#Feuilleton-Debatten

Strategischer Fatalismus

von , 15.3.10

Dieser Text ist eine direkte Fortsetzung der Carta-Beiträge von Gundolf S. Freyermuth und Stefan Münker. Münkers Analyse endet mit der Frage: „Und was wäre, wenn die Überforderungsrhetorik (Schirrmachers) nur inszeniert wäre – und hinter ihr der Versuch einer Selbstermächtigung als Deutungs- und Orientierungsinstanz steckte?“

Hier meine (nur ganz leicht zugespitzte) Antwort auf diese Frage:

Einmal angenommen, das Internet wäre ein interessantes Land: kaum zugänglich und sehr geheimnisvoll. Es gäbe dort riesige Märkte und zahllose Menschen. Wie öffnet man so ein Land? Wie geht man vor?

Glücklicherweise gibt es ein Rezept. Es heißt: Strategischer Fatalismus. Mit diesem Rezept kann fremdes Terrain in drei Schritten erobert werden:

1. Dämonisieren

2. Brücken bauen

3. Kontrollieren

Strategischer Fatalismus ist nicht nur mit Blick auf das Netz, sondern generell eine erfolgreiche Kulturtechnik der Herrschaftserlangung.

Phase 1:

Dämonisieren.

Am Anfang gibt es nur eins: Volles Rohr! Frontalangriff!! Auf keinen Fall ausgewogen argumentieren, null Verständnis zeigen, eigene Fehler grundsätzlich abstreiten, einfach drauf hauen! Entscheidend ist die maximale Lärmerzeugung. In Phase 1 regiert der Dauer-Alarmismus. Drohendes Unheil wird lustvoll ausgemalt, Katastrophen werden heraufbeschworen, der Niedergang der Kultur wird flächendeckend verkündet. Die Parole lautet: Das Internet macht uns kaputt. Es zerstört unsere Privatsphäre und macht gläserne Menschen aus uns. Algorithmen kommen über uns wie einst die sieben Plagen über Ägypten. Sie herrschen über den Planeten wie böse Wesen aus fremden Galaxien. Rund um die Uhr spähen sie uns aus, zocken uns ab, manipulieren uns. Es gibt kein Entrinnen.

Phase 2:

Brücken bauen.

Der Frontalangriff der ersten Phase dient vor allem dazu, das gegnerische Lager in Ruhe sondieren und inspizieren zu können. Es ist ein klassisches Ablenkungsmanöver. Die Angreifer können jetzt sehen, wer sich von ihrem Feldgeschrei beeindrucken lässt, wer hartleibig bleibt, und wo die inneren Brüche des gegnerischen Lagers verlaufen. Wo könnten die ersten Pflöcke eingeschlagen werden?

In Phase 2 geht es darum, die noch weitgehend unbekannte Landschaft zu kartieren, Landungs- und Stützpunkte zu markieren, gangbare Pfade anzulegen und das Spielfeld aufzuteilen. Während in großer Zahl weiterhin Blendgranaten verschossen werden, kommt es zu ersten Kontakten ins feindliche Lager. Debatten werden angezettelt und in ganz bestimmte Richtungen gelenkt. Der öffentliche Dialog simuliert signalisiert dem gegnerischen Lager Respekt. Es wird gezielt gelobt, gebauchpinselt und getadelt.

Bis hierher könnte man sich die Strategie wie eine gut gebaute Titelgeschichte des Spiegel vorstellen (oder wie ein Buch von Frank Schirrmacher). 20(0) Seiten lang wird alles niedergemacht und katastrophal gefunden, um ganz zuletzt eine überraschende Kehrtwende zu vollziehen und Auswege aus der Misere anzudeuten. Zu deutsch: Wenn alle absolut kirre sind, ist es Zeit, ordnende Vorschläge zu machen, Wankelmütige herüberzuziehen, Themen und Orte zu besetzen, vorzeigbare Mitspieler zu gewinnen, Positionen auszubauen.

Dabei darf eines nicht vergessen werden: Die in Phase 1 stark verängstigten Teile des eigenen Lagers müssen spätestens jetzt mit der schwierigen Botschaft konfrontiert werden, dass nur eine Annäherung an die gemäßigten Teile des Internets das Fremde wirklich unter Kontrolle bringen kann.

Phase 3:

Kontrollieren.

In der letzten und entscheidenden Phase werden Nägel mit Köpfen gemacht. Nun beginnt die eigentliche Okkupation. Das gegnerische Lager wird auseinander dividiert, und die nicht integrierbaren Teile werden ausgesondert, abgestempelt oder verboten. Es werden neue Spielregeln implementiert und drakonische Strafmaßnahmen angedroht.

Mitspieler aus dem gegnerischen Lager, die in Phase 2 kollaborierten, werden abgefunden, mit angenehmen Posten ruhig gestellt oder fest in die eigenen Kontroll-Eliten integriert.

Das Alte kann nun losgelassen werden, das Neue ist unter Kontrolle. Die Mission des Strategischen Fatalismus hat ihr Ziel erreicht.


Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.