von Daniel Leisegang, 21.4.09
Keine Frage: Ein konsequentes Vorgehen gegen Kinderpornographie ist längst überfällig. Jedoch ist die Blockade von Webseiten ein denkbar unzweckmäßiger und vor allem unverhältnismäßiger Ansatz. Nicht nur lässt der Vorstoß der Ministerin eine politische Gesamtstrategie vermissen. Statt auf die verbotenen Inhalte direkt zuzugreifen, ist lediglich vorgesehen, die Zugangsstraße zu sperren. Pädophile werden auf diese Weise aber nicht von ihren Taten abgehalten und Kinder vor Missbrauch nicht geschützt.
Darüber hinaus bewegt sich die Bundesregierung mit der Einführung einer Zensur-Infrastruktur im Internet außerhalb verfassungsrechtlicher Grenzen. Ausgerechnet das Bundeskriminalamt (BKA) operiert fortan – ohne jegliche Kontrolle – als oberster Web-Zensor. Damit aber drohen die derzeitigen Pläne der Zensur beliebiger Online-Inhalte Tür und Tor zu öffnen.
Grundrechte beiseite gewischt
Die Internetblockaden schränken die in Art. 5 GG gesicherte Informations- und Rezipientenfreiheit massiv ein und berühren zudem das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG). Eine Sperrung von Webseiten ist rechtlich allein als Ultima Ratio vorgesehen und daher nur in wenigen begründeten Ausnahmefällen gestattet. Die Bundesregierung aber plant in Zusammenarbeit mit dem BKA, mehrere tausend Webadressen zu zensieren. Diese grundrechtlichen Bedenken wischt das Bundesinnenministerium kurzerhand beiseite. So sei das Fernmeldegeheimnisses von den Zensurmaßnahmen nicht betroffen, da es beim Internetsurfen nur zu Kommunikationsprozessen komme, „die dem Bereich der Massenkommunikation, wie etwa der Abruf von öffentlich zugänglichen Webseiten“, zufallen. Diese aber fielen „nicht unter den Schutzbereich des Art. 10 GG“. Schließlich sei das Aufrufen einer Website keine Individualkommunikation zwischen zwei oder mehr Personen; stattdessen komme es „lediglich zu einem Abruf von an die Allgemeinheit gerichteten Informationen.“
Eine gewagte Interpretation, die nicht nur ein weiteres Mal offenbart, wie leichtfertig die Bundesregierung bestehende Grundrechte ignoriert bzw. auszuhebeln versucht. Zudem wird deutlich, wie lückenhaft noch immer das Wissen um die Neuen Medien bei den vermeintlich Sachverständigen ist. Denn das Internet ist weniger ein Raum der Massenkommunikation, als vielmehr eine Sphäre, in der Nutzer – statt einfach nur Informationen abzurufen – auf unzähligen Webseiten interagieren und in selbstverwalteten Netzwerken kommunizieren.
Wer überwacht die Überwacher?
Nicht zuletzt haben die geheimen Filtersysteme ein enormes Missbrauchspotential zur Folge – erst recht, wenn weder Privatpersonen noch Verbraucherschützer oder Journalisten die Rechtmäßigkeit einer Sperrung überprüfen dürfen. Selbst das Minimum an demokratischer Gewaltenteilung, eine Prüfung der Zensurmaßnahmen durch die Judikative, ist nicht vorgesehen. Das BKA, das bereits auf dem besten Weg ist, zum deutschen FBI zu werden, wäre damit befugt, die Zensur jederzeit auf beliebige weitere Webseiten auszuweiten. Wenn aber die Behörde vollkommen freie Hand bei der Erstellung und Verwaltung der Zensurlisten erhält, wer überwacht dann die Wächter?
Was den Kritikern zu bleiben scheint, ist die Bekanntmachung der geheim gehaltenen Sperrlisten. Dies ist durchaus eine ambivalente Angelegenheit. Auf der einen Seite werden damit Links zu verbotenen Inhalten bekannt, und Kinderschutzgruppen mahnen zu Recht, dass Pädophile auf diese Weise Zugang zu Suchkatalogen erhielten. Auf der anderen Seite kann das demokratiefeindliche Zensurverhalten der Regierungen erst dann öffentlich diskutiert und kritisiert werden, wenn die unter Verschluss gehaltenen Listen bekannt sind.
Statt die berechtigten Zweifel der Bürgerrechtler ernst zu nehmen, geht die Bundesrepublik repressiv dagegen vor, wenn diese die fragwürdigen Ziele der Blockaden aufdecken. Mitte März veröffentlichte Wikileaks.org nichtöffentliche Zensurlisten der Australian Communications and Media Authority. Daraufhin kam es auch zu einer Hausdurchsuchung bei dem Inhaber der deutschen Domain. Dieser wurde verdächtigt, kinderpornographische Schriften verbreitet zu haben. Ein weiterer Blogger geriet gar in das Visier der Ermittler, als er einen Link zu einem Blog setzte, das wiederum die Liste bei Wikileaks verlinkte.
Bislang prescht die Bundesfamilienministerin in einer populistischen Debatte offensichtlich nur deshalb voran, um mit Hilfe eines außerordentlich sensiblen Themas Wahlkampf zu machen – und eine Zensur-Infrastruktur einzurichten. Diese wird zu erheblichen „Kollateralschäden“ führen, nicht zuletzt für die Demokratie und die Grundrechte in diesem Land. Damit aber droht das Schicksal der missbrauchten Kinder selbst missbraucht zu werden. Zum Schutz der Opfer ist von der Leyens Rezept dagegen gänzlich ungeeignet.
Daniel Leisegang ist Redakteur der “Blätter für deutsche und internationale Politik“. Dieser Text ist eine erheblich gekürzte Fassung seines Kommentars, der in der kommenden Woche in der Zeitschrift erscheinen wird. Ein Probeabonnement können Sie hier bestellen.
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