von Andreas Grieß, 12.9.13
Vor bald einem Jahr startete das Hamburger Abendblatt einen „Straßentest“ im Web, mit dem für klassische Medien in so einem Fall obligatorischen großen PR-Getöse und treuer Gefolgschaft der darüber berichtenden Kollegen. Zu jeder Straße Hamburgs gab es eine kurze Beschreibung und eine Bewertung zu unterschiedlichen Punkten. Auch die Leser wurden nach ihre Meinung gefragt. Das alles sollte den Auftakt für einen Neustart der hyperlokalen Bemühungen darstellen.
Doch nachdem der Werbeeffekt verflogen war, verebbte die Aktion schnell. Heute ist der Straßentest für mich trotz aktiver Suche schwer auffindbar, doch gut versteckt existiert er noch, und darin auch mein Leserkommentar. In diesem beklage ich, dass hinter meinem Haus nicht die U1, sondern die U3 fährt. Die ortskundigen Lokalreporter hätten das, besonders bei so einem Prestigeprojekt, eigentlich wissen müssen. Wussten sie aber nicht. Mein Kommentar wurde freigeschaltet – laut Beschreibung fährt aber weiterhin die U1.
Dies ist symptomatisch für die Verwahrlosung des Lokaljournalismus in großen Medienhäusern. Auf Podien und in Image-Mappen wird er als Herzstück dargestellt, in der Praxis jedoch nebenher oder von schlecht bezahlten Freien oder Dauerpraktikanten betrieben – insbesondere online. Das lässt Raum für neue Player. Die ersten hyperlokalen Angebote brachten einige Vorzeigeprojekte hervor, auf die immer wieder verwiesen wird, wenn über die Zukunft des Lokaljournalismus oder von einer Rückbesinnung darauf gesprochen wird. Mittlerweile gibt es – auch als Konsequenz aus weiterem Versagen klassischer Medien – an vielen Orten neue Online-Angebote.
Doch sind die wirklich die Zukunft? Zunächst einmal muss bilanziert werden, dass der Großteil dieser Angebote keineswegs revolutionär, sondern vielmehr äußerst konservativ ist. Nur selten werden, inhaltlich wie technisch, neue Formate ausprobiert. Nur selten geht es um neue Themen, neue Aufbereitungs- oder Vertriebsformen. Innovation findet hier nicht statt, dafür umso mehr Protest, Trotz und Selbsthilfe. Auf die Motive für ihr Engagement angesprochen, sagen viele Betreiber, dass sie eine kritische Stimme als Gegengewicht zur vorherrschenden Zeitung vermissten oder das Gefühl hatten, es würde immer über das Gleiche geschrieben. Mit anderen Worten: Sie wollen die Befriedigung eines vermeintlichen Grundbedarfs gewährleisten oder wieder gewährleisten.
Die Folge: Einige Angebote verbreiten fast missionarisch, dass sie (wieder) besseren Journalismus machen wollen. Nicht selten arbeiten sie sich sogar regelmäßig am vorherrschenden Lokalmedium ab, wie ein Verlassener, der in enttäuschter Liebe ununterbrochen seine Ex vor anderen schlecht macht. Der Versuch der Abgrenzung zu den traditionellen Marken lässt viele neue Marken zu extremen Idealisten werden. Ist dieser Idealismus schlimm? Eigentlich nein, aber er trägt nicht zur Lösung der bestehenden Probleme bei. Die klassischen Medien schon aus Prinzip zu verteufeln, ist falsch, weil eine Lösung vermutlich auf Dauer nur mit ihnen funktionieren kann.
Zeitgleich stellen sich die neuen Player in ihrem Idealismus häufig selbst ein Bein, indem sie die Augen vor der Realität verschließen. Wenn auf Konferenzen wie der des Netzwerks Recherche im Sommer in Hamburg von Anwesenden fast jede mögliche Finanzierungsquelle entweder als zu PR-nah oder zu bettlerisch abgestempelt wird, ist das nicht hilfreich. Ohne Experimente, auch bei der Finanzierung, werden die Angebote trotz aller professionellen Ansichten nie mit Profis arbeiten können. Profis werden bezahlt und leben nicht von Idealismus und Liebe. Dass freie Journalisten eigene Angebote gründen, gleichzeitig jedoch sagen, sie wollen sich aus Gründen strikter Trennung von Verlag und Redaktion nicht mit Vermarktung beschäftigen, stimmt auch wenig optimistisch.
Und so streitet ein Teil der Portale noch darüber, ob eine Meldung über einen neuen Optiker im Hyperlokalen eine Nutzerwert-Information ist, die den Lesern geboten werden soll, oder ob das bereits Vermischung von PR und Journalismus ist, während dem anderen Teil die mühsam gesammelten Autoren mangels Bezahlung wieder davon laufen oder gar davon laufen müssen.
Die neuen Angebote hochzujubeln und darin blind die Zukunft und Rettung des Lokaljournalismus zu sehen, ist leider zu kurz gedacht. Es kann doch noch kein Fortschritt sein, wenn die Arbeit statt von Verlagen nun von Privatleuten gemacht wird, die dafür wenig oder gar kein Geld bekommen! Auch dann nicht, wenn sie zunächst einmal besser ist.
Aber was hilft nun wirklich, Bürgern dauerhaft guten und verlässlichen Lokaljournalismus zu bieten? Vermutlich ist es genau das, was immer wieder gefordert, aber viel zu selten umgesetzt wird: Mehr Blick für die Realitäten, mehr miteinander arbeiten, mehr Experimente wagen.
Das hyperlokale Online-Magazin Mittendrin aus Hamburg hat zum Beispiel eine Kooperation mit der taz Hamburg. Mittendrin kann auf diese Weise etwas Geld verdienen, die taz ihre Berichterstattung ohne erhöhten Personalaufwand verbessern. So etwas könnte auch anderswo funktionieren.
Wenn Zeitungen sich aus dem Lokalen zurückziehen oder hier nicht ausreichend viel leisten können, sollten sie damit offen umgehen. Oft ist bereits eine Verlinkung für die neuen Angebote hilfreich. Um wirtschaftlich erfolgreich zu werden, brauchen diese meist vor allem Reichweite. Jeder Klick, jeder neue Facebook-Fan und Twitter-Follower hilft, Anzeigenkunden und neue Autoren zu gewinnen.
Doch auch die neuen Angebote sind gefordert, mehr zu tun. Wenn sie es wirklich ernst damit meinen, besseren Journalismus machen zu wollen, dann werden sie keine Online-„Zeitung“ betreiben. Sie werden neue Online-Formate entwickeln und ausprobieren. Sie könnten sich an location based services probieren, den Weg auf das Smartphone nehmen, stärker auf Daten- oder Prozessjournalismus setzen. Mit dem Know-how könnten sie dann als Dienstleister für traditionelle Medien auftreten und Einnahmen erwirtschaften. Zukunft ist da, wo vorangegangen wird.
Überspitzt ausgedrückt, stehen sich im lokalen Onlinejournalismus im Jahr 2013 unkreative Idealisten und lustlose Ökonomen gegenüber, bloß: sie begegnen sich nicht. Hoffentlich wird das in Mainz anders sein.
Andreas Grieß bloggt auf YOUdaz und Elbmelancholie