#Ausschuss

Netzpolitik – von Twitter ins Hinterzimmer der Politik

von , 6.11.14

Lange Zeit war Netzpolitik etwas grundlegend Öffentliches im Politikalltag. In Berlin fanden pro Woche meist drei bis vier Veranstaltungen statt, auf denen das interessierte Publikum mit den wenigen im Bundestag für die Netzpolitik zuständigen Abgeordneten diskutieren konnte oder die bekannten Gesichter der Netzgemeinde sich zum Plausch am Schnittchenbuffet begegneten. Veranstaltungsreihen wie „UdL Digital im BASE_camp oder der „Netzpolitische Abend in der c-Base schafften eine Öffentlichkeit für das Thema Netzpolitik, genauso wie das in Zusammenarbeit mit Politik Digital von uns entwickelte Hangout-Format „Berliner Hinterhofgespräche oder die Enquete-Kommission „Internet und Gesellschaft“ im Bundestag, in der die Themen noch ohne machtpolitisches Kalkül offen diskutiert wurden.

Der in diesem Jahr geschaffene Ausschuss „Digitale Agenda“ hätte die Krönung dieser Entwicklung sein können – wie ein Thema langsam und mit viel Expertise außerhalb des Parlaments sich entwickelte und es aus der Gesellschaft heraus in die Politik schaffte – ist aber immer mehr Ausdruck der Probleme der gesellschaftlichen Debatte über Netzpolitik als ein Fortschritt. Denn trotz der vollkommen anderen Sozialisierung der an dem Thema interessierten Öffentlichkeit, die bisher den netzpolitischen Diskurs mit Twitter, EtherPads und Blogs betrieb, wurden dem neuen Thema die alten Regeln übergestülpt. Dies bedeutet in erster Linie den Ausschluss der Öffentlichkeit und den Verweis auf die im Plenum betriebene Debatte, die aber gerade bei netzpolitischen Themen vor nahezu leeren Rängen stattfindet. Außerdem ist dann bereits alles entschieden und zwar in den nichtöffentlich tagenden Ausschüssen. Ein nicht mehr zu akzeptierender Zustand.

Wie groß das Interesse an Politik sein kann, hat die Debatte um die zuerst verweigerten Akkreditierungen für Blogger gezeigt. Über Wochen berichteten die Medien über den Streit zwischen Bloggern wie uns Netzpiloten und der Bundestagsverwaltung. Im Grunde ging es um keine vermeintlichen Privilegien von akkreditierten Pressevertretern, sondern um die Schaffung von größtmöglicher Transparenz. Das Thema wird noch immer im Ältestenrat des Bundestags behandelt; laut Mitarbeitern der Bundestagsfraktionen ist aber ein positives Ende in Sicht und eine Anpassung der Hausordnung an die medialen Realitäten wahrscheinlich. Doch selbst dann gibt es noch ein Problem: Die Ausschüsse des Bundestags tagen in der Regel nicht öffentlich. Dies zu ändern ist noch kein breit diskutiertes Thema, nötig wäre es aber, wie Günther Oettingers Besuch im Ausschuss „Digitale Agenda“ am vergangenen Dienstag zeigte.

Günther Oettinger – kein Politiker „zum Anfassen“

Der neue EU-Digitalkommissar Günther Oettinger kam zu seinem Antrittsbesuch vor dem Ausschuss nach Berlin. Dies war Anlass genug für eine Sondersitzung, allerdings nicht für die Zulassung der Öffentlichkeit. Ein noch kurzfristig eingereichter Antrag der Oppositionsparteien wurde von der Mehrheit der Unionsparteien und der SPD abgelehnt. Günther Oettinger sprach alleine mit den Abgeordneten, die zumindest die wesentlichen Punkte seiner Rede twitterten: Im nächsten Jahr soll laut Oettinger nicht nur die von der Bundesregierung zuerst verzögerte, dann aber schnell geforderte EU-Datenschutzverordnung endlich kommen, er selber will innerhalb der nächsten sechs Monate einen Vorschlag für eine europäische Urheberrechtsreform unterbreiten und die digitale Infrastruktur in Europa voranbringen – ohne auch nur bei einem Vorhaben schon näher ins Detail gehen zu können.

