##hh2112

#hh2112: Determination von unten

von , 27.12.13

Wenn im Januar 2014 der neue “5 Freunde”-Film in den deutschen Kinos anläuft, wird den kindlichen Zuschauern unter anderem die Geschichte von dem bösen Investor erzählt, der Familien aus einer paradiesischen Bucht vertreiben will, um dort ein Luxushotel zu errichten. Was nicht allen Kindern klar sein wird: Das ist bittere Realität, auch direkt vor unserer Tür.

Der Film trägt dazu bei, dass die Schwarz-Weiß-Bilder früh gemalt werden: Kapital böse, Menschen gut. Schwarz-weiß bleiben auch oft die Bilder der Erwachsenen: Polizei böse, Demonstranten gut. Oder auch: Massenmedien böse, Blogger gut.

Über die Demonstrationen in Hamburg am 21. Dezember ist viel geschrieben worden. Und es hagelte reichlich Schelte an der Berichterstattung der Massenmedien: Sind doch die Massenmedien diejenigen, die die öffentliche Meinung prägen – auch zu den Ereignissen in Hamburg.

 

Die Rolle der Medien: Reduzierung der Komplexität

Dabei haben die Medien auf den ersten Blick alles richtig gemacht: Als Gatekeeper, die darüber entscheiden, welche Nachrichten überhaupt verbreitet werden, haben sie die Informationen zu den Geschehnissen in Hamburg durchgelassen und somit über Hamburg hinaus Aufmerksamkeit für die Proteste geschaffen.

Dabei ist es auch die Aufgabe der Medien, komplexe Sachverhalte zu vereinfachen, um sie für jedermann verständlich zu machen. Alle Hintergründe über die verschiedenen Auslöser der lokalen Wut lassen sich nicht detailgetreu und gleichzeitig einfach und kurz darstellen, und um überhaupt berichten zu können, sind sie dann auch noch auf Informationen der beteiligten Akteure angewiesen.

Davon ausgehend, dass die erste Meldung mit relevanten Informationen zuerst übernommen wird und außerdem der statushöchste Akteur die größte Aufmerksamkeit erhält, ist logisch, dass die dpa die Statements der Polizei in ihre Nachricht übernommen hat. So dominierten am Samstag gleichlautende und unvollständige Berichte über die Situation in Hamburg.

Die oberflächliche Kritik weitergedacht, führt ganz natürlich zu den Zusammenhängen, dass die Redaktionen wirtschaftlich unter Druck stehen, dünn besetzt sind, keine Zeit haben und sich insgesamt investigativen Journalismus in Zeiten von Medienkrisen und Internet kaum mehr leisten können.

Doch die Kritik an der unkritischen Übernahme von PR- und Agenturmeldungen ist nicht neu und kann nicht so einfach auf Wettbewerb und Internet geschoben werden.

 

PR-getriebene Politiknachrichten sind nichts Neues

Die Kommunikationswissenschaft hat schon in den 70er- und 80er-Jahren den Einfluss von PR auf Berichterstattung untersucht. Die bekanntesten Ergebnisse erzielte 1985 Barbara Baerns. So stellte sie anhand mehrerer Untersuchungen fest, dass die professionelle Öffentlichkeitsarbeit auch in der politischen Kommunikation die mediale Berichterstattung sowohl zeitlich als auch inhaltlich zu strukturieren vermag, wenn Journalisten auf eigenständige Recherchen verzichten.

Nicht weniger als zwei Drittel der Artikel über die Landespolitik von Nordrhein-Westfalen, die Baerns in ihrer berühmtesten Untersuchung verglich, gingen auf Meldungen der Pressestellen zurück. Die Transformationsleistung der Journalisten bestand lediglich darin, das Material zu kürzen (rund 90 Prozent). Eigenständige Recherche wurde nur in knapp 10 Prozent der untersuchten Fälle betrieben.

Die Meinungsvielfalt dank Medienvielfalt erwies sich als Fiktion. Und das, lange bevor das Internet die Welt eroberte. Später wurde diese Erkenntnis als “Determinationsthese” bekannt – mit der PR als Determinante, die die Presse beeinflusst.

