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Teletext Online: Eine Paradoxie im Medienwandel?

von , 16.10.12

Nahezu alle großen deutschsprachigen und frei empfangbaren Fernsehsender unterhalten spezielle Subsites für Teletextangebote auf ihren Webpräsenzen. Diese sind jedoch keine – den technischen Möglichkeiten folgend – an die Multimedialität des Internets angepasste Inhalte. Sie spiegeln nahezu Eins-zu-eins das graphisch beschränkte Pixel-Layout am Fernsehbildschirm wider. Alleine die Existenz dieser Angebote bedingt eine Hinterfragung: Warum diese augenscheinliche Paradoxie im Medienwandel? Ist das Aufschalten von Teletextseiten ein weiterer, gerne zitierter Beleg für die Netzfremdheit der klassischen Massenmedien?

Teletext des ORF

Teletext des ORF, Foto: Washington & Jefferson College, CC BY-NC-SA

Trotz veraltetem Design, simplen Funktionen und oberflächlicher Informationsversorgung erfreut sich der Teletext auch 2012 großer Beliebtheit. Erst im Sommer drängte der wenig beachtete Kanal medialer Information in die Öffentlichkeit: Die ARD bot über vier Wochen Teletext-Kunst ab der Tafel 770. Nicht ausschließlich über das Fernsehsignal, sondern auch online im Teletextangebot des Senders. Die technische Beschränktheit auf acht Farben bei geringer Auflösung führte so nicht nur zu aktueller künstlerischer Inspiration, sondern offenbar auch zur konstanten Immunität der Nachfrage gegenüber dem, was das Internet an Vielfältigkeit, Gestaltungsoptionen und Interaktivität in enger Nachbarschaft zu den Teletext-Adaptionen für den Nutzer bereithält.

Entwicklung  des Teletextangebots

Die Teletext-Technik selbst wurde, wie das Internet, von einem Engländer erfunden und in den 1970er Jahren in Großbritannien entwickelt. Dort begannen die BBC und das privat-kommerzielle ITV 1976 nach ersten Tests, Teletext-Dienste mittels des World Teletext Systems in der Austastlücke des Fernsehsignals auszustrahlen. Der Österreichische Rundfunk startete 1980 das erste kontinentale Angebot. In Deutschland gab es 1975 die ersten Teletext-Tests beim Bayerischen Rundfunk; ein bundesweiter Regelbetrieb des programmerläuternden, -begleitenden und –ergänzenden Textangebots kam  jedoch erst 1990 nach zehn Jahren Feldversuch im Spektrum der Tafeln 100-899 zustande, der von medienpolitischen Reibereien zwischen dem BDZV und den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten begleitet wurde. Überregionale Tageszeitungen lieferten in der Folge „fernsehähnliche Informationsaufbereitung“ / „elektronische Presse“ von 1980 bis 1990 als Texttafeln zu.

Bereits um die Jahrtausendwende, mit dem Beginn der durch die Digitalisierung im Medienbereich fortschreitenden Integrationsbewegung der medialen Oberflächen, gab es erste Anläufe, den Teletext durch einen moderneren Standard abzulösen. Aber ebenso wenig, wie es TeleWeb vermochte, gelang es der Multimedia Home Platform als offenem Standard für das digitale Fernsehen, den Teletext zu ersetzen. 2008 schrieb Stefan Geese für die ARD-Mediaperspektiven über den Teletext von einem grundsätzlich unterschätzten Medium, mit einer Vielzahl vermeintlicher Schwächen gegenüber weiterentwickelten Fernseh-Ersatzdiensten oder dem Internet allgemein. Auch 2012, bedient über die anhaltende Multiscreen-Debatte fortschreitender TV-Hardwareentwicklung mit „Hybrid Broadcast Broadband Television“ (HbbTV) und dessen theoretische Optionsvielfalt, entsteht ein neuer Versuch, Nutzer für fernbedienungsgesteuerte Multimedialität zu gewinnen. Im Konjunktiv wird über „revolutionierende Verschmelzungen“ geschrieben. Fakt bleibt, dass multimedial angereicherte Informationsdienste über mehr Möglichkeiten der Informationsaufbereitung und -tiefe verfügen. Doch eine automatisch entstehende, adäquate Nachfrage erfahren sie deshalb nicht.

Stabil intensive Nutzung des Teletexts

Denn der Informationsdienst der markenstarken Fernsehsender ist trotz beständig wachsender Internetnutzung nicht kleinzukriegen, respektive zeigen sich die Teletextnutzer resistent gegen vermeintlich bessere Angebote, die die als Fernsehzeit definierte Nutzungszeit nachhaltigen Veränderungen unterziehen.

