#Aufmerksamkeit

Sinn und Unsinn von Petitionen

von , 1.6.13

Nicht erst in jüngster Zeit machen besonders in den politisch interessierten Ecken der sozialen Netzwerke immer wieder Petitionen die Runde. Eines bleibt dabei so gut wie niemals aus: Die allgemeine Kritik an Petitionen und die damit verbundenen – aus meiner Sicht – beklagenswerten Folgen.

Zwar sind Petitionen durchaus kritikwürdig. Doch die Chance, auf den demokratischen Willensbildungsprozess einzuwirken, ist ein Argument, das alle Kritik aussticht. In diesem Beitrag will ich versuchen, Kritiker von der Tauglichkeit von Petitionen überzeugen.

 

Demokratie: Spiel und Spaß für die ganze Familie!

Wie war das noch gleich mit der theoretischen Lehre von der Demokratie? Ach ja, richtig: Menschen haben meist unterschiedliche Interessen und Ansichten. Sie haben unterschiedliche Vorstellungen davon, wie eine Gesellschaft am besten funktionieren könnte. Wie man Frieden und Gerechtigkeit für möglichst alle erreicht; wie man Reichtum verteilt, und nach welchen Regeln das Zusammenleben aller am besten funktionieren könnte.

Um die daraus entstehenden Spannungen möglichst kleinzuhalten, entwickelte man eines Tages das Konzept “Kompromiss”: Dabei handeln die Vertreter gegenläufiger Interessen einen Mittelweg aus, mit dem alle irgendwie leben können. Naturgemäß bekommt dabei keine der beteiligten Parteien 100 Prozent dessen, was sie ursprünglich gefordert hat, aber es findet ein Interessenausgleich statt, der bestenfalls für alle Parteien akzeptabel ist.

Theorie ist eine tolle Sache, weil in ihr meistens alles wunderbar funktioniert. Das Problem: Die Theorie hat einen ungezogenen kleinen Bruder, der auf den Namen Praxis hört. Darin treffen Altruisten (das sind Menschen, die am Gemeinwohl interessiert sind) auf Egoisten. Egoisten scheren sich meist nicht um die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Mitmenschen. Sie setzen gerne ohne Rücksicht auf alle und alles andere ihre eigenen Wünsche um.

In der Praxis sieht das dann so aus, dass ganz Wenige ganz viel haben; viel Kapital, viel Einfluss – viel von allem. Die meisten anderen hingegen gehen betteln oder werden aus ökonomischen Zwängen Leiharbeiter, können kaum mitreden, geschweige denn, mitentscheiden und sind die meiste Zeit damit beschäftigt, chronischen Mangel an allem zu verwalten.

(Letzteres freut übrigens ganz besonders die herrschende Personengruppe. Die muss sich dann nämlich weniger darum sorgen, dass der verarmte Pöbel aufbegehrt. Wie sollte er denn auch – mangels Zeit, Gesundheit, Möglichkeit zur Einflussnahme und finanzieller Mittel?) Wir sprechen also von Mächtigen und Ohnmächtigen.

 

Am Ende dreht sich alles um die Machtfrage

Mächtig sind in einer Demokratie neben den Schwervermögenden an erster Stelle die Regierenden, also die Bundesregierung. Die Bundesregierung, das lehrt uns bereit das Grundgesetz in Artikel 20 Absatz 2, unterliegt letztinstanzlich dem Willen des Volkes:
 

Alle Staatsgewaltgeht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

 
Auch das ist zunächst einmal: bloße Theorie. Die Praxis sieht – das weiß jeder, der, wie ich, einmal die SPD gewählt und sich anschließend massiv verraten gefühlt hat – anders aus. In der Praxis versuchte wohl jede bisher existierende Bundesregierung, sich irgendwie durchzumogeln; irgendwie, möglichst still und ohne viel Aufsehen zu erregen, die Interessen derjenigen durchzusetzen, denen ihre Loyalität eigentlich gilt.

