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FAZ/SZ gegen Perlentaucher: Was darf eine Kurzzusammenfassung?

von , 14.7.10

Heute wird vor dem Bundesgerichtshof über zwei Revisionen – sowohl der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als auch der Süddeutschen Zeitung – gegen zwei nahezu identische Urteile des Oberlandesgerichts Frankfurt mündlich verhandelt. In beiden Fällen geht es darum, inwieweit Kurzzusammenfassungen von Originalbuchrezensionen („Abstracts“), die im Streitfall von dem Feuilleton-Onlineportal Perlentaucher verfasst und an Dritte lizenziert werden, zulässig sind oder ob sie das Urheberrecht an den Originalkritiken verletzen.

Die Rezension der Rezension: Verkauf zulässig?

Der Perlentaucher fasst Originalbuchkritiken, die etwa in der FAZ und SZ erscheinen, kurz – regelmäßig nicht länger als 6 bis 9 Zeilen – zusammen. Diese „Rezensionsnotizen“ (sogen. „Abstracts“) stellt der Perlentaucher auf seine eigene Webseite. Zudem – und nur hiergegen richten sich die Klagen – lizenziert er die Abstracts gegen eine Vergütung an Online-Buchshops, wie beispielsweise buecher.de. Dabei sind auf der Homepage der Online-Buchshops neben den Abstracts des Perlentauchers regelmäßig auch die umfangreicheren Originalkritiken für die Kaufinteressenten kostenlos abrufbar.

Die FAZ und SZ sehen in den Abstracts und deren Lizenzierung an Online-Buchshops eine Urheberrechts-, Marken- sowie Wettebewerbsrechtsverletzung durch den Perlentaucher und klagten auf Unterlassung und Schadensfeststellung.

Im Folgenden werden die Entscheidungen der Vorinstanzen – Landgericht Frankfurt sowie OLG Frankfurt – aus urheberrechtlicher Perspektive zusammengefasst und im Anschluss ein Ausblick auf die anstehende Entscheidung des BGH gegeben. Auf eine vermeintliche Markenrechts- und Wettbewerbsrechtsverletzung wird dagegen nicht eingegangen, da sie in den Urteilen (bislang) keine entscheidungserhebliche Rolle spielten.

Entscheidung in erster Instanz: LG Frankfurt

Das LG Frankfurt hat beide Klagen mangels Urheberrechtsverletzung abgewiesen.

1. Zulässige Inhaltsmitteilung

Als Begründung führte es aus, dass Abstracts eigengestaltete Kurzfassungen der Originalkritiken sind, die dazu dienen, den Leser über den wesentlichen Inhalt der Originalkritik zu informieren. Dabei fehlt es den Abstracts aber an einer 1:1 Dokumentation von Textauszügen, da allenfalls sehr kleine Teile der Originalkritiken, etwa einzelne Wörter oder Satzteile übernommen werden, die jedoch aufgrund ihrer Kürze keine Werkqualität aufweisen, so dass die kleinen übernommenen Teile für sich genommen keinen Urheberrechtsschutz genießen.

Die Abstracts sind nach Auffassung des LG Frankfurt zulässige Inhaltsmitteilungen. Gemäß § 12 Abs. 2 UrhG ist es dem Urheber vorbehalten, den Inhalt seines Werkes öffentlich mitzuteilen oder zu beschreiben, solange weder das Werk noch der wesentliche Inhalt oder eine Beschreibung des Werkes mit seiner Zustimmung veröffentlich ist. Hieraus zieht das LG Frankfurt im Umkehrschluss, dass nach Erschöpfung des Mitteilungsvorbehalts, jedermann den Inhalt des Werkes öffentlich mitteilen oder beschreiben kann, ohne den Urheber fragen zu müssen.

Da die den Abstracts zu Grunde liegenden Originalkritiken bereits mit Zustimmung der jeweiligen Urheber erstveröffentlicht worden sind – sie waren bereits in der FAZ oder SZ abgedruckt –, handelt es sich bei den Abstracts nach Auffassung des LG Frankfurt um Inhaltsmitteilungen im Sinne des § 12 Abs. 2 UrhG. Die Zulässigkeit solcher Inhaltsmitteilungen soll nach dem LG Frankfurt insbesondere davon abhängen, ob die Abstracts die Originalkritik und damit die Lektüre des Originaltextes teilweise oder ganz ersetzen.

