#Jugendschutz

JMStV: Keine Netzsperren, keine Entwarnung

von , 21.2.10

Am vergangenen Donnerstag erschien auf Golem eine Art Entwarnungsartikel zum Thema Jugendmedienschutz-Staatsvertag (JMStV): Es seien keine Netzsperren geplant, es solle keine Zwangskennzeichnung geben, der Anbieterbegriff sei unglücklich formuliert gewesen, habe man aus der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz erfahren. Die Referentenebene habe eingeräumt, dass der Gesetzentwurf nicht gut gemacht – und auf jeden Fall anders gemeint – gewesen sei.

Jörg Olaf Schäfers zweifelte daraufhin auf Netzpolitik, ob dies denn alles so stimmen könnte: “Die Meldung bei Golem.de passte einfach nicht zur Nachrichtenlage der letzten Tage.” Schäfers bohrte noch einmal bei Golem nach, ob die Redaktion denn wirklich neue Quellen habe. Dort bezog man sich auf eine Pressemitteilung und ein Hintergrundgespräch. Schäfers wiederum schloss daraus: “Bei der Darstellung von Golem handelt es sich um die (alt-)bekannte und gestern noch einmal bestätigte Position der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz.”

Auch Alvar Freude wollte der “Alles nicht so gemeint”-Rhetorik aus Mainz nicht recht glauben und verwies noch einmal auf die sperrversessene Stellungnahme der Kommission für Jugendschutz, die einen erheblichen Einfluss auf den Gesetzgeber haben dürfte.

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Jugendmedienschutz-Staatsvertrag: Kein Kindernetz, aber auch kein gutes Gesetz

Was ist nun der echte Stand? Doch kein Kindernet? Kein Grund zur Mahnwache? Gibt es wirklich Anlass zu einer Entwarnung in Sachen JMStV?

Carta liegt eine Fassung des JMStV-Entwurfs vom 12. Februar vor. Diese Version entstand also nach der Anhörung vom 27. Januar. Mittlerweile wurden weitere kleinere Änderungen in den Entwurf eingefügt. Die aktuelle Version steht am Mittwoch in der Rundfunkkommission zur Abstimmung. Bereits am Donnerstag kommt es zu einer ersten Befassung der politischen Ebene. Eine weitere Anhörung und Einbeziehung der Öffentlichkeit vor Beschluss ist jedoch nach bisherigen Informationen nicht vorgesehen.

Keine Netzsperren: Internetprovider werden tatsächlich weitgehend aus der Pflicht genommen

Die neueste Fassung des JMStV sieht tatsächlich eine erhebliche Verbesserung für die Internetzugangsanbieter vor. Ursprünglich konnte man das Gesetz so lesen, dass Internetprovider als Anbieter im Sinne des Jugendschutzgesetzes für die altersgerechte Sperrung von Inhalten zuständig sein könnten. Dies wird nun tatsächlich klargestellt. Internetprovider sind keine Anbieter.

In § 3 des JMStV soll es nun heißen: Angebote seien “Inhalte im Rundfunk oder Inhalte von Telemedien im Sinne des Rundfunkstaatsvertrages”. Anbieter seien “Rundfunkveranstalter und Anbieter von Telemedien”. Dies bedeutet konkret: Internetprovider haften im Jugendschutz nicht als Anbieter. Sie können aber weiterhin nach § 59 Rundfunkstaatsvertrag zur Sperrung von Angeboten im Inland gezwungen werden, sofern sich andere Maßnahmen gegen die Anbieter als wirkungslos erwiesen haben. Diese Regelung wird von den Gerichten jedoch so gut wie nie angewendet und in höheren Instanzen meist wieder verworfen, da sie strengsten Verhältnismäßigkeitskriterien genügen muss (Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags).

Zusätzlich steht nun in § 11 JMStV, dass Internetprovider Jugendschutzprogramme lediglich “leicht auffindbar anbieten” müssen. Zuvor stand an dieser Stelle, die Provider müssten ein Jugendschutzprogramm “bereithalten”. Dadurch konnte der Gesetzestext so interpretiert werden, dass die Internetprovider selbst Jugendschutzfilter obligatorisch angeschaltet haben sollten.

