#BVerfG

Ein paar Gedanken zu den Sperrklauseln bei Wahlen

von , 27.2.14

Das Bundesverfassungsgericht hat die gerade erst eingeführte Dreiprozenthürde für die Europawahl für nichtig erklärt. Sie sei, so das Gericht, unter den gegebenen rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen mit den Grundsätzen der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit nicht vereinbar. Bei der Europawahl am 25. Mai haben also jetzt auch kleine Parteien die Chance ins EU-Parlament einzuziehen, sofern sie zumindest so viele Stimmen erreichen, dass sie eine(n) Abgeordnete(n) entsenden können. Bei aktuell 99 deutschen Europaabgeordneten genügt ca. 1 % der Stimmen, um ein Mandat zu erringen.

Das Sondervotum des Richters Müller erscheint mir beachtenswert. Für die Frage, wann eine Funktionsbeeinträchtigung des Parlaments droht, sieht Müller einen weiten Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers, über den sich der Senat nach seiner Meinung hinweggesetzt hat.

Mich überzeugt diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch deshalb nicht, weil man gleichzeitig die Fünfprozenthürde bei der Bundestagswahl weiterhin für verfassungskonform erachtet. Was ist also insoweit das maßgebliche Differenzierungskriterium? Es geht offenbar um die Frage der Funktionsfähigkeit eines Parlaments.

Das Bundesverfassungsgericht betont insoweit für nationale Parlamente, dass dort die Bildung einer stabilen Mehrheit für die Wahl einer handlungsfähigen Regierung und deren fortlaufende Unterstützung nötig ist. An dieser Stelle kann man natürlich fragen, ob die Wahl einer stabilen Regierung tatsächlich die vorrangige Aufgabe eines Parlaments ist. Zudem ist ebenso wie für die europäische Ebene unklar, was eine Absenkung oder Preisgabe der Fünfprozenthürde tatsächlich bewirken würde.

Möglicherweise nicht viel, außer, dass sich – wie in anderen Ländern auch – eben mehr als zwei Fraktionen zu einer Koalition zusammenschließen müssen. In Deutschland spukt auch weiterhin das Gespenst von Weimar umher. Man kann allerdings die gesellschaftlichen, politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse heute kaum mit denen der zwanziger Jahre vergleichen. Auch in Deutschland dürfte keine Funktionsunfähigkeit des Bundestages drohen, wenn man die Fünfprozenthürde absenkt. Die etablierten Parteien haben an einer solchen Gesetzesänderung kein Interesse, weil sie dadurch selbst Mandate verlieren würden.

Meines Erachtens ist das Bundesverfassungsgericht mit dieser Entscheidung einen Schritt zu weit gegangen und der Versuchung erlegen, sich auf dem Experimentierfeld EU zum Ersatzgesetzgeber aufzuschwingen. Andererseits erscheint mir die Aufrechterhaltung einer Fünfprozenthürde bei den Bundestagswahlen bei gleichzeitiger Preisgabe jeglicher Sperrklausel bei den Europawahlen wenig konsequent. Offenbar betrachtet man diese Wahlen auch in Karlsruhe für weit weniger bedeutend als nationale Wahlen. Das ist despektierlich und falsch.

Crosspost von internet-law

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