2. Keine Ersetzung des Originaltextes

Ob eine Ersetzung bzw. Substitution des Originaltextes vorliegt, soll sich nach der objektiven Eignung der einzelnen Beiträge, nach Umfang, Inhalt und Darstellungsform richten, wobei die Zeilenanzahl oder ein bestimmter Umfang des Abstracts im Verhältnis zum Umfang der Originalveröffentlichung für sich genommen kein geeignetes Abgrenzungskriterium darstellen. Außerdem sind bei der Frage, ob ein Abstract einen Originalbeitrag ersetzt, auch die subjektiven Bedürfnisse des Lesers zu berücksichtigen. Hierbei ist aber nicht entscheidend, dass das Abstract in einem Einzelfall für einen Leser das Original ersetzt, sondern ob in einer überwiegenden Anzahl der Fälle und nach der dem jeweiligen Abstract zugrundeliegender Zweckbestimmung eine Ersetzung des Originalbeitrags vorliegt.

Im konkreten Fall hat das LG Frankfurt eine Ersetzungsfunktion der Abstracts abgelehnt, da

  1. die Inhalte der sich gegenüberstehenden Texte,
  2. deren jeweilige Zweckrichtung sowie
  3. das Informationsbedürfnis der Nutzer gegen eine Ersetzung des Originaltextes sprechen.

Ein Leser einer ausführlichen Literaturkritik in einer überregionalen Zeitung wird sich nicht damit begnügen, „nur“ das Abstract zu lesen. Auch wird er sich nicht darauf verlassen, dass die Abstracts die maßgeblichen Wertungen der Originaltexte unverfälscht wiedergeben, zumal die Abstracts regelmäßig keine Angaben zum Originalgeschehen oder Ausführungen zum Erzählstil des Autors enthalten. Zudem wird der interessierte Nutzer durch das Abstract eher zur Originallektüre angeregt als dass ihm die Originalkritik ersetzt wird.

Schließlich führt das LG Frankfurt gegen eine Substitution der Originaltexte durch die Abstracts an, dass auf der Homepage der Online-Buchhandlungen neben den Abstracts auch die Originalkritiken ohne weiteren Kostenaufwand eingesehen werden können.

Mangels Urheberrechtsverletzung sind die Klagen abgewiesen worden. Auch eine Marken- und Wettbewerbsrechtsverletzung hat das LG Frankfurt abgelehnt.

Entscheidung in zweiter Instanz: OLG Frankfurt

Auch das OLG Frankfurt hat die Berufung(en) der FAZ und SZ gegen die oben geschilderten Urteile des LG Frankfurt im Ergebnis zurückgewiesen, jedoch mit einer anderen Begründung.

1. Abgrenzung unfreie Bearbeitung und freie Benutzung

Eine Urheberrechtsverletzung soll entgegen der Entscheidung des LG Frankfurt nicht bereits deshalb ausscheiden, weil es sich bei dem Abstract um eine zulässige Inhaltsmitteilung gemäß § 12 Abs. 2 UrhG handelt. Denn das Urhebergesetz gestattet nicht jegliche Art von Inhaltsmitteilung bzw. –beschreibung. Insbesondere ist eine Inhaltsmitteilung, die zum überwiegenden Teil aus übernommenen Stücken des Originals besteht nicht gestattet. In einem solchen Fall handelt es sich um eine nach § 23 UrhG unfreie Bearbeitung des Originalwerks, die der Zustimmung des Urhebers bedarf. Dagegen ist nach § 24 UrhG eine freie Benutzung ohne Zustimmung des Urhebers erlaubt, sofern es sich um ein selbständiges Werk handelt, dass in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist.