Vermeintlich mehr Informationen konnte man Dienstagabend noch bei einem „Kamingespräch“ der Beratungsfirma Capgemini mit Günther Oettinger in Erfahrung bringen, zu der wir zwar auch eingeladen waren, aber noch wenige Stunden vor der Veranstaltung zur “Unter Drei”-Regelung gezwungen wurden. Soviel sei aber trotzdem verraten, was auch immer Oettinger in der vertraulichen Runde näher ausführte, hätte keinen eigenen Artikel gerechtfertigt, denn es handelte sich um eine Grundsatzrede vor ungefähr 70 Wirtschaftsvertretern. Es wäre auch seltsam gewesen, wenn Oettinger in vertraulicher Runde mit Vertretern der Wirtschaft und Presse viel offener gesprochen hätte als mit dem nichtöffentlich tagenden Ausschuss. Mir ist jetzt zwar etwas klarer, wie weit Oettinger schon in der Einarbeitung in sein neues Thema ist, aber das hätte ich auch vorab woanders lesen können. Und auch wenn Details in seiner Rede fehlten und an einigen Stellen noch leichte Unkenntnis erkennbar war, war die Rede an sich in Ordnung und hätte vielleicht für positivere Presse als in den vergangenen Wochen gesorgt. Es scheint aber so, dass der deutsche EU-Kommissar ein Misstrauen gegenüber den Medien und der Öffentlichkeit hat.

Dritter Auftritt von Günther Oettinger in Berlin ist heute beim Kongress der Zeitungsverleger, die sicher sehr interessiert an seinen bisher nur vagen Äußerungen zu einer Reform des Urheberrechts und einer möglichen Abgabe für nichteuropäische Internetunternehmen sind. Oettinger redet hier laut Programm ungefähr 25 Minuten. Auch hier wird er in der kurzen Zeit wohl nicht viel erklären können, was aber auch zu seinem noch frühen Stand der Einarbeitung in das Thema liegt. Dafür kann man Verständnis haben, es ist nur menschlich, aber auch hier scheut Oettinger die Öffentlichkeit, nicht aber den Kontakt zu einer elitären Interessensgruppe. Wer nicht Mitglied im Verband für Zeitungsverleger ist, kann zwar auch an der Veranstaltung teilnehmen, muss dann aber eine Karte für 1.150 Euro kaufen. In nur drei Tagen hat Günther Oettinger sich also bei mindestens drei Auftritten der europäischen Öffentlichkeit entzogen. Auch für einen etwas älteren Unionspolitiker eine persönliche Meisterleistung in volksferner Politik.

Die Öffentlichkeit wird vergessen

Doch nicht nur Günther Oettinger verzichtet vollkommen auf den Vollkontakt mit den interessierten Bürgern, der Ausschuss „Digitale Agenda“ ist da nicht besser. Zwar startete am Dienstag das auf ein Jahr begrenzte Pilotprojekt mit einem Onlinebeteiligungstool, doch findet damit nur eine „Suggerierung von Beteiligung“ statt, wie es die Netzpolitik-Sprecherin der Linksfraktion, Halina Wawzyniak, im Gespräch mit uns formulierte. Dies ist umso schlimmer, als dass die Enquete-Kommission schon zeigte, wie erfolgreich eine Beteiligung an der politischen Debatte zum Themenbereich Netzpolitik aussehen kann. Das wurde aber, vor allem von den Unionsparteien, schnell wieder vergessen.

Der Ausschuss ist ohne jegliche Kompetenz ausgestattet und darf nur mitberaten – zum Teil nur das, was die Enquete-Kommission über vier Jahr schon diskutierte. Ihn jetzt zu öffnen und damit vielleicht auch noch öffentlichen Druck zu ermöglichen, scheint nicht im Interesse der Regierungsparteien. Spricht man mit Abgeordneten und ihren Mitarbeitern, fällt immer wieder der Name des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, der angeblich auf die eigenen Fraktionskollegen im Ausschuss dahingehend einwirkt, die Netzpolitik hinter verschlossenen Türen zu behandeln. Doch unabhängig davon, wer hierfür verantwortlich ist, ein gefühlter zehn Jahre zu spät gekommener Ausschuss würde durch die Abgeordneten sicher auch das motivierende Interesse der Bevölkerung mehr erreichen können, als wenn weiterhin alles nichtöffentlich stattfindet.

Das Publikum könnte die Debatte dahin tragen, wo die Politik schon lange auf nur noch wenig Interesse stößt: die breite Mitte unserer Gesellschaft, also die Menschen, die den digitalen Wandel jeden Tag leben. Sie einzubinden, sollte primäres Ziel des Ausschusses sein, auch außerhalb der Bürozeiten von 8:00 bis 17:15 Uhr, und freitags bis 14.30 Uhr. Genauso wie sich Günther Oettinger lieber in der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin der interessierten Öffentlichkeit hätte vorstellen können – in der Mitte der Öffentlichkeit und fernab von Lobby-Abenden. Seine menschlichen Schwächen im Umgang mit den Fachthemen könnte man ihm so vielleicht in den ersten Wochen etwas mehr nachsehen.

Dieser Beitrag erschien in einer leicht anderen Fassung zuerst bei den Netzpiloten.

 

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