von Stefan Heidenreich, 1.2.16
Wir erleben den Übergang von einer Politik der alten Medien zu einer der Netzwerke. Letzte Woche wurde Hillary Clinton gefragt, ob sie nicht verraten wolle, was sie vor Goldman Sachs-Bankern so vorträgt. Sie hat kurz gelacht, um sich ohne Antwort abzuwenden. Dass sie ihren Wählern nicht dasselbe sagt wie ihren Geldgebern, überrascht niemanden. Nun ist die Abhängigkeit vom großen Geld eines der Themen im US-Wahlkampf geworden. Bisher hat sich daran kaum jemand gestört. Warum haben plötzlich Kandidaten eine Chance, die genau diesen Missstand angreifen?
Im Netz kommt Vertrauen anders zustande in den alten Medien. Wir vertrauen unseren Freunden. Wir hören auf ihre Kommentare, lesen ihre Posts und folgen ihren Links. Der Anspruch auf Objektivität und Informiertheit, den die alten Medien und das Fernsehen stets ausstrahlten, zählt demgegenüber wenig. Die alten Autoritäten haben unser Vertrauen verloren. In Deutschland wird diese Debatte unter den irreführenden Begriffen der „Qualitätsmedien“ und der „Lügenpresse“ geführt. Der Hintergrund des Konflikts liegt im Medienwandel. Netzwerken stellen Vertrauen anders her als alte Medien. Das hat zwei Effekte. Die alten Medien feuern gegen alles, was ihnen ihre Autorität streitig machen will. Daher die seltsam wahllosen Angriffe gegen sogenannte Populisten oder gegen eine imaginierte Querfront. Je heftiger diese Angriffe vorgetragen werden, desto eher bestätigen sie den Autoritätsverlust.
Um so verlockender erscheint es den Akteuren der anderen Seite, Interessenkonflikte und Seilschaften der vorgeblichen „Qualitäts“-Journalisten genau auszuleuchten, von den oligarchischen Besitzverhältnissen vieler alter Medien ganz zu schweigen. Der tiefere Grund des Zerwürfnisses liegt nicht darin, dass die einen lügen und die anderen nicht, wie die NZZ meint, oder dass uns Werte fehlten, wie Georg Diez heute im SPIEGEL schreibt. Es liegt darin, dass Netzwerk-Plattformen Vertrauen als politische Kategorie überhaupt wieder ins Spiel bringen. Bei den politisch aktiven Nutzern der Plattformen handelt es sich nicht um eine homogene „Querfront“, sondern um eine Vielzahl von in Freundeskreisen und Filterbubbles vernetzten Clustern. Das kann nicht anders sein. Es gibt die große Öffentlichkeit nicht mehr, die sich von wenigen Stellen mit verlässlicher Information versorgen ließe. Die „Front“ ist eine Phantasie der alten Medien, die noch in großen Blöcken denken.
Politik erscheint aus der neuen Perspektive als ein großes Spielfeld, auf dem alle ihre Interessen verfolgen, Politiker wie Journalisten. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Die Politik der letzten Jahrzehnte hat uns gelehrt, dass Politiker unter dem Primat der PR und des institutionalisierten Sachzwangs nicht sagen sollen, was sie meinen oder tun wollen, sondern das, was ihnen Stimmen bringt und zugleich übergeordneten Interessen dient. Daraus haben wir gelernt, dass Sachdebatten überflüssig sind, da Programme und Versprechen ohnehin nicht politisch umgesetzt werden.
Dieser grundsätzliche Vertrauensverlust äußert sich zuerst einmal in Wahlenthaltung. Die Wahlstrategen haben das zu kompensieren versucht, indem sie Sachfragen ganz außen vor ließen und sich auf die Personalisierung der Wahlkämpfe allesamt gleich verachteter Politiker verlegt haben. Auf diese von PR-Kampagnen und Werbestrategien ausgehöhlte Politikmaschine trifft nun ein Netz, in dem Vertrauen wieder auf eine ganz andere Weise hergestellt werden kann. Die Post-Demokratie im Sinn von Colin Crouch ist vielleicht doch nicht das Ende der Geschichte.
Das entscheidende Kriterium ist dabei nicht, was eine Politikerin uns sagt. Diese Lektion haben wir gelernt. Sondern ob sie es auf eine vertrauenswürdige Weise sagt. Ob wir also glauben können, dass sie über längere Zeit und vor unterschiedlichem Publikum die gleichen Ansichten vertritt und auch dementsprechend abstimmt. Im Netz kursiert schon seit Monaten ein Vergleich zwischen dem Abstimmungsverhalten von Sanders und Clinton, der Clinton massiv Vertrauen gekostet hat.