2. Kriterien für die Abgrenzung

Für die urheberrechtliche Zulässigkeit der Abstracts kommt es nach der Entscheidung des OLG Frankfurts deshalb maßgeblich darauf an, ob es sich bei dem Abstract um eine freie Nutzung der Originalrezension (§ 24 UrhG) – Abstract ist ohne Zustimmung erlaubt – oder um eine unfreie Bearbeitung (§ 23 UrhG) – Abstract ist ohne Zustimmung nicht gestattet – handelt. Bei der Abgrenzung sind nach dem OLG Frankfurt insbesondere die folgenden Kriterien zu berücksichtigen.

(1) Eine freie Nutzung nach § 24 UrhG setzt ein eigenes Werkschaffen voraus, d.h. die Abstracts müssten ihrerseits urheberrechtlich schutzfähige Werke sein. Das OLG Frankfurt äußert angesichts der geringen Anzahl der Zeilen, nur ca. 6 bis 9 Zeilen, zwar Bendenken an der urheberrechtlichen Schutzfähigkeit der Abstracts. Im Ergebnis bejaht es aber dann doch die urheberrechtliche Schutzfähigkeit der Abstracts, da die eigene persönliche Schöpfung des Abstract-Verfassers in der

  1. Ermittlung des Kerngehalts der Originalrezension und
  2. in der Komprimierung der gesamten Rezension auf diesen Kerngehalts zu sehen ist.

Danach liegt die für die urheberrechtliche Schutzfähigkeit notwendige schöpferische Leistung darin, auf knappsten Raum den wesentlichen Inhalt der deutlich umfangreicheren Original-Kritik wiederzugeben. Als Vergleich zieht das OLG Frankfurt das Schaffen des Autors eines Sammelwerkes heran, der seinerseits ein urheberrechtlich schutzfähiges Werk aus jeweils urheberrechtlich geschützten Einzelwerken komprimiert.

(2) Für die Abgrenzung zwischen freier Nutzung und unfreier Bearbeitung soll es bei Abstracts – anders als im Regelfall, wo entscheidend ist, ob angesichts der Eigenart des neuen Werks die entlehnten eigenpersönlichen Züge des geschützten Werkes verblassen –, maßgeblich auf Kriterien ankommen, die aufgrund eines eigenschöpferischen Schaffens einen so großen inneren Abstand zum benutzten Werk einhalten, dass sie als selbständig anzusehen sind. Kriterien für ein selbständiges Werk sind nach dem OLG Frankfurt insbesondere:

  1. Der eigenständige schöpferische Gehalt des Abstracts ist umso größer, je stärker es dem Abstract-Verfasser gelingt, das besprochene Originalwerk zu komprimieren und dabei gleichwohl dessen wesentliche Gedanken mitzuteilen;
  2. die Individualität des Abstracts ist umso größer, je weiter es sich vom Aufbau des Originalwerkes entfernt, dabei ist ein Abstract, das in der Darstellung und Gliederung weitgehend dem Vorbild folgt, regelmäßig nicht als freie Benutzung anzusehen;
  3. zudem ist es von Bedeutung, inwieweit der Abstract-Verfasser Passagen aus dem Originalwerk wörtlich oder fast wörtlich übernimmt: Je häufiger solche Übernahmen festzustellen sind, umso geringer ist der Abstand zum Originalwerk zu veranschlagen. Dabei spielt die wörtliche Übernahme rein deskriptiver Begriffe – wie etwa „das Buch hat 603 Seiten“ oder „das Buch spielt in der Übergangszeit vom Osmanischen Reicht zur türkischen Republik“ – jedoch keine Rolle, weil der Abstract-Verfasser mit Blick auf die deskriptiven Begriffe keinerlei Handlungsspielraum hat.

(3) Schließlich ist bei der Abgrenzung von unfreier Bearbeitung und freier Nutzung auch die Wertentscheidung des Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz zu berücksichtigen. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt nicht nur die Verbreitung der eigenen Meinung, sondern auch die bloße Berichterstattung, selbst wenn damit kommerzielle Zwecke verfolgt werden. Deshalb muss § 24 UrhG als urheberrechtliche Schrankenbestimmung im Lichte der Meinungs- und Pressefreiheit ausgelegt werden.

