#Anonymität

Katharina Nocun: In der schönen neuen Welt ist für Bürgerrechte kein Platz

von , 10.6.13

Bei Geschäftsmodellen, die auf riesigen Datensammlungen beruhen, wäscht eine Hand die andere. Geheimdienste greifen dankbar auf die Daten zu.

Das gilt nicht nur für die USA und ihr Abhörprogramm PRISM, sondern auch für deutsche Dienste. PRISM erlaubt dem US-Geheimdienst NSA, unbemerkt Daten von EU-Bürgern bei Facebook, Google, Youtube und vielen anderen abzugreifen.

Die NSA hat es damit tatsächlich gewagt, in die Schlafzimmer von EU-Bürgern einzubrechen. Denn in der Kommunikationsgesellschaft ist Digital real: Die Trennung zwischen Netz und Alltag funktioniert nicht mehr, wenn das Netz Teil des Alltags ist. Es geht nicht nur um digitale Bürgerrechte, es geht um die Freiheitsrechte der Zukunft.

 

Der Trend geht zum Zweitschlüssel für den Staat

Seit den Anschlägen von New York ist der internationale Terrorismus fester Bestandteil der öffentliche Debatte. Wenn wir Kriege führen. Wenn wir über Gesetze abstimmen. Wenn wir internationale Verträge schließen. Wir haben nun Anti-Terror-Gesetze, eine Anti-Terror-Datei und Anti-Terror-Einheiten.

Doch macht dies unsere Demokratie wirklich sicherer? Ich schlage die Zeitung auf. Lese, wie Politiker Folter legitimieren. Wie Parteien, die einst die Stasi verurteilten, nun die Telekommunikationsverbindungen aller Bürger auf Vorrat speichern wollen. Und ich frage mich, wie es so weit kommen konnte.

Zeichnung: Charlotte von Hirsch, CC BY-SA

Zeichnung: Charlotte von Hirsch, CC BY-SA

Der Kampf gegen den Terrorismus ist längst zu einem Kampf gegen Bürgerrechte mutiert. In Zeiten des internationalisierten Terrorismus’ werden Persönlichkeitrechte kurzerhand zum potentiellen Gefährder für die Innere Sicherheit erklärt.

Der Trend geht zum Zweitschlüssel für den Staat für unsere virtuellen Räume. Mit Hintertüren im System und Abhörschnittstellen wird die Grenze zwischen privaten und staatlichen Datensammlungen virtuell.

Denn wo Daten sind entstehen, auch Begehrlichkeiten. Unser Schlafzimmer bei Facebook befindet sich mitten in einer Gated Community, über deren Spielregeln wir keine Kontrolle haben. Die Hilfssheriffs aus der Privatwirtschaft öffnen mit dem Generalschlüssel die Tür, wenn der Staat anklopft. Das betrifft längst nicht nur Daten von EU-Bürgern, die ihre privaten Mails in der US-Cloud lagern. Die Entwicklung ist auch in Deutschland und Europa längst in vollem Gang.

Wir müssen aufwachen und unbequemen Wahrheiten ins Auge sehen. Das ist keine Zukunftsmusik, das ist kein dystopischer Science-Fiction-Roman, sondern hier werden Fakten geschaffen.

Das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) arbeitet an einem Standard für eine europäische Cloud-Abhörschnittstelle als neuestes Überwachungsprojekt. Davon wären dann auch Dienste wie Facebook, GoogleMail, LinkedIn und Twitter betroffen.

Doch auch ohne eingebaute Hintertür werden bereits jetzt rege Daten ausgetauscht. Nur wenige Anbieter geben nur auf Gerichtsbeschluss Nutzerdaten heraus: Die Mehrheit übt sich in vorauseilendem Gehorsam. Neue elektronische Schnittstellen wurden eben erst wieder in Deutschland bei der Bestandsdatenauskunft eingeführt. Kundendaten der Telefon- und Internetanbieter, wie etwa die Identität von Internetnutzern oder die PUK des Handys, können durch Polizei, Zoll und Geheimdienste abgerufen werden.