Die Nutzung der Teletextangebote steigt beständig an, unabhängig von Altersgruppen, jedoch von mehr Männern als Frauen genutzt. Die Startseiten haben die höchsten Nutzungsraten; Programminformationen, Sportnachrichten / Live-Ticker, Nachrichten und Wetter sind die beliebtesten Inhalte.

Die Einfachheit seiner Bedienung geht offenbar so weit, dass die Nutzung von Teletextangeboten nicht nur Teile der Fernsehzeit absorbiert, sondern auch so attraktiv ist, parallel oder exklusiv im Netz stationär oder mobil genutzt zu werden. Der Erfolg des Teletexts spricht in seiner Entwicklung gegen den Erfolg von technologischen Weiterentwicklungen, die das intensive Informationssuchen und –verarbeiten als Innovation im Markt zu verankern suchen, und für die Adaption im Internet, wenn man sich für strategische Entscheidungen auf ex-post erhobene Statistiken verlassen möchte.

Teletext im Medienwandel

Das, was seit den 1990er Jahren unter „Medienwandel“ vornehmlich verstanden wird, ist auf kommunikationstechnologische Entwicklungen fokussiert – nicht zuletzt durch die Marketinganstrengungen der Hard- und Softwareindustrie. Diese Perspektive ist jedoch für die kritischen Massen, die es für eine erfolgreiche Verbreitung benötigt, zu vernachlässigen. Die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten bleiben konstant. Die Verbraucher interessieren sich in der Regel weniger für spezifische Technologien, als vielmehr für einfache und erweiternde Nutzungsmöglichkeiten. Damit steht der Medienwandel für eine Ausfaltung von Optionen interpersonaler über gruppen- bis hin zu massenmedialer Kommunikation in den Bereichen der Öffentlichkeit, der Halb-Öffentlichkeit (Gruppenkommunikation) und der Privatsphäre. Das Internet steht gemeinhin als ein die klassischen Massenmedien absorbierender, hybrider Kommunikationskanal. Im Zuge dieser Logik dürfte der Teletext, zumal durch alternative Substitute bedrängt, seinen Zenit längst überschritten haben und nicht weiter der Rede wert sein.

Doch die Kommunikationsrealität folgt diesen Annahmen nicht. Die zentrale Herausforderung im Medienwandel ist vielmehr das Erkennen von Nutzer-Bedürfnissen und deren Umsetzung auf neuen, digitalen Kommunikationsoberflächen. Eine zentrale Grundannahme ist dabei das Gewahrwerden von so genannten Niedrigkostensituationen in Kommunikations- und Medienumgebungen der Individuen. Insbesondere massenmediale Informations- und Unterhaltungsangebote unterliegen einer nicht-optimalen Entscheidungsfindung, die dazu führen kann, Handlungsfolgen als gering einzustufen. Dieser Umstand beeinflusst die Auswahl und Ausführung von Handlungen.

Theoretisches Modell zum Medienwandel

Auf den Teletext Online bezogen, führt diese Erklärung zu der These, dass der Erfolg von Kommunikations- und Medienangeboten im Medienwandel weniger im Neuen / Aufwändigen zu finden ist, sondern vielmehr in den Erweiterungen und dem Interpretieren des Gewohnten als zuverlässige Unterstützung in der Erfüllung von Gratifikationserwartungen unter einem spezifischen Zeitregime.

Die Entwicklung von Kommunikationsmitteln bis heute hat gezeigt, dass sich hauptsächlich diejenigen Angebote im Medienrepertoire der Gesellschaft durchsetzen, die eine komfortable und damit transaktionskostenarme Verarbeitung nach spezifischen Zielvorstellungen erlauben. Das Medienzeitbudget wird aufgrund der Optionsvielfalt knapper, und komfortable Bedienung / Nutzung von Kommunikationsmitteln dadurch bedeutender. Medienangebote und Kommunikationsdienstleistungen sind grundsätzlich darauf ausgelegt, zur Reduktion von Transaktionskosten beizutragen. Der Transaktionskostenansatz ist auch im „Minimalprinzip“ angelegt – einem wirtschaftlichen Grundsatz, nach dem ein bestimmtes Ziel unter Einsatz geringst möglicher Mittel erreicht werden soll. Die zu überwindende Dissonanz ist das dem Minimalprinzip gegenüberstehende Bedürfnis nach Optionsvielfalt. Für die Entwicklung und Markteinführung digitaler Medien- und Kommunikationsangebote steht häufig die Komplexität der Anwendungen einem Erfolg im Wege. Auch das Inbetriebnehmen und Aufrechterhalten des Betriebs können einschränkende Faktoren darstellen.

