von Philipp Steuer, 23.6.12
Mit Verwunderung sah ich heute [am 22.] auf Google+ die Meldung von DRadio Wissen, dass man ab sofort Google+ den Rücken kehre und sich stattdessen weiter Facebook und Twitter widmen möchte. Der Grund: Die User würden zu wenig auf die Beiträge eingehen, und dadurch verliere die Seite an Relevanz.
Die Ankündigung sorgte für eine große Kommentarflut, die sie auf Platz 2 der angesagten Beiträge katapultierte. Ich habe mir die Seite angeschaut und möchte direkt vorweg sagen:
Liebes DRadio Wissen, es liegt an euch, dass die User nicht mit euch sprechen wollen!
Es ist schon beinahe tragisch, dass ausgerechnet die Abschieds-Nachricht zu einem angesagten Beitrag wird und die höchste Kommentarquote für die Seite auf Google+ bisher bedeutet.
Doch fangen wir ganz von vorne an: Am 9.11.2011 ging die DRadio Wissen Google+ Seite mit dem folgenden Beitrag an den Start:
DRadio Wissen – Hirn will Arbeit. Ab sofort auch auf Google+. Als Ergänzung zu unserer Website, zu Facebook und Twitter gehen wir auch hier an den Start. – Habt Ihr Wünsche oder Anregungen für uns? Was erwartet Ihr von G+? Wo liegen Eurer Ansicht nach die Stärken des Netzwerkes? Wo die Schwächen? Wir würden uns natürlich auch übers Teilen freuen!
Aus Social Media-Sicht doppelt positiv: Zum einen, weil der Beitrag sehr zum diskutieren und mitmachen anregt, zum anderen, weil man sich sehr früh dafür entschied, das Abenteuer Google+ zu wagen. Bis zum heutigen Tag weist die Seite 3.731 Follower auf, was eine anständige Zahl im deutschen Vergleich ist, mit der man definitiv arbeiten kann.
Aktivität vorhanden – aber nicht beachtet
Kommen wir auf die Sache mit der mangelnden Aktivität zurück und schauen uns die Statistik an: Neben dem heutigen Abschieds-Post ist z.B. dieser Beitrag mit dem Thema “kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel” über 68-mal geplusst, 32-mal geteilt worden und fuhr 64 Kommentare ein. Dieser Beitrag liegt auch nur zwei Monate zurück und zeigt, dass definitiv Aktivität seitens der User vorhanden ist.
Schaut man sich die Facebook-Seite im Vergleich an, so stehen zwar 24.478 „Gefällt mir“-Angaben zu Buche, aber ein durchschnittlicher Beitrag wird dort auch “nur” 10 bis 30-mal geliked, und die Anzahl der Kommentare ist auch sehr überschaubar. Das kann also definitiv kein Argument sein.
Das Prinzip Google+ missverstanden
Ich möchte noch mal betonen, dass ich die Themen von DRadio Wissen sehr interessant und tiefgründig finde, vor allem im Vergleich zu dem Medienmatsch, mit dem man sonst tagtäglich beschallt wird.
Aber: Es wurden gravierende Fehler gemacht, so dass man sich über mangelnde Beteiligung nicht wundern darf. Ich möchte dies nun anhand konkreter Beispiele ausführen:
1. Die Seite sieht stiefmütterlich behandelt aus
Während der Twitter-Account und die Facebook-Seite optisch passend gestaltet wurden, sticht einem auf der Google+-Seite (siehe Screenshot oben) direkt der 0815-Banner ins Auge, der bei Googles Designumstellung Anfang April eingeführt wurde. Hier könnte man prima dasselbe Banner-Bild wie bei Facebook oder etwas anderes einbauen. Momentan sieht die Seite auf den ersten Blick einfach vergessen aus.
Gleiches gilt für die Info-Seite: Statt eines warmen Begrüßungstextes findet man hier nur das kurze Motto (das ich im übrigen super finde) und die Adresse. Kein “Schön, dass ihr hier seid” oder “Wir posten hier Beiträge zu den Themen Wissen, Kultur und Hörfunk”. Schon ein Teil der aufgezählten Punkte würde die Seite direkt sympathischer und lebendiger machen.