Der PR-Treibende war im Hamburger Fall die Polizei, was es dem Leser schwer macht, Interessengebundenheit und Subjektivität als manipulativ zu erkennen. Die Polizei als “Freund und Helfer” handelt in den Augen der meisten schließlich stets zu unserer Sicherheit unser aller Wohl.

Die Aufgabe der Redaktionen wäre tatsächlich gewesen, auch die andere Seite zu hören – gerade in Hamburg, denn die verschiedenen Gründe, die die Hanseaten veranlasst haben, auf die Straße zu gehen, sind seit Monaten bekannt, und die gespannte Stimmung hat sich wochenlang aufgebaut. Die Unterlassung der Recherche stützt in diesem Fall die politische Entscheidung des SPD-Senats, die Konflikte um Esso-Häuser, Lampedusa-Flüchtlinge und Rote Flora dialogfrei auszusitzen.

 

Die Gegenöffentlichkeit als PR-Treibender

Während am Samstag noch während der Proteste in Hamburg die gleichlautenden Berichte auf Basis einer Agenturmeldung die üblichen Schwarz-Weiß-Muster der linken Krawallmacher gegen die Ordnung schaffende Polizei die Nachrichtenlage beherrschten, regte sich in den sozialen Medien Kritik an genau dieser Einseitigkeit:

Die politische Netzgemeinde nahm ihre Rolle als Gegenöffentlichkeit erneut kollektiv und reichweitenstark wahr und versorgte die Interessierten unter dem Hashtag #hh2112 mit Videos und Augenzeugenberichten, die die Agenturmeldung (und damit die verbreitenden Medien) Lügen straften. Selten war die Diskrepanz zwischen verbreiteter Meinung und Tatsachen so gut sichtbar.

Und das zeigte Wirkung: Am Sonntagabend berichtete erst die Tagesschau differenzierter, Montag folgten n-tv und der Freitag, am Dienstag schloss sich auch heise.de an.

Das ist freilich noch nicht ausreichend, um die Masse der Menschen zu einem Perspektivwechsel zu bewegen, aber es ist ein Anfang. Wenn nur zehn Menschen mehr beginnen, aufgrund der Berichte die Politik in Hamburg zu hinterfragen, ist es ein meinungsbildender Effekt, den die Gegenöffentlichkeit “Netzgemeinde” durch Einflussnahme auf mediale Berichterstattung erzielt hat.

Ist die Gegenöffentlichkeit als Determinante nun auch ein PR-Treibender?

Ja und nein: Denn auch die Gegenöffentlichkeit sucht die Reichweite, um ihre Botschaften unters Volk zu bringen. Sie ist interessengetrieben, nicht objektiv. Sie hat das Ziel, Einstellungen und Verhaltensweisen der Rezipienten zu verändern.

Sie ist organisiert (wenn auch anders als Institutionen und Unternehmen): Favs und RTs als verbreitende und verstärkende Unterstützungshandlungen machen die Netzgemeinde bei übereinstimmenden Interessen zu einer nicht-fixierten, aber temporären Organisation, die gemeinschaftlich ein gemeinsames Ziel verfolgt. Lediglich der Grad der Professionalisierung und der langfristigen strategischen Ausrichtung unterscheidet sie von der klassischen PR, die nach Baerns als Determinante beschrieben wird.

 

Das transparente Korrektiv als dauerhafter Teil der Medienlandschaft

Die Gegenöffentlichkeit hat hier als quasi-PR-Treibender korrigierend gewirkt und mit ergänzenden Informationen die mediale Berichterstattung objektiviert. Da sie so unterstützend für den Journalismus wirkt, kann sie dauerhaft zu einem Einflussnehmer auf die mediale Berichterstattung und Meinungsbildung werden.

Sie darf nur nicht in Eitelkeit verfallen und mit der Aussicht auf Reichweite und Ruhm ihren Einfluss zu manipulativen Zwecken missbrauchen: Ihren Erfolg verdankt sie ihrem Anspruch an Transparenz und Korrektur. Diesen Anspruch muss sie behalten.
 
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