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Frauen & Blogs: Die Rückkehr zur Normalität

von , 19.12.12

Gestern rief eine Redakteurin von frau.tv an und wollte wissen, wie es denn mit den weiblichen Politbloggern aussehe: Ein Anlass, nach meiner letzten größeren Bestandsaufnahme vom Januar 2010 mal wieder darüber nachzudenken.

Es hat sich gleichzeitig viel und wenig geändert. Ehe ich das auseinanderklamüsere, will ich kurz erklären, weshalb ich mich aus dem Thema rausgezogen habe.

 

Genderpolizei

2010 war ich sehr zuversichtlich, dass die vielen gescheiten Netzfrauen dabei sind, sich freizuschwimmen und die Möglichkeiten von Blogs und sozialen Netzwerken für ihre Anliegen zu nutzen. Die Mädchenmannschaft war eine Anlaufstelle, die auch Menschen angesprochen hat, die sich selbst als “nicht politisch” bezeichnen. Diskussionen wurden dort offen, sachlich und höflich geführt, außerdem waren viele Männer unter den regelmäßigen Kommentatoren, was der Lebenswirklichkeit entspricht. Leider hat sich das geändert.

Es war dieser neue, dogmatische Ton, der eine Zeitlang die gesamte Feminismusdebatte im Netz bestimmt und mich abgestoßen hat. Ich wollte mir nicht anhören, was ich erst mal alles lesen müsse, um überhaupt mitreden zu dürfen. Die akademische Diskussion ist wichtig, sollte aber an entsprechender Stelle stattfinden und nicht Frauen ausschließen, die sich mit dem ganz alltäglichen Wahnsinn der Geschlechterdebatte auseinandersetzen wollen. Eine neue, unabhängige Plattform dieser Art gibt es meines Wissens nicht, obwohl auf einzelnen Blogs weiterhin sachlich und allgemein verständlich diskutiert wird. Dabei wäre sie dringend notwendig.

Antje Schrupps Beitrag “Kein Bock mehr” beschreibt gut, wie ich mich fühle. Auch der Ausdruck Genderpolizei gefällt mir sehr: So komme ich mir vor, wenn wütende Kommentare mir vorwerfen, dass ich in meinen Texten nicht gendere. Für mich ist das eine Lesebremse, und Sprache ist mir nun mal wichtig. Wenn andere gendern möchten, ist das auch in Ordnung. Wer deshalb aus meinen Artikeln herauszulesen meint, ich sei frauenfeindlich, bitte. Es gibt da dieses riesige Netz, da ist für jeden Geschmack was dabei.

Ich habe absolut keine Lust, mich auf Debatten über Feminismus einzulassen, die sich nicht im Geringsten mit lebendigen, atmenden Frauen beschäftigen oder nur den Versuch machen, sie mitzunehmen. Für mich ist die Durchschnittsfrau eine, die Alltagsprobleme hat, und wenn die mit ihrem Frausein zusammenhängen, braucht sie Lösungen, und keine 50 Bücher oder ein Soziologiediplom. Sie braucht Rückendeckung, Selbstbewusstsein und ganz normalen Hausverstand. Man kann tatsächlich nützliche Strategien entwickeln, ohne jemals von Gender Studies gehört zu haben.

 

Ein falsches Politikbild

Mein Anliegen waren immer die Frauen, die sich selbst als unpolitisch bezeichnen. Es ist erstaunlich, wie weit dieses Selbstverständnis oft von der Wirklichkeit entfernt ist. Die Beschäftigung mit Politik machen viele Frauen immer noch daran fest, Namen von Politikern zu kennen, stets parat zu haben, welche Themen gerade im Bundestag behandelt werden und die weltpolitische Lage samt Akteuren in fünf Minuten auswendig zusammenfassen zu können. Falsch, Mädelz, das braucht kein Mensch.

Zu dieser Einstellung haben jahrzehntelang (Medienschelte, kommt jetzt, ihr habt sicher schon drauf gewartet) die Massenmedien beigetragen. Weder in der Sache, noch im Tonfall oder in der Ausdrucksweise haben sie beschrieben, was politische Ereignisse bedeuten und was an ihnen wichtig ist. Sie haben vergessen, einfach darzustellen, was an diesem und jenem den Einzelnen betrifft, welche Auswirkungen es auf jeden Bürger hat. Sie haben ihre Rolle als Übersetzer nicht wahrgenommen. Bis heute scheint ein Schreibwettbewerb stattzufinden, wer den abgehobensten politischen Text verfassen kann. Wenn Journalisten belehrend auf dem hohen Ross des Durchblickers sitzen und mit Fremdworten und Schachtelsätzen Vermutungen anstellen, ist das bestenfalls feuilletonistischer Unfug und die tätige Förderung von Politikverdrossenheit.