Die Haftung der Internetanbieter wurde also ganz erheblich zurückgenommen, so wie es sich nach der Anhörung angedeutet hatte. In diesem zentralen und paradigmatischen Aspekt ist der neue JMStV-Entwurf tatsächlich besser als seine Vorversionen.

Doch dies bedeutet keine Entwarnung: Dieser JMStV-Entwurf ist ein disfunktionales, schlecht gearbeitetes Gesetz, das kaum etwas für den konkreten Online-Jugendschutz nutzt, aber dafür sonst viele Kollateralschäden bringt. Es ist ein Gesetz, dass in der alten Medienordnung verhaftet ist. Es droht in der Hand von 16 Staatskanzleien in Unverständlichkeit und Symbolpolitik zu zerbröseln. Netzpolitik wird hier von Rundfunkpolitikern betrieben.

Im Kern ergeben sich weiterhin folgende zentralen Kritikpunkte an dem Entwurf:

1. Missverstandene Konvergenz: Ein Jugendschutzgesetz für Rundfunk und Internet

Rundfunk und Internet sind zwei grundverschiedene Medien: Jugendschutz im Internet muss, wenn er funktionieren soll, völlig anders aufgebaut sein. Hier wird aber versucht, die Jugendschutzparadigmen der Rundfunkordnung auf das Internet zu übertragen. Das Ergebnis sind so phantasievolle Absurditäten wie Sendezeiten im Internet.

Der erste Schritt für einen sinnvollen und wirksamen Jugendschutz im Internet wäre es zu fragen: Wie könnte er funktionieren? Doch diese Frage stellt der Gesetzentwurf nicht. Dies erkennt man beispielsweise daran, dass er sich für Angebote aus dem Ausland kaum interessiert – sollen Jugendliche etwa nicht “im Ausland” surfen? Stattdessen wird hier versucht, beim Jugendschutz “nicht zu kapitulieren” und das Bewährte irgendwie dem Netz überzustülpen.

2. Neue Anbieterpflichten für Altersstufen und User-Generated-Content

Im neuen Jugendschutzrecht soll es vier Altersstufen geben: ab 6 Jahre, ab 12 Jahre, ab 16 Jahre und ab 18 Jahre. Die Anbieter von Websites sollen freiwillig kennzeichnen, für welche Altersgruppen ihre Inhalte geeignet sind. Zusätzlich müssen sich die Anbieter verpflichten, nutzergenerierte Inhalte auf jeden Fall altersstufenkennzeichnungsgerecht zu filtern. In der Granularität von vier Alterstufen verbunden mit für Laien kaum verständlichen Gummibegriffen wie “Beinträchtigung der gemeinschaftsfähigen Persönlichkeitsentwicklung” kann man dies als Anbieter nur noch leisten, wenn man sich bzw. den Redakteuren einen JMStV-Berater zur Seite stellt.

Weist der Inhalteanbieter die “freiwillig” gekennzeichneten Inhalte zudem mit der falschen Altersfreigabe aus, so können ihm hohe Geldstrafen drohen.

Dieser Jugendmedienschutz-Entwurf ist ein gravierender Eingriff in die Kommunikations- und Meinungsfreiheit der Inhalteanbieter, wozu im Netz bekanntlich potenziell jeder gehört. Den Inhalteanbietern werden mit den Altersstufen und bei der Einbindung von Nutzerinhalten erhebliche neue Auflagen gemacht. Wer sie nicht “freiwillig” einhalten will, muss damit rechnen, dass er für Nutzer unter 18 Jahren möglicherweise nicht mehr erreichbar ist.

Ein Hauptproblem des Gesetzentwurfs ist damit folgendes: Die neuen faktischen Anbieterpflichten stehen völlig unverhältnismäßig zu der erwartbaren geringen Verbesserung des Jugendschutzes. Das Gesetz sorgt für neuen Regulierungsstress bei Websitebetreibern, ohne dass der Schutz vor jugendgefährdenen Inhalten wirklich verbessert würde.