2. Großes Optimierungspotential der Beiträge
Auf Facebook kann man problemlos Links mit einem kurzen Hinweis teilen, auf Twitter geht es wegen der Zeichenbegrenzung auch nicht anders. Auf Google+ hingegen wird das reine Posten von Links meistens mit Ignoranz abgestraft. Wieso? Weil die Nutzerschaft anspruchsvoll ist und gerne im Vorfeld kurz und knapp wissen möchte, was für Inhalte sich hinter dem Link verstecken. Das immerhin hat DRadio Wissen versucht.
Aber:
Nicht ohne Grund hat man beim Verfassen von Beiträgen die Optionen, Wörter oder ganze Absätze zu formatieren. Überschriften kann man zum Beispiel fett machen, darunter direkt eine weiter erklärende Überschrift kursiv formatieren. Dadurch kann man den Beitrag optisch gliedern, und das Ganze bekommt einen ganz anderen Charakter. Ebenso sollte man bei jedem Beitrag die Möglichkeit ausschöpfen, große Bilder mit dem Inhalt zu verknüpfen: Das steigert die Aufmerksamkeit drastisch.
3. Die Aktivität wird bemängelt – aber selbst ist man nicht aktiv
Das ist wohl einer der größten Kritikpunkte, die ich an dieser Stelle anbringen möchte: DRadio Wissen ist – zumindest in den letzten Beiträgen – niemals in den Kommentaren erneut aktiv geworden, falls Fragen seitens der User aufkamen. Ebenso wurden weder +1 verteilt oder auf eine andere Art und Weise mit den Lesern interagiert.
Von nichts kommt eben nichts. So abgedroschen dieses Sprichwort auch sein mag: Für mehr Aktivität muss man Fragen stellen, auf die Leser eingehen und dadurch die Diskussion fördern. Die Reaktionen der User auf den Abschiedspost haben doch gezeigt, dass man die Themen gerne verfolgte und es schade findet, dass DRadio Wissen Google+ den Rücken kehren will.
Bleibt bei Google+
Dieses Beispiel zeigt deutlich, was passieren kann, wenn man ein Social Network falsch versteht bzw. einfach die Strategien und Vorgehensweisen anderer Netzwerke übernimmt.
Zum Abschluss empfehle ich DRadio Wissen, doch auf Google+ zu bleiben und die von mir gegebenen Hinweise zu berücksichtigen. Natürlich stehe ich für etwaige Rückfragen bereit. Dann klappt es auch mit der Mitmach-Quote.
Crosspost von Philipp Steuer – Google+, News und Social Media
— und nach vielen weiteren Diskussionen und Sendungen über den Ausstieg, der unvermittelt zum Thema geworden war:
DRadio Wissen bleibt bei Google+ bit.ly/LaC3ve. Die Sendung zum Thema gleich hier im Audioarchiv bit.ly/frzz7B.
— DRadio Wissen (@DRadioWissen) Juni 22, 2012
Dazu gehört nicht nur Einsatz, sondern auch der Mut, eine bereits getroffene Entscheidung öffentlich rückgängig zu machen. Bravo.
- Die dRadio Wissen-Diskussionssendung gibt es hier, leider stimmt der Link im abgebildeten Tweet nicht. In der Sendung ist auch der Autor des Artikels oben, Philipp Steuer, zu hören, außerdem Markus Heidmeier und Daniel Fiene.
- Die Autorin Pia Ziefle hat ebenfalls einen lesenswerten Text dazu geschrieben: dRadioWissen will Google+ verlassen. Darin geht sie unter anderem auf die gravierenden Unterschiede zwischen Google+ und facebook ein, aber auch auf die sonderbare Begründung von dRadio Wissen, man ziehe sich unter anderem zurück, weil zwei große Casual Games-Unternehmen sich von G+ verabschieden. Wie bitte? Pia: “Dann könnte ich auch sagen, Schriftsteller sind wahnsinnig relevant, weil die Leute so viel Vanilleeis essen.”