Hinzu kommt die gesellschaftlich verbreitete Ablehnung der politischen Klasse an sich, weil sie unverständlich, intransparent und/oder selbstsüchtig handelt. Eine Familienministerin etwa, die in der Seifenblase eines virtuellen Biedermeiers lebt und weltferne Gesetze beschließen lässt, hätte eigentlich die Aufgabe, sich mit den Lebensumständen “da draußen” vertraut zu machen und Bedingungen zu schaffen, die sie erleichtern oder vereinfachen.

Es ist verständlich, dass Frauen sich mit so etwas nicht beschäftigen wollen, sie haben wahrlich Besseres zu tun. Allerdings verzichtet diese schweigende Mehrheit dadurch freiwillig auf ihren politischen Einfluss. Mit dem Internet ist eine Ausdrucksmöglichkeit entstanden, die Abhilfe schaffen könnte, aber durch die eingangs beschriebenen Diskussionen im Elfenbeinturm ist eher Abschreckung entstanden.

 

Das Netz hat sich verändert

Es gibt viel mehr Frauenblogs als noch vor zwei Jahren, auch solche, die sich mit den Alltagsproblemen von Frauen beschäftigen, und die das in verständlicher und oft amüsanter Form tun. Doch das Kind müsste erst aus dem Brunnen geborgen werden: Die erste Welle der Netzbegeisterung ist vorbei. Damit sind auch viele Frauen wieder verschwunden, die eigentlich Interesse gehabt hätten, sich aber in der damals vorhandenen, männlich dominierten Blogosphäre nicht zurechtfanden oder ihre Bedürfnisse nicht abgebildet sahen. Inzwischen hat sich die Bloglandschaft verändert und konsolidiert. Gründe sind unter anderem das Thema Netzpolitik, von dem sich viele betroffen fühlen, und die immens gestiegene Akzeptanz des Internets als Kommunikationsmittel, die langsam auch in der Politik ankommt. So hat Nessy heute auf ihren offenen Brief ans Familienministerium eine ausführliche Antwort auf ihrem Blog bekommen – vor zwei Jahren noch unvorstellbar.

Das Internet wird nicht mehr als Biotop für Spinner wahrgenommen. Neben der Tatsache, dass es ein riesiger Wirtschaftsfaktor ist (was zu neuen Problemen führt, aber das ist eine andere Baustelle), werden Blogs und soziale Netzwerke mittlerweile auch von Referenten und Mitarbeitern in netzferneren Dienststellen sorgfältig beobachtet. Das sollte nicht unterschätzt werden. Zwar stehen immer noch Netzangst und peinliches Unwissen im öffentlichen Fokus, aber die Einsicht, dass dieses Netz nicht mehr weggeht, ist doch Konsens. Und die Beschäftigten in den Ministerien sind großenteils jung und fit; dass sie keine Entscheidungsbefugnis haben, sagt nichts über ihren internen Wirkungsgrad aus.

Es ist ein großer Fortschritt, dass so unterschiedliche Politikerinnen wie Tabea Rößner (Grüne), Dagmar Wöhrl (CSU) oder Halina Wawzyniak (Die Linke) – neben vielen anderen – engagiert bloggen und twittern. Dahinter steht auch die Erkenntnis, dass der Rückkanal für die politische Arbeit nur nützlich sein kann. Wer eine twitternde Politikerin anspricht, bekommt fast immer Antwort – Frauen scheinen da weniger Berührungsängste zu haben, denn bei den twitternden Männern sind (sinnvolle) Antworten immer noch die Ausnahme. Diese Präsenz wird weitere Frauen ermutigen, auch ins Netz zu kommen.

 

Ins Netz schreiben

Die Debatte über die Unterschiede zwischen Bloggern und Journalisten ist weitgehend durch, unter Frauen hat sie auch kaum stattgefunden. Nach den Ereignissen während des arabischen Frühlings und in Fukushima hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Beide sich gegenseitig ganz gut ergänzen. Unter den Jüngeren ist das ohnehin kein Thema mehr. Das Argument, nicht schreiben zu können “wie ein Journalist”, ist damit obsolet (wobei sowieso nicht feststeht, dass Journalisten per se besser schreiben).

Die Vernetzung hat sehr erfreulich zugenommen. Blogs verlinken sich gezielter. Auf Twitter findet schnelle Verständigung statt, wenn man etwas wissen oder ein Thema publik machen will. Man kennt sich, Neue werden freundlich und hilfsbereit aufgenommen. Retweets sind ein Gebot der Höflichkeit, wenn man weiß, das Thema liegt der Absenderin besonders am Herzen, Rückfragen oder Absprachen sind per DM unkompliziert und schnell möglich. Und natürlich ist es die großartigste Informations- und Gossipquelle, die ich mir denken kann. (Facebook kann ich nicht leiden, dafür bin ich auf Google+.)

