von Robin Meyer-Lucht, 13.12.09
Herr Engeln, der F.A.Z. ist zu entnehmen, dass die IT-Branche einem Leistungsschutzrecht für Presseverlage im Internet „skeptisch“ gegenüberstehe. Wieso eigentlich?
Stefan Engeln: Beim Leistungsschutzrecht für Verlage geht es eigentlich nicht darum, dass diese zukünftig besser gegen heute bereits illegale Kopien im Internet vorgehen können. Im Kern fordern die Zeitungsverlage mit dem Leistungsschutzrecht ein völlig neues Verwertungsrecht: Sie wollen in Zukunft auch an urheberrechtlich zulässigen Zitaten und Snippets mitverdienen. Aggregatoren wie Google News oder Rivva sollen abgabenpflichtig werden, so wie etwa Radiosender für die Musik in ihrem Programm an die Plattenfirmen zahlen müssen. Das ist aber sachwidrig: Aggregatoren verwerten nicht die Inhalte der Verlage, sondern erschließen sie überhaupt erst.
Sie sind aber Jurist bei einem Internetanbieter. Wie kommen plötzlich die Provider ins Spiel?
Die Pläne der Verlage gehen ja weiter. Mit dem Leistungsschutzrecht soll die juristische Basis geschaffen werden, um am Ende auch bei den Providern zu kassieren. Das ist das eigentliche Ziel der Leistungsschutzambitionen der Verlage: Die Internetprovider sollen an die Presseverlage zahlen, weil sie angeblich über den Internet-Zugang an den Inhalten der Verlage mitverdienen. Es soll eine Leistungsschutz-Einzugszentrale geschaffen werden. Diese „LEZ“ soll dann bei den Providern eine Art „Solidaritätszuschlag für Holzmedien“ einsammeln. Letztendlich wird natürlich jeder Internet-Nutzer mit diesen zusätzlichen Kosten belastet werden.
Beim Leistungsschutzrecht geht es also eigentlich um eine Verleger-Abgabe auf Internetzugänge?
Ja, das kann man so formulieren. Die Internetprovider sollen zu einem Inkassoinstitut für die Verleger umfunktioniert werden. Das ist zumindest meine Befürchtung. Weil die Nutzer nicht für die Verlagsinhalte zahlen wollen, sollen sie auf dem Umweg der Internetprovider nun indirekt zur Zahlung gezwungen werden.
Nach einem freien Wettbewerb, zu dem sich gerade auch Verlage gerne bekennen, klingt das nicht.
Die Leistungsschutzabgabe wäre eine „Zwangskulturflatrate“ auschließlich zu Gunsten der Zeitungsverleger. Der einzelne Internetnutzer könnte sich dem nicht entziehen. Es wäre meine Erwartung, dass Verleger und Politik diesen Fakt auch klar benennen. Im Moment scheint aber eher das Ziel, dass die Internetnutzer durch ein intransparentes Verfahren nicht merken sollen, dass sie letztlich für das Leistungsschutzrecht bezahlen.
Wäre es nicht nur fair, wenn die Internetprovider ihren Teil zur Finanzierung von Journalismus beitragen?
Das Grundproblem scheint mir zu sein, dass die Verleger mit der andersartigen Ökonomie des Internets nicht zu Recht kommen. Im Print-Bereich zahlt letztendlich nicht der Leser die Zeitung, sondern der Anzeigenkunde. Das relativ knappe und damit teure Gut ist der Anzeigenplatz. Im Internet gibt es ein Überangebot an Werbeplätzen. Also kann die Refinanzierung – jedenfalls derzeit – nicht vollständig über Online-Werbung erfolgen. Das knappe Gut im Internet aber ist die Aufmerksamkeit des Nutzers. Wie bringt man nun den Internetnutzer dazu, seine knapp bemessene Aufmerksamkeit dem Angebot eines Verlages zuzuwenden und dafür – zusätzlich – womöglich noch zu bezahlen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Verleger auf diese Frage keine Antwort haben. Und das Leistungsschutzrecht soll die Verleger – und nur diese – davon entbinden, hier eine marktwirtschaftliche Lösung zu finden, die der Leser als Kunde akzeptiert.
Immerhin könnten auch Blogger von einem Beitritt in die „Verwertungsgesellschaft der Verlage“ profitieren.
Das wäre natürlich anzustreben, aber wahrscheinlicher ist, dass nur die Großen der Medienbranche profitieren. Das Leistungsschutzrecht wird ja mit der besonderen Leistung von Verlegern begründet. Damit liegt nahe, dass das Leistungsschutzrecht an eine Tätigkeit als Verleger gebunden ist. Hierfür müssten die entsprechenden Online-Angebote aus einer unternehmerischen Tätigkeit entstanden sein, der Unternehmer muss Verträge mit den Urhebern abgeschlossen haben und ein entsprechendes wirtschaftliches Risiko tragen. Viele Beiträge im Netz werden aber – insbesondere bei Bloggern – nicht im Rahmen eines unternehmerischen Geschäftsbetriebes erstellt. Dafür würde dann auch kein Leistungsschutzrecht gelten.
Google könnte Google News in Deutschland einfach abstellen, wenn es ihnen mit den Leistungsschutzabgaben zu bunt wird. Haben die Provider eigentlich auch einen solchen Hebel?
Man könnte den Internetnutzern theoretisch wieder eine Wahlmöglichkeit eröffnen: Möchte er die Leistung der Verleger in Anspruch nehmen oder nicht? Wenn ja, dann würde er einen Zuschlag in Höhe der Leistungsschutzabgabe zahlen. Wenn nein, dann könnten auf Wunsch des Nutzers Verlegerseiten für den Zugriff gesperrt werden.
Andere Provider haben aufgrund jüngerer politischer Initiativen ja auch bereits eine Sperrinfrastruktur mit Millionenaufwand fertig gestellt, die für diesen Zweck nur leicht modifiziert werden müsste. Nur so könnte der Internet-Nutzer noch entscheiden, ob er Verlagsangebote nutzen will und den „Holzmediensoli“ für Leistungsschutz-Verleger zahlt oder ob er dies eben nicht möchte.
Sie schlagen so etwas wie „Netzsperren für Verlagsangebote“ vor ?
Das ist, um es deutlich zu sagen, keine wünschenswerte Aussicht, aber: Die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht für Verlage bricht auch in vielerlei Hinsicht mit den Grundprinzipien des Internets. Es soll eine Zwangseinzugsstruktur für Internetnutzer geschaffen werden. Die Verleger behaupten außerdem, die Bereitstellung eines Internetzugangs sei bereits eine gewerbliche Nutzung ihrer Angebote. Wenn sich diese Auffassung durchsetzt, dann brauchen wir über Themen die „Netzneutralität“ und „inhaltsneutrale Bereitstellung“ gar nicht mehr zu unterhalten. Das neue Verwertungsrecht wäre zudem ein Anschlag auf die freie Verlinkung im Internet und ebenso auf das Zitatrecht.
Angesichts solch eines fundamentalen Eingriffs muss man zumindest darüber nachdenken, wie für den Internet-Nutzer Wahlmöglichkeiten geschaffen werden könnten, um die Internetnutzer vor einer aufgedrängten, angeblichen Nutzung der Verlagsangebote und der damit verbundenen Abgabe zu schützen. Der Kollateralschaden eines Leistungsschutzrechtes wird ohnehin immens sein.
Stefan Engeln ist Jurist und arbeitet in der Rechtsabteilung der 1&1 Internet AG.