#Dialog

Statt Thesen zum Journalismus: Mein Berufszweig, die letzten Jahre, was kommt und worüber ich nachdenke

von , 26.8.13

 

Shifts, Mark Lee Hunter, Foto: Anna Lena Schiller, CC BY-NC-ND


Nur ein weiteres Journalismus-Ideen-Whiteboard (Foto: Anna Lena Schiller, CC BY-NC-ND 2.0)

 

Statt eines Intros: Eine Anekdote

Andreas Kluth ist an allem schuld. Der heutige Berlin-Korrespondent des Economist war damals für das Magazin im Silicon Valley und schrieb im April 2006 eine Titelgeschichte mit dem unauffälligen Namen “Among The Audience“. Darin ging es um den digitalen Wandel, um Blogs, Podcasts und die Ablösung der Massenmedien durch persönliche und partizipatorische Medien.

Ich war gerade einige Wochen auf der Journalistenschule, in meiner Friedrichshainer WG gab es neben einem Kohleofen auch Internet per Modem-Verbindung (oder alternativ ein immer viel zu weit entferntes offenes Wlan). Und ja: Um sich nachrichtlich zu informieren, las man wirklich noch täglich die Zeitung oder surfte höchstens mal zu Spiegel Online.

Was Kluth schrieb, war so spannend und unerhört logisch zugleich, dass es mein berufliches Leben veränderte. Wenn man so möchte, wurde der von mir bereits entdeckte persönliche, damals noch überschaubare Teil-Lebensraum Internet zum Raum meiner journalistischen – und damit auch beruflichen – Zukunft. Dem Idealbild, dass der Journalismus ein partizipatorischer werde und sich ihm, aber auch der Gesellschaft dadurch eine neue Welt eröffnen würde, folgte ich von nun an in der Hoffnung, dazu beitragen zu können.

 

Erster Akt: Ein Fehler, der kein Sprungbrett ist, ist ein Fehler

Ich erzähle das natürlich wegen meines Hangs zum Anekdotisieren, aber auch, weil sich darin der Kern meiner Rastlosigkeit und Unzufriedenheit mit der Entwicklung des Journalismus in Deutschland befindet. Idealbild und Utopie prallten nach 2006 häufig mit den strukturellen, wirtschaftlichen und psychosozialen Realitäten der Medienbranche zusammen. So viele Branchenjahre kommen mir verschenkt vor, zumindest die bis 2010.

Eine kleine Liste, die quasi jeder Online-Journalist aufstellen könnte: Die mangelnde Investitionsbereitschaft und die schlechten Arbeitsbedingungen, die wir lange im Online-Bereich erlebten (oder noch erleben). Die verschwendete Zeit, die Blindheit der Verlage in Sachen Medienwandel und der tickenden Uhr. Erzählte und erlebte Anekdoten, wie die von der Forderung von Print-Redakteuren, doch bitte den Onlinern spezielle Kantinenzeiten zuzuweisen, weil diese mittags immer so viele Plätze besetzten. Wie die vom Print-Ressortleiter, der sich beharrlich weigerte, seine Redakteure mit den Online-Kollegen auch nur in Kontakt treten zu lassen, da diese dann keine Zeit für den “Goldrand“ hätten, der ihre Texte so besonders machte.

All das wird wahrscheinlich einmal ein amüsanter Teil mancher Memoiren sein, sorgte aber für viel Frustration bei denen, die im Internet-Journalismus arbeiten. Bei den selbsternannten Utopisten sowieso. Und doch war es auch so, dass ich selbst zu oft zu überzeugt von meiner Sache war. Einen Tick zu mitleidig geblickt habe, wenn mir Menschen von der Print-Zukunft erzählten und sich über dieses seltsame neue Medium wunderten. Wenn man so möchte, haben die in analog und digital gespaltenen Redaktionen branchenweit darin versagt, einander Brücken zu bauen – und auch, wenn es persönlich unbefriedigend ist: die Frage, wer die größere Schuld trägt, interessiert höchstens einmal Medienhistoriker.

“Eure Branche kommt mir so vor, als würden überall gleichzeitig Bergbau-Kumpel und Solarzellen-Produzenten unter einem Dach arbeiten“, sagte mir einmal ein guter Freund. Er hat es gut getroffen, finde ich. Über die Implikationen dieser Metapher möchte ich allerdings gar nicht nachdenken.

 

Zweiter Akt: Sie nennen es Vertrauen

Vieles von dem, was derzeit geschrieben wird, ist mir zu abstrakt und zu bekannt. Ich habe im Moment keine Lust mehr auf Thesen zur Zukunft des Journalismus, die so häufig im luftleeren Raum hängen. Auch wenn ich natürlich meine Selbstverständlichkeiten zur Zukunft einer lädierten Profession aus dem Jahr 2010 wärmstens empfehlen kann (an dieser Stelle bitte freundliches Verkäufer-Smiley dazu denken).