Menschen gelten grundsätzlich als bedingt rationale Individuen. Sie wählen zur Bedürfnisbefriedigung aus angemessen leicht verfügbaren Alternativen aus, ohne alle Optionen zu überprüfen, und ziehen einfache Wege vor. Den Transaktionskosten / dem Aufwand stehen Opportunitätskosten anbei. Sie beschreiben den entgangenen Nutzen durch die Nutzung eines bestimmten Angebots. In Bezug auf mediale Information kann hier „Zeit“ als Faktor angeführt werden. Entgangener Nutzen kann also mit hohen Transaktionskosten gleichgesetzt werden. Das führt am Beispiel der netzbasierten Teletextangebote von TV-Sendern zur theoretischen Bestätigung ihrer Aufschaltung. Teletext Online ist zeitsparend, befriedigt Bedürfnisse und ist dem Nutzer zudem vertraut. Alternative Informationsangebote sind vor dem Hintergrund der nachgefragten Informationstiefe und -schnelligkeit der Verfügbarkeit transaktionskostenreich und verlangen mehr Verarbeitungszeit.

Teletext Online ist weniger Paradoxie, als vielmehr gleichmäßige Entwicklung im Medienwandel

Nicht nur nachvollziehbar also, dass Fernsehveranstalter ihre Teletextseiten im Netz nahezu unverändert anbieten, es drängt sich darüber hinaus die Frage auf, ob ein technologischer Determinismus zur Erklärung des Medienwandels, der Integrationsbewegung der Kommunikationsmittel qua Digitalisierung, ausreichend ist. Die Handlungsorientierung in der Nachfrage folgt vielmehr übergeordneten Präferenzen wie der stabilen Bedürfnisbefriedigung. Beispiele für so genannte „Misplaced Technologies“ existieren zur Genüge. Die Reduktion von Komplexität und Aufwand aus der Perspektive des Mediennutzers ist die Konstante für Erfolg im Medienwandel. Dabei ist „Zeit“ die für eine graduelle Bewertung von Erfolg entscheidende Variable. Teletext, Online und klassisch als Ergänzung zum Fernsehsignal ist durch Einfachheit, Vorwissen, Ort und definiertes Zeitfenster ein ausgereiftes Medienangebot und bis heute nicht substituierbar, und damit keine Paradoxie im Medienwandel. Teletext Online steht für die Umlegung von Bedürfniserwartungen der Nutzer auf einer alternativen Oberfläche. Die Einfachheit im Kontext mit Informations- und Kommunikationserwartungen erweitert nicht nur die bisherige Erkenntnis, dass Netzadaptionen spezifische Darstellungsanpassungen zwingend voraussetzen, sie wird auch bereits an anderem Ort als strategisches Kalkül verwendet.

So mag es auf den ersten Blick paradox klingen, im Zeitalter der Multimedialisierung den Teletext mit seinen rudimentären Ausprägungen in Informationstiefe und -darstellung nahezu Eins-zu-eins im Internet zu spiegeln, doch genau das zeigt seinen Mehrwert auf.

Epilog: Delineare Wirkung des Erklärungsmodells zum Medienwandel

Unbedingte Effekte des theoretischen Modells zum Medienwandel anhand des Beispiels Teletext Online sind dennoch nicht zu erwarten. Die Wirkungsmacht des – verkürzt benannt – Transaktionskostenansatzes mit dem Credo des Erfolgs durch Verminderung von Anbahnungsaufwand und Unsicherheiten zur Erreichung von Gratifikation findet seine Limitierung über das Konstrukt des „Homo ludens“, des spielenden Individuums. Wann immer also neue Kommunikationsmittel eingeführt werden, geht ein zeitlich unbestimmter Homo-ludens-Effekt einer Nachfrageberuhigung voraus. Wie lange HbbTV imstande sein wird, den Teletext Online vorübergehend als Auslaufmodell erscheinen zu lassen, ist nicht exakt zu bestimmen. Die multimedialen Vorläufer des Teletexts sind ähnlich ambitioniert gestartet und wurden durch euphorisches Marketing und medienpolitischen Willen begleitet.

Ein vergleichbarer Effekt ließ sich im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands im Sektor der Zeitungsverlage messen. Stiegen nach der Wende die Auflagenzahlen rasant, fielen sie im Lauf von drei Jahren (1989-1991) wieder auf ein der Bevölkerungszahl entsprechendes Verhältnis zeitungslesender Haushalte.

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