Nun wird nicht Jede, die twittert oder auf Facebook oder G+ unterwegs ist, gleich ein Blog aufmachen. Wichtig ist aber, dass die Bekanntheit der verschiedenen Blogging-Möglichkeiten zugenommen hat. Es ist etwas anderes, beispielsweise auf dem einfach einzurichtenden und zu bedienenden tumblr mit ersten Gehversuchen zu posten, wenn man sowieso schon bei Facebook ist. Damit ist der erste Schritt zum eigenen, “richtigen” Blog getan, und man kann es ja erst mal ausprobieren und nur für den engsten Freundeskreis freigeben. Der auch kommerziell große Erfolg der Koch- und Modeblogs zeigt, dass es jede kann, die schreiben mag und ein Thema hat, mit dem sie sich auskennt.

Es fehlt eine Anlaufstelle, wo Frauen über gelegentliches Kommentieren allmählich ins selbst Schreiben reinrutschen können. Ich bekomme häufig Mails, die ohne Weiteres als Blogartikel taugen würden, die Absenderinnen möchten sie aber durchaus nicht veröffentlichen, nicht einmal in den Kommentaren. Im gestrigen Gespräch mit der Redakteurin vermutete sie, das habe vielleicht mit der Angreifbarkeit zu tun, der man sich damit aussetze. Ich glaube das nicht. Meine These von vor zwei Jahren “Klappern, laut sein!” steht noch, sie enthält aber keineswegs die Forderung, gleich mit dem Klarnamen loszulegen, und laut sein ist auch keine Voraussetzung, um seine Meinung im Netz aufzuschreiben. Die Pseudonymität ermöglicht ja gerade die geschützte Meinungsäußerung; sie ist für viele Bloggerinnen, die ich kenne, der entscheidende Auslöser gewesen, es zu versuchen. Diese Frauen wollen sich nicht verstecken, geschweige denn, irgendwelchen Unrat absondern. Sie schaffen sich dadurch vielmehr einen Freiraum abseits ihres Alltags und die Möglichkeit, eine bestimmte Seite ihres Wesens darzustellen. Das fordert Unterstützung und Anerkennung, denn je mehr Frauen ins Netz schreiben, desto besser werden sie wahrgenommen, desto mehr steigt insgesamt der Einfluss von Frauen.

 

Traut euch!

Der Knackpunkt ist nach wie vor die eigene Einstellung, man “verstehe nichts von Politik”. Dann beobachtet euch doch mal abends bei den Fernsehnachrichten. Ihr sitzt da bestimmt immer seelenruhig im Sessel, auch, wenn Frau von der Leyen und Herr Rösler einen geschönten Armutsbericht veröffentlichen wollen, nicht wahr? Findet ihr ganz normal, klar, wie auch das Betreuungsgeld, das der alleinerziehenden Sozialhilfeempfängerin nicht im Geringsten hilft, oder? Altersarmut ist natürlich auch nicht euer Bier.
Denkt mal drüber nach.

Man muss nicht an hochgestochenen Diskussionen teilnehmen oder die veröffentlichte Meinung teilen, um mitreden oder -schreiben zu können. Es reicht ganz und gar, eine Meinung zu haben und genügend Deutsch zu können, um sie so aufzuschreiben, dass andere sie verstehen. Macht ihr doch jeden Tag – ihr unterhaltet euch bei der Arbeit, im Supermarkt, im Kindergarten oder in der Schule, im Bus, mit der Familie und mit Freunden. Und dabei sagt ihr nie etwas “Politisches”? Sorry, ihr seid lausige Schwindlerinnen.

Also: Es hat sich viel getan, das Internet ist keine Nerdecke oder Männerdomäne mehr. Frauen werden ebenso gerne gelesen wie Männer, und aus demselben Grund: Sie haben etwas zu sagen, weil sie über ihre Anliegen nachdenken und ihnen klar wird, dass andere dieselben haben. Es gibt kein Thema, das uninteressant ist. Wer im Netz unterwegs ist, weiß, dass es für die wildesten Hobbies und Interessen irgendwo ein paar Blogs gibt. Macht die Augen auf und sucht eure Nische.
 
Nachsatz
Liebe Medien,

von euch wünsche ich mir, dass ihr die Unwilligkeit der Politiker ausgleicht, sich mit Alltagsproblemen zu beschäftigen. Dafür seid ihr da: Dem gewöhnlichen Bürger zu erklären, was Sache ist. Nehmt zur Kentnis, dass die Bevölkerung nicht überwiegend aus Akademikern und Feuilletonlesern besteht. Seht euch die Sorgen und Nöte der Menschen an und fragt sie, was sie bewegt, bekümmert und freut. An frau.tv: Seid bissig. Macht den Frauen klar, dass sie etwas bewegen können – und dass sie sich dafür selbst bewegen müssen.
 

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