Das war, am Beispiel der SPD, ein Unternehmen, dessen Eigentümer auf den Namen Maschmeyer hört. Bei der FDP sind es Hoteliers oder die deutsche Textilindustrie. Bei der CDU … ich glaube, man versteht, worauf ich hinaus will.

 

Demokratie ist nicht nur Spiel, sondern auch ein Kampf, den sich zu kämpfen lohnt

Wer Demokratie, Teilhabe, Mitbestimmung oder “einfach” eine bessere Welt haben will, der wird sie für sich und seine Mitmenschen erkämpfen müssen – gegen die Egoisten, im Kampf gegen die Arroganz und Ignoranz der Herrschenden. Im Kampf gegen Menschen wie Philipp Rösler – seines Zeichens Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, gleichzeitig Bundesvorsitzender der FDP, und zu allem Überfluss auch noch Vizekanzler Deutschlands.

Ich erwähnte es bereits: Arroganz und Ignoranz gehen bekanntlich gerne Hand in Hand. Und so verwundert es auch nicht, dass Philipp Rösler mal eben 242.000 Bürger, die eine Petition gegen Wasserprivatisierung unterzeichnet haben, schlichtweg ignoriert. Campact, der Initiator dieser Petition, hat hierzu eine Bekanntmachung veröffentlicht: Rösler verweigert einfach die Annahme der Unterschriftenliste. Dahinter steht ein Kalkül, an dem ich verdeutlichen will, weshalb Petitionen sinnvoll sind:

Wer als Mitglied der Bundesregierung 242.000 Unterschriften von kritisierenden Bürgern in Empfang zu nehmen hat, der ahnt, dass er mit Presse und Berichterstattung, mit einer immer lauter werdenden inner- und außerparlamentarischen Opposition, mit Bloggern und sozialen Netzwerken – kurzum: mit einer größer werdenden kritischen Öffentlichkeit – zu kämpfen haben wird, und dass er, falls er denn auf lange Sicht nicht den letzten Rest seiner Akzeptanz verspielen will, seine Loyalität wieder dem Volk geben werden muss.

Was haben also Petitionen mit dem beschriebenem Mechanismus zu tun?

Ganz einfach: Wo eine Petition ist, da kann öffentliches Interesse wachsen. Wo eine Petition ist, da bekommt ein Bundesminister wie Philipp Rösler die Gelegenheit, unmissverständlich klar auszudrücken, wie sehr er auf die Interessen des Volkes pfeift. Und genau dieser Sachverhalt kann publik gemacht werden – was wiederum dazu führt, dass mehr Menschen begreifen, dass es bei der nächsten Wahl wohl eine ganz schlechte Idee ist, sein Kreuz bei der FDP zu machen.

Überhaupt, diese Sache mit den Wahlen: Immer wieder höre ich (teils zu Recht, teils zu Unrecht) die Beschwerden darüber, dass Bürger kaum Möglichkeit hätten, auf die Politik in diesem Land einzuwirken, und dass es nicht befriedigend sei, bloß einmal alle vier Jahre wählen zu können.

Nun, unabhängig davon, dass neben der vierjährlichen Bundestagswahl auch noch Landtags- und Kommunalwahlen stattfinden, sei darauf hingewiesen, dass es schlicht töricht ist, zu glauben, dass Politik sich von jetzt auf gleich ändert. Wer die Politik in diesem Land verändern will, der muss das Denken der Menschen beeinflussen, und der muss Sorge tragen, dass sich die Kenntnis darüber, wer Gutes und wer Schlechtes tut, sich herumspricht. Hier ein konkretes Beispiel:

Ich habe Philipp Röslers arroganten Umgang mit 242.000 Bürgern als abstoßend empfunden und das öffentlich auf Facebook und Twitter zum Besten gegeben.
 