Unter den neuen Umständen gibt es zwei Typen von Politikern, die ihr Vertrauen nicht verspielt haben: entweder die als sturen Böcke verschrienen Hinterbänkler, die über die Jahre von den sich wandelnden PR-hörigen Parteien abgestraft wurden. Oder ganz neue Köpfe in am besten neu gegründeten Bewegungen. Corbyn in England und Sanders in den USA gehören zur ersten Sorte; Iglesias, Grillo und Tsipras zur zweiten. Trump fährt einen Kurs zwischen beiden Positionen. Er kapert die Partei, von deren Establishment er sich distanziert. Und er kompensiert seine unzähligen Positionswechsel mit der vermeintlichen Unabhängigkeit.
Das in PR-Strategien verstrickte politische Personal wird ausgetauscht werden. Dabei handelt es sich um all die Figuren, die mal hier jenes, da etwas anderes erzählt haben, die immer auf ihre Berater gehört haben und damit nur in einem Umfeld allgemeinen Vertrauensverlustes überleben konnten. Vor dem Hintergrund der neuen Vertrauensbildung werden sie nicht lange bestehen. Sämtliche der als „populistisch“ diffamierten Bewegungen werden von dem neuen Typ von Politiker geführt. Wobei das „Führen“ selbst eines der großen Probleme darstellt. Da Vertrauen sich immer an Personen und so gut wie nie an Organisationen festmacht, droht ein neuer Typ von charismatischen Vertrauensträgern – ob sie nun aus dem rechten oder aus dem linken Lager stammen. Der politische Unterschied zwischen rechts und links wird dabei nicht aufgehoben, sondern neu belebt. Die PR-Politik, die sich gleich welcher Programme und Floskeln von ein und denselben Sachzwängen leiten ließ, hatte ihn aufgelöst. Diese Wiederbelebung der politischen Unterschiede verläuft nach durchaus bekannten Bruchlinien. Sie zeigen sich darin, welche Konflikten als bedeutsam bewertet werden.
Die Rechten setzen auf Identität, Feindschaft und Unterscheidungen zwischen Völkern, Religionen, zwischen uns und den anderen. Sie mobilisieren ihre Wähler mit einer Strategie der Furcht. Die Linken dagegen sehen die ungerechte ökonomische Ungleichheit als den entscheidenden Konflikt an. Wenn sie klug wären, würden sie auf eine Rhetorik der Hoffnung und der Verbesserung setzen. Das aber läuft dem über Jahrzehnte eingeübten „Miserabilismus“ vieler Marxisten entgegen, die lieber erst einmal den Untergang des Kapitalismus herbeisehnen. Wähler werden die Linken jedoch nur dann mobilisieren können, wenn sie Hoffnung verbreiten. Ansonsten gewinnen die Fraktionen der Furcht. Sie haben zwar die schlechteren Argumente, aber immer ausreichend vermögende Unterstützer an ihrer Seite, die Ungleichheit nicht gerne oben auf der politischen Agenda sehen.
Wie stellt sich die Lage der Politik von dieser Perspektive aus dar:
Bei den US-Republikanern haben die PR-Politiker alten Schlags schon aufgegeben. In Trump, der PR und Netzwerke vereinigt, haben sie ihren Meister gefunden. Zwischen Clinton und Sanders wird das Rennen noch spannend. In Europa liegt die Sache anders. Da niemand in der Brüsseler Kommission direkt gewählt wird, regieren dort Technokraten, die sich um Vertrauen noch nie geschert haben. Europa müsste erst einmal demokratisch werden. Auf der Ebene der einzelnen Mitgliedsstaaten dagegen gerät der Typus des PR-Politikers zusehends in die Defensive. Deutschland ist eine Ausnahme, aber auch nur deshalb, weil wir im ruhigen Zentrum des Sturms sitzen, den wir mit Sparzwang und Exportpolitik über unsere Nachbarländer bringen. Aber auch hierzulande zeigen sich die Effekte der neuen Vertrauensbildung. Von allen deutschen Politikern kommt vielleicht Winfried Kretschmann dem neuen Typus am nächsten. Ansonsten bleibt die Initiative den Fraktionen der Frucht überlassen, da die Linke weder Hoffnung noch Hoffnungsträger anbietet, und da die SPD nach Jahrzehnten PR-Politik jegliches Vertrauen verspielt hat. Unter diesen Bedingungen kann die CDU noch Jahre lang weiter regieren, solange sie keine Fehler macht.
Nur eines ist sicher: wer glaubt, die neuen politischen Positionen würden in „Querfronten“ oder „Tribalismen“ verlaufen, liegt falsch. Wer meint, die Effekte der Vertrauensbildung mit PR-Politik und technokratischem Durchregieren aussitzen zu können, der täuscht sich.
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