von Jonas Westphal, 7.12.13
Dann schaltete der Parteivorstand eine ganzseitige Anzeige für die Große Koalition. Ausgerechnet in der BILD.
Eigentlich wollte ich meine Partei mal loben. Knapp 200.000 Mitglieder haben sich bis dato beim Mitgliedervotum beteiligt: Bei ca. 475.000 Gesamtmitgliedern ist damit das nötige Quorum von 20 % locker genommen. Keine schlechte Beteiligungsquote angesichts des kurzen Abstimmungszeitraums. Und bis zum Abstimmungsende sind noch ein paar Tage Zeit, sodass die Wahlbeteiligung hoffentlich noch signifikant steigt. So weit, so gut.
Dann aber kam der SPD-Parteivorstand in seiner unendlichen Weisheit auf die Idee, eine ganzseitige Anzeige in der Bildzeitung zu schalten:
Auf dem Weg zum Juso-Buko und die Bild mit Anzeige gegenüber. #buko13 pic.twitter.com/T0lNlwhMcO
— Martin Luckert (@MartinLuckert) December 6, 2013
Und ich frage mich: Wie instinktlos kann man eigentlich agieren? Die Partei tut sich extrem schwer mit der ungeliebten Großen Koalition, und der Parteivorstand platziert ausgerechnet bei Axel Springer eine ganzseitige Anzeige. Bei jenem Verlag, der zuletzt Wahlkampf gegen die SPD und Peer Steinbrück gemacht hat.
Die ersten Straßenwahlkämpfer bedanken sich bereits:
Ich frage mich gerade, wofür ich im Wahlkampf morgens um 5 Uhr vor dem VW-Werk eingetreten bin. #NoGroKo #Anzeige #Bild #spdvotum #SPD
— Lars Kelich (@LarsKelich) December 7, 2013
Die Verleumdung der 68er-Generation durch die Axel-Springer-Medien wirft darüber hinaus einen langen und hässlichen historischen Schatten. Klaus Staeck und viele andere linksintellektuelle Autoren haben viele Jahre gegen die BILD-Anzeige öffentlich protestiert:
“Wir arbeiten nicht für Springer-Zeitungen.”
Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass die BILD das denkbar schlechteste Werbeumfeld für eine SPD-Anzeige ist. Vor allem, wenn die Anzeige nicht im Wahlkampf, sondern wegen einer innerparteilichen Auseinandersetzung platziert wird.
Stellt sich also die Frage, warum machen Sigmar Gabriel und Andrea Nahles ausgerechnet die BILD zur Botschafterin des Parteivorstands? Da gibt es Dutzende Regionalkonferenzen und eine vorwärts-Sonderausgabe, zum Zweck, Stimmung für eine Große Koalition zu machen. Selbst den Wahlunterlagen war noch GroKo-Werbung beigefügt.
Reicht das alles nicht?
Ehrlich gesagt: Ich weiß die Antwort nicht. Vielleicht möchte ich auch lieber gar nicht wissen, welche Motive wirklich dahinter stehen.
Mich hätte eigentlich zunächst interessiert, wer den Listenpreis von 445.170 Euro für eine ganzseitige Anzeige in der BILD bezahlt hat. Entweder, das Geld kam aus der Parteikasse, oder es gab Sponsoren.
Kam das Geld von Sponsoren, dann wäre das eine unverzeihliche Einmischung in innerparteiliche Angelegenheiten. Das Mitgliedervotum hätte die Hypothek massiven Lobby-Einflusses zu tragen. Die Glaubwürdigkeit der gesamten Partei würde leiden. Die Wähler würden von Bord gehen, die Parteibasis ebenfalls.
Kam das Geld jedoch aus der Parteikasse, stellt sich die Frage, ob der Zweck alle Mittel heiligt: Darf der Parteivorstand mit der Begründung “Überzeugungsarbeit” für die große Koalition alles machen? Wo ist die Grenze, inbesondere auch die finanzielle?
Anders formuliert: Die Partei ist klamm. Der letzte Wahlkampf war teuer. Die Parteikassen werden noch lange brauchen, bis sie sich davon wieder erholen. An allen Ecken und Enden der Partei wird gespart. Sigmar Gabriel hat kürzlich den Frauen in der SPD vorgeschlagen, dass sie zukünftig auf längere Kongresse verzichten mögen: Die seien zu teuer.
Was kann man also mit 445.170 Euro als Partei Besseres machen? Welche Investitionen wären naheliegender als die unsägliche Anzeige in der BILD?
Meine Vorschläge:
- Ein halbes Mitgliederbegehren vorfinanzieren und in zwei Jahren über die Parteispitze abstimmen. Zukünftige SpitzenkandiatInnen von der Basis wählen lassen
- Viele neue Referenten einstellen. Der Parteivorstand hat zum Beispiel Keinen für Netzpolitik – eine solche Stelle sei zu teuer. Dementsprechend ist das Politikfeld komplett unterfinanziert.
- Den Europa-Wahlkampf finanzieren. Nächstes Jahr ist Wahl, und die Partei wird dafür viel Geld brauchen
- Eine Online-Beteiligungsplattform aufsetzen und damit Mitglieder aktivieren, sowie SPD.de mit einem Content Management System vernünftig relaunchen – Open Source, versteht sich
- Jedem Mitglied anteilig einen knappen Euro – genau 0,9372 Cent – Beitrag zurückerstatten
- Fortbildungen u.a. zum Thema Medienarbeit, Werbeumfeld, Reaktanz und Parteigeschichte veranstalten
- Einen Entschuldigungsbrief für die BILD-Anzeige an alle Mitglieder verschicken
Übrigens: Die Verfechter von Solarenergie hätten gerne eine größere Anzeige im vorwärts geschaltet und damit die Parteikassen aufgebessert. Der Parteivorstand hat abgelehnt und lieber eine Vattenfall-Anzeige für Braunkohle geschaltet.
So viel zum Thema Pluralismus und zu dem Argument “wir haben kein Geld für Parteiarbeit“. Den nächsten Wahlkampf kann der Parteivorstand dann gerne alleine am Info-Stand bestreiten und den Leuten erklären, warum die SPD nichts gegen den Klimawandel unternimmt.
Und wehe, der Parteivorstand mokiert sich noch einmal über die Berichterstattung in der BILD und die negativen Folgen im Wahlkampf. Denn die schlechte Presse hat er gerade selbst mit Parteigeldern finanziert.
Crosspost von Jonas Westphal