Wir sollten an die Arbeit gehen, und der erste und wichtigste Schritt heißt schlicht: Vertrauen schaffen.

Zwischen Online und Print in dem Integrationsprozess, der überall in Gang gekommen ist. Zwischen den Chefredaktionen und Geschäftsführungen auf der einen, und den Belegschaften auf der anderen Seite. Zwischen den Journalisten und den Bürgern, die ja die Menschen sind, denen wir Rechenschaft schuldig sind und die mit Aufmerksamkeit und Geld unsere Zukunft sichern sollen.

Nicht ein Quartalsergebnis oder ein Verkauf, sondern das immer tiefer sinkende Vertrauen in die Medien ist die furchteinflößendste Nachricht, die unsere Branche in den letzten Monaten erreicht hat. Ironisch, dass dieser letzte Punkt bei der aktuellen Debatte zur Zukunft kaum vorkommt. Und natürlich geht es beim Begriff Vertrauen auch darum, das Abweichen von den altbekannten Pfaden als Chance zu begreifen.

Vielleicht spricht da wieder der Journalismus-Utopist in mir, aber ich finde, ohne den Punkt des Vertrauens sind alle schönen Blaupausen für die Antwort der Verlagsmedien auf die Digitalisierung hinfällig. Und Vertrauen hat meiner Meinung nach mit Dialog, Partizipation und Offenheit zu tun. Den Dingen also, die mich schon 2006 begeisterten.

 

Dritter Akt: Statt der Zukunft der Tageszeitung

Ich kann nichts zur Zukunft der Tageszeitung sagen, da ich davon keine Ahnung habe. Ich war nie bei einer angestellt. Aber ich lese einige Tageszeitungen mit Vergnügen. Sie haben auf Papier oder im digitalen Bundle eine Zukunft, doch wie lange diese dauern und wie schmerzhaft der Schrumpfungsprozess wird – ich weiß es nicht.

Ich habe auch keine Lust auf neue Thesen. Ich kann nur ein paar Überlegungen zum digitalen Journalismus aufschreiben, die ich mir derzeit mache (die Fettungen dienen dem besseren Überblick).

Ich frage mich, wie man mehr btw13-Blog und Jörg Lau in die politische Berichterstattung bringt, denn mein ideales Online-Politikressort erinnert mehr an ForeignPolicy.com oder TheAtlantic, als an das erste Buch einer Tageszeitung.

Ich glaube weiterhin an Transparenz bei der Arbeit/Recherche und den Journalismus als Prozess, denn darin steckt etwas Wichtiges für das Vertrauen und die Glaubwürdigkeit unserer Profession. Ich habe aber selbst noch keine Ideallösung, wie man diesen so spannend gestaltet, dass Menschen daran teilhaben wollen – denn darin steckt etwas Wichtiges für die Zukunft der Relevanz und Refinanzierung. Natürlich glaube ich an Dialog, an einen, der womöglich in einen Leserclub mündet – denn ein Preisschild auf Inhalte zu kleben, ist mir persönlich zu wenig.

Ich habe keine Markenangst vor einer Buzzfeedisierung in Deutschland, im Gegenteil – denn sie bedeutet ja nicht, dass sie alles andere ablöst. Ich glaube, wir müssen alle Formen sprengen und daraus das, was Journalismus ist, wieder neu zusammensetzen. Auch hier: Das bedeutet nicht, dass sich alles ändert. Insgesamt halte ich die Sprache für einen wichtigeren Aspekt als das Technische oder die Optik.

Ich denke viel über den Trigger nach, den der Online-Journalismus noch nicht gefunden hat: Der Skinner’sche Belohnungseffekt, der uns beim Piepsen einer SMS sofort einen Blick auf das Handy werfen lässt; der uns immer wieder zu Facebook zurückführt. Der mehr mit dem Unerwarteten als mit der Gewohnheit zu tun hat (!).

Und natürlich frage ich mich, welche Geschäftsmodelle (jenseits eines größeren Online-Versandhändlers) den Journalismus querfinanzieren könnten. Was steckt in der P2P– und Sharing-Economy, die sich in den vergangenen Jahren entwickelt hat? Was in abgekoppelten Beratungseinheiten, in der digitalen Bildungsrevolution, die auf uns zukommt?

Die Antworten auf all die Fragen und vor allem noch viel mehr Herausforderungen stecken in der täglichen Arbeit – nicht in den altbekannten Publizistik-Debatten. Und wenn mich etwas freut, dann vor allem eines: Dass sich die Frage, ob die Verlagsmedienbranche den Herausforderungen gewachsen ist, entscheiden wird. Ich glaube, die Zeit der Thesen ist vorbei. Und das gefällt mir.

Disclaimer: Ich arbeite für Süddeutsche.de, beziehe mich aber nicht im Speziellen darauf (die Herausforderungen und Probleme ähneln sich ja überall). Und wer es wissen möchte: Die Anekdoten betreffen andere Häuser.
Crosspost von kopfzeiler.org

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