 
Auf Facebook führte das dazu, dass die, die bislang noch nichts wussten, sich empörten, kommentierten und, viel wichtiger: die Sache weiter verbreiteten. Mein obiges Posting auf Twitter führte nicht zuletzt dank eines Retweets des reichweitenstarken Nutzers @holgi zu einem Kickstart, was die weitere Verbreitung der Nachricht beförderte (Holger Klein hat mal eben über 20.000 Follower).

 

Ihr, der Mob, seid der Souverän. Werdet euch eurer Macht bewusst und setzt sie endlich ein!

Man mag die Verbreitung der Nachricht als klitzekleinen Partikel betrachten. Ja, das ist er auch. Aber wollt ihr darauf verzichten? Wollt ihr ernsthaft Transparenz in demokratischen Prozessen fordern, aber gleichzeitig auf derlei Partikel verzichten, die in ihrer Summe dem an chronischer Vergesslichkeit leidenden Wählergedächtnis auf die Sprünge helfen?

Glaubt ihr ernsthaft, Radio- und Fernsehsender würden länger als zwei Tage über die Drosselkom berichten (und damit Aufmerksamkeit auf das Thema lenken), wenn da nicht eine Petition mit über 100.000 Unterzeichnern gelaufen wäre? Dem Petenten (Danke, Du bist ein Held!) ist es gelungen, sich medienwirksam gegen die Absichten der Telekom zur Wehr zu setzen – und sei das Ergebnis auch “nur” der Imageschaden für den magentafarbenen Konzern.

Wollt ihr ernsthaft die Chance ungenutzt lassen, dass die in sozialen Netzwerken mitlesenden Journalisten mit eigenen Augen sehen, dass ein Vorgang wie Herrn Röslers Zurückweisung für Empörung sorgt? Sie nehmen das zum Anlass, in noch viel reichweitenstärkeren Print- und Onlinemedien darüber zu berichten, und ermöglichen, dass noch mehr Menschen lernen, Gutes von Schlechtem zu unterscheiden.

Glaubt ihr auch nur für eine Sekunde daran, dass wir das Zugangserschwerungsgesetz verhindert hätten, wenn nicht Franziska Heine 134.014 Unterschriften eingesammelt und die Unterstützer dieses Gesetzes ins Licht der empörten Öffentlichkeit gezerrt hätte?

Anatol Stefanowitsch, den ich sehr gerne mag, hat mir als Reaktion auf meinen Tweet geantwortet – er argumentiert ähnlich wie Fefe, dessen Blog ich ebenfalls sehr gerne täglich lese:
 


 
Wer will, kann das so sehen. Ich habe dieser Ansicht ebenfalls bis vor einiger Zeit zugestimmt. Damals habe ich Petitionen so wahrgenommen, als würde das, was der Petent mit seiner Petition beabsichtigte, umgesetzt werden müssen. Klingt ja irgendwie auch naheliegend.

Aber so ist es eben nicht. Eine erfolgreiche Petition verändert nicht unmittelbar unsere Gesetze. Das macht immer noch der Gesetzgeber. Aber Petitionen, besonders sehr erfolgreiche Petitionen sind eines der vielen Mittel, die 82 Millionen Bundesbürgern zur Verfügung stehen, wenn sie ein politisches Ziel erreichen wollen.

Wenn ihr glaubt, auf dieses Mittel verzichten zu können, dann gebt ihr im Kampf für die gute Sache eine nützliche Waffe ohne Not aus der Hand.

Wer bereit ist, sich von dem Irrglauben zu verabschieden, dass Petitionen eine Wunderwaffe sind; wer Petitionen als ein Werkzeug unter vielen begreift, der wird ihre Nützlichkeit zu schätzen wissen – und sie anwenden.

Und genau hierzu rufe ich im Interesse der Netzneutralität jetzt auf. Gehet hin und zeichnet die Petition für eine gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität! Aber glaubt nicht, dass die Schlacht damit geschlagen wäre.
 
Crosspost von piksa.info

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