Die Geschichte zeigt, dass Überwachungsbefugnisse selten zurückgenommen, doch umso öfter ausgeweitet werden. Passwörter sind der Schlüssel zu unserer digitalen Identität, und und es ist absolut inakzeptabel, dass der Staat einen Zweitschlüssel fordert.

 

Outsourcing von Überwachung: Eine Hand wäscht die andere

Viele Mobilfunkanbieter speicherten in den letzten Jahren unbemerkt illegal Standortdaten ihrer Nutzer. Für standortbasierte Dienste sind solche Daten natürlich interessant.

Bürgerrechtler wurden auf die private Vorratsdatenspeicherung der Mobilfunkanbieter erst aufmerksam, als ein „Leitfaden zum Datenzugriff“ der Generalstaatsanwaltschaft München im Netz auftauchte. In diesem Leitfaden wird aufgelistet, wie Behörden Zugriff auf die Daten der Mobilfunkanbieter erlangen können.

Das Beispiel der privaten Vorratsdatenspeicherung zeigt deutlich, wo die Reise hingeht: Ob Verbindungsdaten von Handy-Inhabern, Handytickets der Deutschen Bahn oder Maut-Daten – was Privatunternehmen sammeln, wird auch vom Staat abgefragt. Die Vorratsdatenspeicherung wird outgesourced.

Das Internet ist die große gesellschaftliche externe Festplatte, unser externes Gehirn. Für Datenschutz und den Zugriff des Staats auf diese Daten hat das weitreichende Folgen.

Immer größere Teile unserer privaten Kommunikation spielen sich in den virtuellen Gated Communities unserer sozialen Netzwerke, Cloud-Dienste und Mailanbieter ab. Schauen wir auf unsere Datenströme, führen die meisten von uns ein Nomadenleben. Die Unverletzlichkeit der Wohnung greift nicht im digitalen Raum. Und der Staat braucht keine eigenen Datensammlungen, so lange er auf die von Unternehmen zugreifen kann.
Die Wirtschaft spielt meist mit und liefert die passende Schnittstelle. Und wenn sie nicht freiwillig kooperieren, sollen Gesetze greifen. Maulkorbregelungen untersagen es meist, die eigenen Nutzer zu informieren. Hinter schönen grafischen Nutzeroberflächen und Hochglanzwerbung verstecken sich Fallen.

In der Praxis geben sich nur wenige Dienste Mühe, es staatlichen Abhörversuchen schwer zu machen. Das beherrschende Geschäftsmodell bei vermeintlichen Gratisangeboten im Netz basiert schließlich auf exzessiven Datensammlungen. Wir zahlen mit unseren Bewegungsprofilen, Informationen über unsere sexuellen Vorlieben, unsere Einkaufsgewohnheiten und Informationen über unsere politische Einstellung. Wir zahlen mit unserer Freiheit und informationellen Unschuld. Die Rechnung kommt später, aber sie kommt.

 

Investitionen in die Zukunft. Aber was für welche?

Screenshot: Nächtliche Abstimmung zur Bestandsdatenauskunft

Screenshot: Nächtliche Abstimmung zur Bestandsdatenauskunft

Wenn Milliarden in Abhörprojekte, Drohnen und elektronische Rasterfahndung gesteckt werden, zeichnet das ein bedrohliches Bild der Gesellschaft von morgen.

Das Netz ist eine riesige Chance für unsere Gesellschaft. Doch statt in Mitbestimmung und Transparenz zu investieren, wird auf Kontrolle und Überwachung gesetzt. Was für das Post- und Fernmeldegeheimnis gilt, wird bei elektronischer Rasterfahndung verworfen, und digitale Hausdurchsuchungen mit dem Staatstrojaner haben mit der Unverletzlichkeit der Wohnung wenig gemein.

Wir haben es verpasst, die Spielregeln des Grundgesetzes auf die digitale Demokratie zu übertragen. Uns wurde eingeredet, eine Festplatte sei etwas anderes als meine Nachttischschublade, und die normalen Regeln wären außer Kraft gesetzt. Aber wir haben uns geirrt. Denn wer Zugriff auf meinen Rechner hat, hat Zugriff auf meine digitale Identität. Das ist mehr als eine Hausdurchsuchung. Das ist eine Durchsuchung meines externen Gehirns.