Unter Zugrundelegung der vorstehenden Kriterien gelangte das OLG Frankfurt zu dem Schluss, dass es sich bei den Abstracts noch um eine freie – und damit zulässige – Nutzung handelt. Insbesondere weil die Abstracts auf eine Kurzform komprimiert und dabei vieles vom Originaltext weggelassen und in einer vom Original deutlich abweichenden Weise zusammengefasst worden sind. Außerdem ist der Gedankengang der Originalrezension verändert worden, z.B. sind Passagen, die im Original am Anfang stehen, beim Abstract am Ende zu finden. Auch sind nur ganz vereinzelt Worte und Wortfolgen aus der Originalkritik wörtlich in das Abstract übernommen worden, wobei es sich dabei überwiegend nur um deskriptive Begriffe handelt, die aufgrund ihres beschreibenden Charakters ohnehin nicht vermieden werden können.

3. Keine Ersetzung des Originaltextes

Ferner ersetzen die Abstracts auch nach Auffassung des OLG Frankfurt die Originalrezensionen nicht, da die Originalrezensionen gleichzeitig und kostenfrei auf der gleichen Homepage abrufbar sind. Das OLG Frankfurt stellt aber ausdrücklich klar, dass dies anders zu beurteilen wäre, wenn die Originalkritiken nicht auch gleichzeitig in der Internet-Buchhandlung abrufbar wären, sondern erst mit größerem Aufwand gefunden werden könnten. In diesem Fall käme den Abstracts eine Ersetzungsfunktion zu, so dass eine unfreie Bearbeitung und damit – ohne Zustimmung – eine Urheberrechtsverletzung vorliegen würde.

Ausblick: Klärung für den Moment, neue Fragen durch Leistungsschutzrecht

Der BGH wird voraussichtlich insbesondere auf die folgenden rechtlichen Fragestellungen eingehen:

  1. urheberrechtliche Schutzfähigkeit eines Abstracts;
  2. Grenzen der freien Benutzung und
  3. Umfang und Voraussetzungen der Ersetzungsfunktion bei Abstracts.

Auch wenn der BGH die vorinstanzlichen Entscheidungen bestätigt und damit eine Urheberrechtsverletzung ablehnt, wäre die Rechtsfrage vermutlich nur für den Moment geklärt, aber nicht endgültig. Je nachdem, ob und in welcher konkreten Ausgestaltung das derzeit diskutierte Leistungsschutzrecht für Verlage eingeführt wird, ist zu erwarten, dass die Problemstellung erneut auftaucht, nur in anderer Gestalt.

Abhängig von der konkreten Ausgestaltung, könnte das Leistungsschutzrecht – wie der BGH schon für das Leistungsschutz der Tonträgerhersteller entschieden hat – bereits die Übernahme kleinster Informationspartikel (einzelne Wörter und Satzteile) sanktionieren. Folglich könnten die Verlage unter Berufung auf ihr Leistungsschutzrecht (erneut) gegen Abstracts, die einzelne Wörter oder Wortteile der Originalkritik enthalten, vorgehen.

Dr. Julia Schulz ist Rechtsanwältin in Berlin. Sie berät zu allen Fragen des Geistigen Eigentums, insbesondere zum Urheber- und Lizenzrecht sowie Marken-, Patent- und Wettbewerbsrecht. Sie ist an dem Verfahren nicht beteiligt. Eine ausführliche rechtliche Analyse der anstehenden BGH-Entscheidung zur Frage der Zulässigkeit von Abstracts in einer juristischen Fachzeitschrift ist geplant.

Außerdem dazu heute auf Carta:
Till Kreutzer: Die Causa Perlentaucher: Soll das Urheberrecht etwa auch den Inhalt schützen?

Einen Text in eigenen Worten wiederzugeben kann keine Urheberrechtsverletzung sein – im Sinne des Allgemeinwohls sollte der BGH sich in seiner anstehenden Entscheidung im Fall FAZ/SZ gegen Perlentaucher darauf besinnen und die Freiheit der Informationslandschaft – on- wie offline – sichern.

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