#Ausnahmeregelung

Urheberrecht · Harte Kämpfe um Ausnahmeregelungen für Blinde

von , 14.6.13

Niemand will sich offen als Gegner des besseren Zugangs für Blinde und Sehbehinderte zur Welt der Bücher outen. Doch je näher die Vertragskonferenz der World Intellectual Property Organisation (WIPO) zu Schrankenregelungen für das Urheberrecht zugunsten von Blinden (Marrakesch, 17-28. Juni) rückt, desto härter warnen unter anderem die US-Filmindustrie oder der Verband Business Europe vor zu starken Konzessionen.

Wie die bislang nicht eben progressiv agierende EU verhandeln wird, bleibt für Beobachter spannend. Denn einmal mehr wird Europas Verhandlungsmandat als Verschlusssache behandelt.

Seit mehr als vier Jahren wird unter dem Dach der WIPO, der für das geistige Eigentum zuständigen UN-Organisation in Genf, über die „Blindenschranke“ verhandelt. Im Kern soll mit dem Vertrag eine rechtlich verbindliche Urheberrechtsausnahme anerkannten Behindertenverbänden erlauben, Bücher in Blindenschrift oder anderen für Behinderte zugänglichen Formate herzustellen und über Grenzen hinweg zu verbreiten.

 

Weltblindenverband will „Bücher-Hungersnot“ abwenden

Die Kernidee des Vorschlags, der vom Weltblindenverband (WBU) gefordert wird, ist einfach: Kommerzielle Verlage sollten angemessene Entschädigungen für die „Zwangslizenzen“ bekommen. Die Behinderten sollten auf der Basis der nicht-kommerziellen Verbreitung Zugang zu Literatur und Wissen erhalten, das ihnen wegen mangelnden kommerziellen Interesses bislang verschlossen bleibt.

Auch 2013, so schrieb der WBU, haben Blinde und Menschen mit Sehbehinderungen in den Industrieländern lediglich zu 7 Prozent aller Veröffentlichungen Zugang. In Schwellenländern und den ärmsten Ländern hat der Markt ihnen bislang nur ein Prozent der Veröffentlichungen angeboten.

Die WBU ist Autor des ursprünglichen Vorschlags für die Blindenschranke, den Brasilien, Ecuador und Paraguay 2009 bei der WIPO eingebracht haben. Der kurze, zehnseitige Entwurf ist im Rahmen der bei der WIPO hart verhandelten „entwicklungspolitischen Agenda“ zu sehen. Schwellenländer wie Brasilien hatten sich mit der Agenda dafür starkgemacht, stetige Verschärfungen im internationalen Urheberrecht durch Schrankenregelungen zu flankieren, nicht nur im Bereich von Blinden, sondern auch in den Bereichen Bildung und Bibliotheken.

Schrankenregelungen für Bibliotheken und für den Bildungsbereich wurden bei der WIPO zunächst zurückgestellt. Die Blindenschranke schien die beste Aussicht auf einen Verhandlungserfolg zu versprechen.

 

Blindenschranke könnte nur erste von mehreren Ausnahmen sein

Ganz offen haben mittlerweile eine Reihe von Verbänden auf Seiten der Rechteinhaber ihre Sorge zum Ausdruck gebracht, dass eine erste globale Ausnahme für das Urheberrecht – die zugunsten von Blinden – zum Präzedenzfall für andere Bereiche, von der Weltgesundheitsorganisation bis zur UN-Organisation für Klimaänderungen (UNFCCC), werden könne.

Business Europe warnte Mitte Mai in einem Brandbrief (veröffentlicht von der Aktivistenorganisation Knowledge Ecology International hier) den zuständigen EU-Binnenmarktskommissar Michel Barnier, es gehe einer bestimmten Gruppe von Nicht-Regierungsorganisationen und Schwellenländern letztlich darum, den Schutz des geistigen Eigentums zu schwächen. Der Brüsseler Verband geht sogar so weit, eine Vertagung der Verhandlungen in Marrakesch zu empfehlen.

Auch US-Verbände wie die Motion Picture Association of America gehören nach wie vor zu den Gegnern des Entwurfs, obwohl Videoinhalte und Filme längst aus dem geplanten Völkerrechtsvertrag ausgeschlossen wurden. Der Vorsitzende des Verbands und frühere US-Senator Chris Dodd nannte in einem aktuellen Pressegespräch unter anderem mögliche Aufweichungen technologischer Schutzmaßnahmen (TPM) oder des so genannten Drei-Stufen-Tests problematisch.

 

Weitere Prüfmechanismen könnten Effekt der Ausnahmeregelung vermindern

Der Drei-Stufen-Test, eine allgemeine Regelung zu Urheberrechtsausnahmen in der Berner Konvention, sieht vor, dass die Rechte des Urhebers nur in Sonderfällen beschränkt werden dürfen (1), die normale Verwertung nicht beeinträchtigt werden darf (2) und die berechtigten Interessen des Autors nicht in unzumutbarer Weise verletzt werden dürfen (3). Längst ist die Interpretation des Tests Gegenstand einer breiten rechtspolitischen Diskussion, in der selbst Fachleute zu mehr Augenmaß raten.

Gerungen wird bei der WIPO nun darum, ob der Test für die eigens formulierte Blindenschranke obendrein zur Anwendung kommen muss. Zu den Befürwortern einer strikten Schrankenregelung gehört neben der Motion Picture Association of America auch die EU-Kommission, die, ebenso wie übrigens die US-Regierung, von Blindenverbänden und Aktivisten immer wieder als Bremser der Ausnahme für Blinde kritisiert wurde.

 

Europäische Kommission verhält sich widersprüchlich

Die Europäische Blindenunion (EBU) rief im April nochmals den Petitionsausschuss des Parlaments an, um auf die widersprüchliche Haltung der EU-Kommission aufmerksam zu machen: Einerseits unterstützt Binnenmarktskommissar Barnier den Vertragsabschluss. Andererseits zögere die Delegation in Genf das Verfahren stets mit der Forderung weiterer Auflagen, etwa aufwändigen Prüfungen zur kommerziellen Verfügbarkeit, oder dem Verbot, blindentaugliche Versionen über Grenzen hinweg direkt an Betroffene zu verteilen. Barnier verwies die EBU postwendend an die Mitgliedsstaaten: diese erteilten das Verhandlungsmandat.

 

Parlamentarier fordern Zugang zum Text des Verhandlungsmandats

Mitglieder des Europäischen Parlaments, die parteiübergreifend immer wieder die Forderungen der Blindenverbände unterstützt haben, nennen Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich als Bremser. In ihrer jüngsten Debatte Mitte Mai forderten die Parlamentarier ultimativ Zugang zum Text des Verhandlungsmandates, das als Verschlusssache klassifiziert ist.

Die Berichterstatterin, die österreichische Grüne Eva Lichtenberger, sowie die zuständigen Schattenberichterstatter der Fraktionen, sollen kurz vor dem Start der Verhandlungen nun doch noch Einblick erhalten. Zum Ärger der Parlamentarier erschwert der Rat die späte Einsichtnahme jedoch dadurch, dass die Fraktionsvertreter alle zur selben Zeit erscheinen sollen.

Angesichts all der taktischen Spielchen muss man sich wohl fragen, ob die bevorstehende Vertragskonferenz unter einem guten Stern steht. Am 28. Juni 2013 steht das Ergebnis fest. Ein Scheitern wäre ein großer Rückschlag für die WIPO – und wohl auch eine Blamage für die, die sich gegen die Empfehlungen der Betroffenenverbände gewandt haben.
 

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