitag den Großen seiner Branche nach: Es gibt – seit dem Untergang der alten Frankfurter Rundschau – keinen einzigen linken Wirtschaftsredakteur mehr in Deutschland (und jedes Mal, wenn der ARD-Presseclub einen sucht, muss er Professor Hickel aus Bremen holen). Und weil das so ist, holt eben auch der Freitag immer brav seinen Professor Fülberth aus Marburg.

Dieser Text ist eine Übernahme von MAGDA, dem Magazin der Autoren.

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