3. Es gilt die Schuldvermutung: Latentes Whitelist-Prinzip und Staats-API

Ein Grundansatz dieses Gesetzentwurfes ist es, eine Art gesetzlich protegierte Staats-API für Jugendschutzprogramme zu schaffen. Den Jugendschutzprogrammen soll durch anbieterseitige Kennzeichnung das Filtern vereinfacht werden. Dabei gilt hier implizit die Schuldvermutung und das Whitelist-Prinzip: Wer sich nicht selbst als unbedenklich deklariert, ist bedenklich. Wer als Anbieter nicht mitmacht, ist verdächtig – und könnte in den Filterprogrammen vorsichtshalber ausgefiltert werden.

Während den Inhalteanbietern sehr viel vorgeschrieben wird, steht im Gesetz erstaunlich wenig über die Funktionalitäten der Jugendschutzprogramme. Der Gesetzgeber hält es nicht für erforderlich, die Umschaltbarkeit von Whitelist- auf Blacklist-Verfahren bzw. die Standard-Einstellungen in den Filtern vorzuschreiben. Dies spricht Bände über das Denken hinter diesem Gesetz.

4. Weitere Einschränkung der neutralen Internetprovider-Position

Auch wenn die Internetprovider jetzt nicht direkt in Jugendschutzfragen haften – ihre neutrale Position wird weiter ausgehöhlt. Sie werden nun gezwungen, Jugendschutzfiltergramme für ihre Nutzer “leicht auffindbar” anzubieten. Eine solche Vorschrift verkennt die leichte Auffindbarkeit entsprechender Programme im offenen Internet. Sie nimmt die Interprovider symbolisch und durch die Hintertür doch wieder in die Pflicht. Das Gesetz stellt so eine weitere Einschränkung der neutralen Position der Internetprovider in der digitalen Kommunikationsordnung dar. Von dieser Aushöhlung bis zum Provider als Hilfssheriff ist es ein kurzer Weg.

5. Falsch verstandene Eigeninitiative und Freiwilligkeit

Das Jugendmedienschutzgesetz soll nach Vorstellung der Staatskanzleien die Eigeninitiative der Eltern und die Freiwilligkeit auf Seiten der Inhalteanbieter befördern. Den Eltern sollen – wenn von ihnen gewünscht – wirksame Jugendschutzfilter zur Verfügung stehen. Die Inhalteanbieter sollen irgendwie freiwillig mitmachen. Doch hinter der Rhetorik von Eigeninitaitive und Freiwilligkeit steht in Wirklichkeit vor allem die erhebliche indirekte Förderung von Jugendschutz-Zertifizierern. Statt die Bildung offener Jugendschutzstrukturen und einen Wettbewerb der Lösungsmodelle zu unterstützen, scheint das Gesetz eher die staatsnahen Institutionen – wie die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) und jugendschutz.net – zu fördern.

Fazit

Mit dem neuen Arbeitsentwurf hat der JMStV die Provider maßgeblich von der Verantwortung für den Jugendschutz entlastet. Es bleibt aber ein disfunktionales, verstolpertes Gesetz, das viel Ärger für die Anbieter und kaum etwas für den Jugendschutz bringt. Es ist ein Stück hilflose Symbolpolitik, mit der die 16 Bundesländer versuchen, ihre mangelnde Internetkompetenz zu überdecken.

Wir konnten hier nur einige aus unserer Sicht zentrale Kritikpunkte nennen. Die Liste ist keinesfalls vollständig. Daher sind wir auf Kommentare und Hinweise gespannt.

Nachtrag: Carta wird versuchen, den Entwurf des JMStV so schnell wie möglich zu veröffentlichen.

Update: Der Arbeitsentwurf des JMStV vom 18.2.2010 steht nun auf Carta zum Download bereit.


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