Schlagen wir die Zeitung auf, schallen uns aus den Mündern von Innenpolitikern Bedrohungsszenarien entgegen. Eine ganze Industrie verdient gut an dem Geschäft mit der Angst. Seit den Anschlägen von New York erleben wir dadurch nicht weniger als den Ausverkauf demokratischer Grundrechte auf Raten.

In den USA wurden neue Geheimdienst-Infrastrukturen geschaffen, und Gesetze, die Grundrechte außer Kraft setzen. Der permanente Notstand der Demokratie ist auch in Deutschland sichtbar. Anti-Terror-Pakte und Aufweichung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Geheimdiensten, großer Lauschangriff – die Liste offensichtlich verfassungswidriger Gesetze, die in einer Stimmung der Angst und Unsicherheit durch den Bundestag gepeitscht wurden und werden, ist lang.

Bundesregierungen geben sich hier die Klinke in die Hand. Unter Schröder hat Rot-Grün ebenso an den Grundfesten des Grundgesetzes gesägt, wie die Regierungen Merkel mit Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb. Wir leben längst in einer Demokratie, in der mit Angst statt mit Hoffnung Wahlkampf gemacht wird.

 

Die Angststarre der Demokratie

Zeichnung: Charlotte von Hirsch, CC BY-SA

Zeichnung: Charlotte von Hirsch, CC BY-SA

Bürgerrechte dürfen in der Demokratie niemals zur Verhandlungsmasse werden, sie sind das Fundament der Demokratie.

Parteien, die die Grenzen des grundrechtlich Machbaren immer weiter und weiter verschieben, beschneiden den Raum, in dem Demokratie stattfinden kann. Zielgerichtete Ermittlung darf niemals durch anlasslose Überwachung ersetzt werden.

Die Piratenpartei hat sich 2006 in einer Zeit politischer Ohnmacht für Bürgerrechte gegründet. Es war für mich absolut unfassbar, wie eine demokratische Regierung die Verbindungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger erfassen lassen kann, ohne dass ein Aufschrei durch die Bevölkerung geht.

Wer durch präventive Rasterfahndungsmethoden die Unschulsdvermutung untergräbt, baut am Überwachungsstaat. Und wer am Überwachungsstaat baut, baut die Demokratie ab. Die Anti-Terror-Gesetze der letzten Jahrzehnte gehören jetzt gestrichen, wenn wir noch die Kehrtwende und eine neue Bewegung für eine echte Demokratie schaffen wollen. Wir brauchen Freiheits- statt Anti-Terror-Pakete.

Und wir brauchen Mut und Hoffnung für eine digitale Friedens- und Freiheitsbewegung. Wenn wir als Gesellschaft den digitalen Raum dem Gutdünken von Militärs, Innenministern, Privatunternehmen und Überwachungsanbietern überlassen, geben wir nicht nur unsere Demokratie, wie wir sie kennen, auf. Wir verpassen die Chance, mit der Postdemokratie aufzuräumen und die Demokratie zu reparieren.

Mitbestimmung, Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen und Teilhabe; Zugang zu Informationen, Bildung und Selbstbestimmung: Das Netz kann ein Katalysator für gesellschaftliche Innovation sein, wenn wir bereit sind, die Angst vor Technik an sich und vor einander abzulegen. Der gläserne Staat muss das Ziel sein, und nicht der gläserne Bürger.

Freiheit und Demokratie schützt man nicht, indem man sie abschafft. Wir müssen endlich aus unserer Angststarre aufwachen. Es gibt keinen Grund, uns zu fürchten, wenn wir beschließen, mutig zu sein. Überwachung verhindert keine Attentate – Überwachung verhindert Demokratie.
 
Crosspost von ¶ kattascha. Katharina Nocun ist politische Geschäftsführerin der Piratenpartei.

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